Das Landgericht Gießen hat nach einer Klage der Wettbewerbszentrale das Geschäftsmodell von "Gutachter-vor-Ort" in seiner früheren Form untersagt. Das Unternehmen DGD Deutscher Gutachter Dienst GmbH, das hinter der Marke "Gutachter-vor-Ort" steht, hatte auf seiner Webseite sowie im Google Playstore eine App zur Erstellung von Kfz-Schadengutachten im Angebot.
Zielgruppe waren Autohäuser und Kfz-Werkstätten. Das Angebot sollte die Schadenabwicklung in den Betrieben vereinfachen und beschleunigen sowie eine Möglichkeit eröffnen, an den Gutachten mitzuverdienen. Dazu sollten Mitarbeiter der Werkstätten mithilfe der App Schäden an Fahrzeugen in Form von Fotos, Videos und Beschreibungen aufnehmen. Über die App wurden die Daten dann an den Anbieter weitergeleitet, wo aus der Ferne ein Schadengutachten erstellt wurde. Der Anbieter versprach, im Anschluss auch die Abwicklung mit Versicherungen, Anwälten und allen weiteren Beteiligten zu übernehmen. Am Ende sollte dann das Gutachterhonorar 50:50 aufgeteilt werden.
Klage wegen irreführender Werbung
Gegen dieses Geschäftsmodell war die Wettbewerbszentrale, ein gemeinnütziger Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, gerichtlich vorgegangen. Diese monierte die Bezeichnung "Gutachter-vor-Ort" als irreführend, weil der Sachverständige, der das Gutachten anfertigt, de facto nicht vor Ort ist. Das sah das Landgericht Gießen ähnlich. In seinem Versäumnisurteil vom 21. Mai (Az. 6 O 13/21), das erst jetzt bekannt wurde, verbot das Gericht, mit "Gutachter-vor-Ort" zu werben, wenn kein Sachverständiger zur Schadensbesichtigung und -dokumentation anwesend ist. "Mit dem Verfahren sollen keine innovativen Konzepte behindert oder gar unterbunden werden, sondern es soll sichergestellt werden, dass auch künftig Sachverständigengutachten auf Basis dessen erstellt werden, was der Sachverständige persönlich vor Ort kontrolliert hat, wenn schon mit dem Slogan 'Gutachter-vor-Ort"' geworben wird", kommentierte Andreas Ottofülling, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Wettbewerbszentrale das Urteil.
Die Wettbewerbszentrale wies in ihrer Pressemitteilung darauf hin, dass im Sachverständigenwesen der Grundsatz der höchstpersönlichen Leistungserbringung gelte. Das bedeutet nach Ansicht des Vereins, dass der Sachverständige das Fahrzeug persönlich in Augenschein nehmen müsse.
Gericht verbietet noch weitere Werbeaussagen
Das Gericht untersagte daneben auch die Provisionszahlungen und die einzelnen Werbeaussagen, die als Gegenleistung für die Erstellung von Kfz-Schadensgutachten mittels Verwendung der App versprochen wurden. Dazu zählten
- "Innerhalb von 20 Minuten* ca. 310 €** für Ihren Kfz-Betrieb"
- "Circa 310,- €** für 20 Minuten* Aufwand"
- "Nach Zahlungseingang wird das Honorar zwischen Ihnen und uns zu gleichen Teilen aufgeteilt (…)"
- "Mithilfe unserer Gutachter-vor-Ort App erhöhen Sie in nur 20 Minuten* Ihre Marge durch ein Gutachterhonorar"
- "Auftrag absenden und an jedem Gutachten 310 € und mehr verdienen"
- "Sie erhalten50% des Kfz-Gutachtenhonorars. Im Schnitt sind es 310,- €** pro Auftrag und mehr…"
- "…und Sie erhalten dazu noch die Hälfte des Gutachter Honorars"
Jetzt kann jeder zum "Sachverständigen" werden
Die DGD Deutscher Gutachter Dienst GmbH hat mittlerweile auf das Urteil reagiert, und das Geschäftsmodell von "Gutachten-vor-Ort" modifiziert. Im Grunde läuft dabei alles weiter wie bisher. Einziger Unterschied: Statt wie bisher normale Werkstattmitarbeiter dürfen jetzt nur noch Kfz-Sachverständige die Aufnahmen mit der Smartphone-App anfertigen. Sachverständiger für "Gutachter-vor-Ort" kann allerdings im Grunde jeder werden.
Denn wer möchte, kann sich von DGD in einer Art Schnellkurs zum Kfz-Sachverständigen ausbilden lassen. Der fragliche Kurs ist laut Website kostenlos und die Ausbildung soll nur rund zwei Wochen dauern. Durch die App könne "jeder Kfz-Gutachter werden und ganz einfach Schäden aufnehmen", so das vollmundige Versprechen. Auf den ersten Blick wäre damit die Auflage des Gerichts erfüllt, dass ein Sachverständiger vor Ort sein muss. Wie wasserdicht das Ganze aber wirklich ist, muss sich noch zeigen. Auf die neue Strategie angesprochen, erklärte Wettbewerbszentralen-Chef Ottofülling gegenüber AUTOHAUS, man werde sich das neue Geschäftsmodell von "Gutachter-vor-Ort" noch einmal ansehen.
Das Versprechen, dass das Gutachterhonorar 50:50 geteilt würde, findet sich auf der Webseite unter der Überschrift "kaum Aufwand, faire Teilung" übrigens nach wie vor. Auch die Aussage, in 20 Minuten etwa 310 Euro verdienen zu können taucht in etwas anderen Formulierungen wieder auf.
Dipl.-Ing. (FH) Frank Oesterle
Dieter
Dipl.-Ing. (FH) Frank Oesterle
Verkehrs-RA