Wenn die Besucher der Automobilmesse IAA Schlange stehen, um wenigstens einen kurzen Blick auf ein Fahrzeug zu werfen, dann muss nicht immer ein PS-gewaltiger Bolide im Rampenlicht stehen. Das ist 1961 nicht anders, als BMW sein neues Mittelklassemodell "1500" vorstellt. Trotz seiner überschaubaren Außenausmaße stiehlt der 55 kW/75 PS starke Viertürer selbst der Konkurrenz aus dem eigenen Haus die Schau. Und das aus gutem Grund.
Schon auf den ersten Blick besticht die Stufenhecklimousine durch ihre schnörkellos-moderne Linienführung, die auch für zeitgenössische Augen auf den ersten Blick weder zu konservativ noch zu verspielt wirkt. Vorbilder dafür hat sich Wilhelm Hofmeister, Chef-Stylist von BMW, südlich der Alpen gesucht. Beratend zur Seite gestanden hat dabei der legendäre italienische Autoschöpfer Giovanni Michelotti. Die Kühlermaske indes wird vom erfolglosen BMW-Roadster 507 übernommen. Die Legende berichtet, dass der Großaktionär und Unternehmensretter Herbert Quandt beim Anblick des fertigen Entwurfs nach der klassischen Doppelniere verlangt hat. Also basteln die Designer in aller Eile eine passende Niere und transplantieren sie in die Frontmitte. So erblickt das neue, bis heute charakterbildende BMW-Gesicht das Licht der Autowelt.
Mit dem neu gezeichneten 1500 will BMW aber nicht nur in Sachen Design punkten - sondern vor allem gute Verkaufszahlen erreichen. Immerhin schließt die weißblaue Marke mit dem neuen Modell eine große Lücke. Bis dato haben die Münchner nur "Autos für Generaldirektoren und Tagelöhner" gebaut, wie der Spiegel 1965 in der Rückschau leicht überspitzt schreibt. Aber in der Tat bietet sich zwischen den flotten Kleinwagen vom Schlage des 700er und den achtzylindrigen 'Barockengeln' der Münchner mehr als genug Raum für eine 'Neue Klasse'. Sie soll das Erbe der just ausgelaufenen Borgward Isabella antreten. Das Bremer Traditionsunternehmen hat wenige Monate vor der Präsentation des 1500 Konkurs anmelden müssen. BMW kann hier also genau zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Auto die Wünsche der solventer gewordenen Bundesbürger befriedigen.
Längst sind viele Deutsche vom Motorrad über Kleinstwagen in neue automobile Dimensionen aufgestiegen und bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Für den Vertreter der neuen Münchner Mittelklasse werden mindestens 9.485 D-Mark aufgerufen. Damit bleibt der 1500 zwar ein Stück unter der magischen fünfstelligen D-Mark-Marke - gleichwohl kann man den Betrag als sehr selbstbewusst bezeichnen. Denn das Durchschnittseinkommen wächst Anfang der 60er Jahre in Deutschland zwar im Schnitt um rund zehn Prozent pro Jahr. Dennoch liegt es 1961 bei gerade einmal 6.723 DM für zwölf Monate.
Zum Siegen verdammt
Der "neue Mittelwagen", wie er werksintern genannt wird, ist ein echtes Wagnis. Noch 1959 ist BMW selbst haarscharf an der Pleite vorbei geschrammt - und am Verkauf an Daimler-Benz. Solche Erfahrungen steckt auch eine Traditionsmarke nicht so einfach weg - der 1500 ist daher zum Siegen verdammt. Anfang Juni 1962 sind die Vorbestellungen bereits auf rund 25.000 geklettert. Das Auto überzeugt mit einer auf 59 kW/80 PS angewachsenen Leistung des Vierzylinders, einer für damalige Zeit beachtlichen Spitzengeschwindigkeit von 150 km/h sowie einem souveränen Fahrwerk und gut zupackenden Bremsen. Sogar eine Vorbereitung für Sicherheitsgurte ist vorhanden: wer Gurte haben will, muss diese dann aber selber nachrüsten.
Ab Herbst 1963 bekommt der runde Mittelklässler noch zwei große Brüder: Den BMW 1800 und der 1800ti debütierten ebenfalls auf der IAA. Der seit Frühjahr 1964 produzierte, äußerlich kaum zu unterscheidende BMW 1600 übernimmt die Rolle des Einstiegsmodells in der Baureihe. Die Neue Klasse wird zu einem soliden Standbein der Münchner und führt die Marke aus der Krise. Zugleich bildet sie den Ausgangspunkt für viele spätere BMW-Modelle. Nachdem 1972 knapp 330.000 Limousinen der Modellreihe vom Band gerollt sind, tritt mit dem 5er BMW ein weiteres Erfolgsmodell seine Nachfolge an.