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Kommentar: Vertriebspolitische Perspektiven 2023

20.01.2023 14:31 Uhr | Lesezeit: 4 min
Kommentar: Vertriebspolitische Perspektiven 2023
Der Automobilvertrieb in Deutschland steht vor einer Zeitenwende.
© Foto: Nejron Photo / stock.adobe.com

AUTOHAUS-Herausgeber Prof. Hannes Brachat analysiert eines der zentralen Themen im neuen Branchenjahr: die Agentur. Das sind die Bau- und Schwachstellen des Geschäftsmodells.

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Das Jahr 2023 wird vertriebspolitisch markante Zeichen setzen. Die Händlerverträge sind zum 1. Juni 2023 GVO-konform (Vertikal-GVO Nr. 2022/720) anzupassen. Zuvor haben bereits einige Marken Händlervertragskündigungen vorgenommen. Stichwort Netzkonsolidierung! Da laufen beispielsweise zum 31. März 2023 bei VW und Audi einige Händlerverträge aus. Andere werden befristet verlängert. Übergangsvereinbarungen sind dafür zu treffen. Markante Hersteller – inklusive Mercedes-Benz – betreiben rabiate Konsolidierung. Audi rät gar seinen Händlern sich über neue Betätigungsfelder außerhalb der Markenvertretung zu differenzieren.

Ein weiteres Beispiel ist Stellantis. Die deutsche Vertriebsgesellschaft des Autokonzerns soll schlagkräftiger und effizienter werden. Es findet im Verbund damit gezielte Markenbündelung statt. In den vergangenen Wochen ließ der Konzern mit Personalrochaden aufhorchen. Stellantis-Deutschlandchef Amaury de Bourmont geht, Lars Bialkowski wird neuer Nachfolger, und Andreas Marx, das letzte erfolgreiche Opel-Urgestein und zuletzt Verantwortlicher für das Geschäft auf dem Heimatmarkt, übernimmt die Leitung der Niederlassungssparte Stellantis &You. Wahrlich, da steht eine unglaublich verlässliche Tavares-Konzern-Stabilität dahinter! Möge gerade jetzt mit dem neuen Personal in der Einarbeitungsphase der Start des Stellantis-Agentursystems unter einem guten Stern stehen. Die Konzernhändler sind zur Stunde mit dem vorliegenden Agenturvertragsentwurf so nicht einverstanden. Da hat noch manches Detail Klärungsbedarf. Der Ausgewogenheit wegen.

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Am 7. Februar 2023 veranstaltet die AUTOHAUS akademie mit zahlreichen Branchenexperten (Missing, Brosette, Vogels, Reindl u.a.) das Symposium: "Herausforderung unechte und echte Agentur – Zeitenwende im Autovertrieb" (Weitere Infos und Anmeldung!). Auch Stellantis-Europavertriebschefin Maria Grazia Davino hat ihre Teilnahme zugesagt. Den FCA-Händlern ist Davino als Vorstandsvorsitzende der ehemaligen FCA Germany AG noch bestens vertraut. Ihr Image: Engagierte Macherin! Hoffnungsträgerin! Eine Top-Managerin mit großer Glaubwürdigkeit. Eine, die auch jetzt mit dem Handel die neue Stellantis-Transformation für 14 Marken aktiv, kreativ und mit einem speziellen Schuss an Flexibilität gestalten möchte.

Die Einführung im Stellantis-Testmarkt Österreich macht grundsätzlich deutlich, dass die Startphase eines Agenturmodells, des Neuen Schritt für Schritt anzugehen ist. Anderes Beispiel: BMW will mit dem Agenturmodell zum 1. Januar 2024 mit Mini und ab 2026 europaweit mit der Kernmarke BMW starten. Dafür gab BMW-Vertriebsvorstand Pieter Nota die Losung aus: "Wir schauen auf Leistung."

Agenturmarge – NW-Rendite ahoi!

Immer wieder sind für die Umsetzung des Agenturmodells noch ausgeprägte IT-Probleme zu benennen sowie der substanzielle Kritikpunkt: die Vergütung. Das Pendel schlägt bei sechs Prozent Neuwagen-Marge auf, davon dann vier fix und zwei variabel. Es mag sein, dass das eine oder andere Autohaus bei dieser "Sozialmarge" Geld verdient. Die große Mehrheit aber gewiss nicht. Die Niederlassungen schon gleich gar nicht! Im Klartext: Es kann und darf nicht sein, dass der Markenhandel im Neuwagengeschäft nichts mehr verdienen soll. Untragbar!

Sie, die Hersteller haben einst Paläste gefordert und geben sich nun mit agenturgetriebener virtueller Einengung zufrieden. Das ist auch Transformation. Wenn dann argumentiert wird, die Händler müssen künftig das Geld mit Gebrauchtwagen und im Service verdienen, dann wird auch hier zusätzlich das Ertragslasso am Händlerhals enger gezogen. BMW sagt beispielsweise, dass der Kunde auch die Möglichkeit haben müsse, beim Hersteller künftig einen jungen Gebrauchtwagen direkt erwerben zu können. Junge Gebrauchte bis Maximum 18 Monate. Sprich: Die Sahnehaube zieht der Hersteller auch im Gebrauchtwagen ab. Wie kommt der Händler noch an geeignete Ware?

Im Spektrum erweitert: Der Direktvertrieb der Hersteller wird auch in der Kundenakzeptanz von den Herstellern selbst von Jahr zu Jahr gezielt ausgebaut. Und wohin sich da die Sogwirkung gezielt entfaltet, ist absehbar. Und wie sieht die Wettbewerbsgestaltung zwischen Hersteller-Direktvertrieb und Handelsbetrieb in Zukunft aus? Und im Service? Die Einbußen im Service durch die E-Fahrzeuge sind absehbar. Woher sollen bei dieser Engführung die Erträge kommen?

Das große Schweigen

Will man von den Top-Managern klare Aussagen zur künftigen Händlerpolitik inklusive Agentursystem erfahren, wird man höflich "vertröstet". Im Klartext: Keiner redet! Sie haben alle einen Maulkorb umhängen. Es sei allerdings ein auffällig positives Beispiel zu dieser Transformation im Handel benannt. Von allen Vorstandsvorsitzenden der Automobilindustrie ist es Skoda-Vorstandschef, Klaus Zellmer, der persönlich auf der deutschen Skoda-Händlertagung im November vor die Händler tritt, das geplante Agenturmodell erläutert und eine Lösung mit der Händlerschaft mit der Aussage ankündigt: "Der Handel ist und bleibt das Gesicht der Marke." Geht doch! Was eben der gelegte Studien-Geist an der richtigen Hochschule in Sachen Verantwortung bei einem Top-Manager wie bei Klaus Zellmer bewirkt! Geislingen!

Die Achse Unternehmenskommunikation der Hersteller möge die nächsten Monate in einschlägigen Medien darauf hinwirken, die neue Vertriebsausrichtung Agentur zu kommunizieren. Das große Ritual "Rabattfeilschen" im Neuwagenbereich soll beerdigt werden. Darauf musste die DAT nun wirklich lange warten. Schließlich war die Rabattschlacht die Ursache für deren Gründung im Jahre 1931. Der Teufel sieht das allerdings anders: Totgesagte leben länger!


Prof. Hannes Brachat

Hannes Brachat, Jahrgang 1948, ist seit vielen Jahren Kenner und Beobachter der deutschen Kfz-Branche. Von 1984 bis 1993 wirkte er als Chefredakteur von AUTOHAUS, seitdem ist er Herausgeber des Fachmagazins. Von 2002 bis 2014 war er Professor für Automobilwirtschaft, Schwerpunkt Autohaus-Management, an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen. Ab 2014 nahm er diese Aufgabe in Form eines Lehrauftrages wahr.

Seit dem Start von Autohaus.de im Jahr 1998 ist Brachat engagierter Kolumnist und Kommentator des aktuellen Branchengeschehens. Seinen Blog "HB ohne Filter" finden Sie hier!



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