AUTOHAUS: Ihre beruflichen Stationen sind stark durch ihre 23-jährige Tätigkeit bei Porsche und dann über zwei Jahre als VW-Vertriebsvorstand geprägt. Seit 1. Juli 2022 sind Sie als Skoda-Vorstandsvorsitzender für eine neue Markenwelt in Verantwortung. Wie charakterisieren Sie diese unterschiedlichen Welten im VW-Konzern?
Klaus Zellmer: Porsche ist eine extrem emotionale Marke. Auch Volkswagen wird als Marke zunehmend emotional aufgeladen, denken Sie nur an den ID.Buzz und die Kooperation rund um die Obi-Wan-Serie mit Hauptdarsteller Ewan McGregor als Markenbotschafter. Aber je breiter der Fußabdruck und je größer das Volumen einer Marke werden, desto schwieriger wird diese Emotionalisierung. Im Volumengeschäft haben die Themen Kosten und Effizienz eine ganz andere Bedeutung – da habe ich Volkswagen noch einmal neue Perspektiven gewonnen.
Skoda hat eine ganz eigene Identität. Die Marke Skoda ist 127 Jahre alt, ist im Land eine Ikone der tschechischen Industrie und hat hier sehr starke Wurzeln. Die Beschäftigten tragen die Marke im Herzen, sind extrem stolz auf ihr Unternehmen. Diese große Loyalität stelle ich nicht nur im Heimatmarkt und bei Mitarbeitern fest. Auffällig ist das auch beispielsweise bei deutschen Markenhändlern – denken Sie nur an das besondere Image von Skoda in den ostdeutschen Bundesländern. Woher kommt das gute Image? Vielleicht auch daher, dass Skodianer sich mit dem Status Quo nie zufrieden geben, sie leben eine echte "Can-Do"-Mentalität und das ganz pragmatisch und effizient. Der Slogan "Simply Clever" bringt das gut zum Ausdruck. Dieser phänomenale Claim wurde zwar erst 2003 veröffentlicht, ist aber eigentlich die DNA, die Skoda bereits seit den Anfängen in sich trägt. Und auch ich erfahre das persönlich gerade jeden Tag aufs Neue.
Die neue Aufgabe
AH: Sie sind nun seit 1. Juli 2022 in ihrer neuen Aufgabe tätig. Wie muss man sich das vorstellen, wenn nun plötzlich ein Schwabe in der Zentrale in Mladá Boleslav/Prag verantwortlich am Schaltpult sitzt? Wie geht man da als neuer Vorstandsvorsitzender vor - Sie sind ja aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten vor allem mit Vertriebspriorität geprägt?
K. Zellmer: Es ist wie immer im Leben, man muss bei neuen Dingen zunächst zuhören. Ich versuche beispielsweise, mehrmals die Woche in gesonderten Terminen möglichst viele Beschäftigte und Bereiche des Unternehmens kennenzulernen. Und Sie haben meine Expertise im Vertrieb angesprochen: Zu wissen, wie man international sowohl im Volumen-, wie im Premiummarkt Autos verkauft und online wie offline gut mit den Kunden in Kontakt ist, halte ich keineswegs für einen Nachteil. Zudem habe ich hier ein sehr gutes Team vorgefunden, das mir den Start wirklich sehr erleichtert hat. Und als Schwabe bringt man außerdem das gehörige Quantum Demut für eine solche Aufgabe mit.
AH: Findet die Kommunikation in englischer Sprache statt?
K. Zellmer: Es ist schon auffällig, wie viele Menschen gut Deutsch sprechen bei Skoda. Wir mischen das bei Bedarf flexibel mit Englisch.
Konzern-Markengestaltung
AH: Der VW-Konzern hat zwölf verschiedene Marken zu gestalten. Wie macht man das, ohne dass sich Kannibalisierung ereignet?
Zellmer: Lassen Sie mich das am Beispiel der Markengruppe Volumen beschreiben: Hier arbeiten wir künftig unter Thomas Schäfer noch enger zusammen. Das hilft uns beispielsweise bei Forschung und Entwicklung oder Produktion dabei, schneller und leistungsfähiger zu sein als andere. Das ist ein großer Wettbewerbsvorteil - und den werden wir maximal nutzen. Und gleichzeitig differenzieren wir uns noch klarer voneinander. Ein gutes Beispiel: Für das elektrische und digitale Zeitalter haben wir einen neuen Markenauftritt und eine neue, kraftvolle Designsprache für unsere Fahrzeuge entworfen. Sie werden unser Showcar Vision 7S kennen – es ist Vorreiter und Aushängeschild unserer neuen Markenstrategie "Explore More". Für die Kunden bedeutet das also künftig noch klarer erkennbar positionierte Marken. Und Wettbewerb findet künftig außerhalb des Konzerns statt.
Skoda Vision 7S
BildergalerieElektro-Offensive
AH: Von Skoda kommt die Aussage, bis 2030 70 Prozent E-Autos und 30 Prozent Verbrennungsmotoren aufzulegen. Die E-Autos sind aber für die Vielzahl der Autofahrer – gerade ohne Staatsprämie – finanziell noch zu teuer. Weshalb schafft es die deutsche Autoindustrie nicht, hier bei den Einstiegsmodellen mit dabei zu sein?
Zellmer: Das ist kein Phänomen der deutschen Automobilindustrie. Das ist vor allem eine Frage, welche Komponenten im Fahrzeug mit welchen Kosten verbaut werden. Ein Drittel der Kosten macht beim E-Auto die Batterie aus. Die Zukunft ist also stark abhängig von der Skalierung der Batteriekosten, und die gilt es voll auszuschöpfen. Wir sind da bereits gut unterwegs mit schnell steigenden Produktionszahlen und ab 2025 gibt uns die Einheitszelle des Konzerns nochmals Rückenwind. Wir gehen darum davon aus, dass zwischen 2025 und 2030 der Tipping Point im Preisniveau zwischen Verbrennungsmotor und E-Auto erreicht werden kann. Bis 2026 bringen wir zusätzlich zum Enyaq iV und zum Enyaq Coupe iV gleich drei weitere attraktive Elektromodelle auf den Markt – viel früher als ursprünglich geplant: einen elektrischen Kleinwagen, einen Kompakt-SUV und einen Siebensitzer. Weitere E-Modelle werden folgen.
E-Fuels
AH: Der bisherige VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess setzte auffällig markant stringent auf das E-Auto. Weltweit sind aber 1,4 Milliarden Verbrennungsmotoren unterwegs. In Deutschland allein elf Millionen Volkswagen. Warum schaut man da im Konzern weg und setzt nicht zusätzlich auf E-Fuels?
K. Zellmer: Es geht grundsätzlich um die Frage der Energie-Effizienz. Die Herausforderung bei E-Fuels für Autos: Bei der Umwandlung in synthetisches Benzin besteht ein hoher Energiebedarf. Wenn wir also eines Tages so viel grüne Energie produzieren, wie wir uns wünschen, nur dann werden E-Fuels möglicherweise interessant - auch außerhalb des Premiums-Segments.
AH: E-Fuels können beispielsweise auch dem Heizöl beigemischt werden. Weshalb ist man da nicht technologieoffen?
K. Zellmer: Ich kann hier nur aus Sicht von Skoda sprechen. Die Transformation bringt so viele Herausforderungen mit sich, dass wir uns konzentrieren müssen. Wir fokussieren auf die Weiterentwicklung unserer effizienten Verbrenner. Und auf Elektromobilität, in die wir allein in den nächsten fünf Jahren 5,6 Milliarden Euro investieren werden.
Elektroauto und Werkstattauslastung
AH: Durch das E-Auto wird in den Werkstätten eine Lohn- und Teileeinbuße von 30 Prozent Realität werden. Wie gedenkt man das zu egalisieren?
K. Zellmer: Zunächst einmal steigen nach dem Ende der Pandemie die Fahrleistungen wieder an und Autos sind auch aufgrund der aktuellen Lieferzeiten der Industrie länger auf der Straße – damit steigt der Wartungsbedarf. Mittel- und langfristig wird es zudem sehr wichtig sein, den vorhandenen Markt – auch in den Segmenten 2 und 3 - gemeinsam mit dem Handel noch besser auszuschöpfen. Klar ist aber auch: Im Grundsatz haben E-Autos natürlich einen geringeren Wartungsbedarf. Darauf können und müssen sich die Werkstätten frühzeitig einstellen. Parallel entstehen aber neue Umsatzpools. So werden "Functions On Demand" ein enorm interessantes Geschäftsmodell. So kommt ein Teil des Aftersales-Geschäftes, das wir zunächst über das E-Auto verlieren, wieder zurück.
Zukunft des Handels
AH: Wie sieht der Skoda-Chef die Zukunft des Automobihandels? Hat der Handel Zukunft: Ja oder Nein?
K. Zellmer: Ein ganz klares Ja! Wir werden auch in Zukunft Autos verkaufen – unabhängig von der Antriebsart. Menschen werden Fragen zu den Produkten stellen und wollen Antworten erhalten. Und die Fahrzeuge gehen in den Service, müssen repariert werden, brauchen Pflege und Updates. Das gilt in gleichem Maße für die Gebrauchtwagen. Und die schönste Art und Weise, den Kundinnen und Kunden, zu helfen ist für mich immer noch die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch. Wer einmal versucht hat, sein verloren gegangenes Gepäck am Flughafen über ein Callcenter ausfindig zu machen und nur noch mit computergenerierten Stimmen zu tun hat, der versteht, was ich meine. Für mich ist der Handel das Gesicht der Marke. Und das macht den Unterschied zu vielen Newcomern der Branche aus. Daher ist es für uns ein echter Vorteil, eine so starke und loyale Handelsstruktur zu haben, die unsere Kunden persönlich sehr gut betreuen.
Agentur-Vertrieb
AUTOHAUS: Ein Wort zum Agenturvertrieb - wie wird das ein Erfolgsmodell?
K. Zellmer: Unabhängig davon wie wir das Modell genau ausgestalten, ist es allen klar, dass wir es benötigen. Denn das Nutzungs- und Kaufverhalten unserer Kunden hat sich in den letzten Jahren – und speziell seit Corona – enorm verändert. Die überwiegende Mehrheit der Kundinnen und Kunden wünscht sich von uns die Möglichkeit, wahlweise online oder offline ein Fahrzeug erwerben zu können. Wir brauchen also ein perfektes Multi-Kanal-Zusammenspiel aus online und offline. Aktives Datenmanagement ist aus meiner Sicht das neue Gold der Zukunft. Darum arbeiten wir mit Hochdruck daran, die Customer Journey von einem linearen Kanal in einen geschlossenen Kreislauf über die gesamte Wertschöpfungskette zu verwandeln, um bei Angeboten noch besser auf die persönlichen Wünsche der Kunden eingehen zu können. Und das unter Berücksichtigung und Wahrung des Datenschutzes unserer Zielgruppen. Interessenten starten den Kaufprozess heute in der Regel auf unserer Website. Seit Corona sind die Online-Interaktionen konzernweit über alle Marken hinweg im Schnitt um 70 Prozent gestiegen. Ohne exzellente Online-Angebote und Smart Data werden wir auf Dauer nicht erfolgreich sein. Und wenn wir das nicht selbst anbieten, werden es andere für uns machen. Aber eines steht fest: Der Handel ist und bleibt unser Fundament und unser Gesicht zum Kunden!
AH: Mit Neuwagen-Margen von sechs Prozent lässt sich das aber für den Handel nicht darstellen. Im reinen Agenturgeschäft gehört außerdem der Gebrauchtwagen dann dem Hersteller. Gute Verkäufer wollen auch gut bezahlt sein?
K. Zellmer: Wir nehmen die Bedenken unserer Partner ernst. Unsere Verantwortung ist es, gemeinsam mit dem Handel ein auskömmliches Geschäft sicherzustellen. Dieses ist unabhängig vom Vertriebsmodell und lässt sich nicht auf einen Prozentsatz bei der Agenturvergütung reduzieren. Die Händler spielen für uns als Hersteller ja eine immens wichtige Rolle. Und diese gilt es zukunftsfähig zu machen. Neben der genauen Ausgestaltung des Agenturmodells mit Blick auf die jeweiligen Kostenstrukturen im Land müssen wir beispielsweise auch über den IT-Backbone sprechen, IT-Systeme harmonisieren. Da tun sich Neueinsteiger, die auf der grünen Wiese starten, leichter als etablierte Hersteller mit einem gewachsenen Bestand verschiedener Alt-Systeme. Wir haben auf alle Fälle den festen Willen und die Zuversicht, dass gemeinsam auf einen guten Weg zu bringen.
AH: Herzlichen Dank für das Gespräch!