Die Überraschung in Brüssel ist ausgeblieben: Trotz massiver Widerstände des Europäischen Parlaments und der Händlerverbände hat die EU-Kommission am Donnerstag ihren Vorschlag zur überarbeiteten Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) im Kfz-Sektor angenommen. Neuwagen und Autoreparaturen sollen dank eines einfacheren Rechtsrahmens billiger werden.
Wie angekündigt, werden sich die obersten Wettbewerbshüter nach einer Übergangszeit von drei Jahren aus der Regulierung des europäischen Fahrzeugvertriebs verabschieden. Nach Meinung der Kommission herrscht auf diesem Gebiet inzwischen ein ausreichend starker Wettbewerb. Die bisherige GVO habe sich als zu kompliziert und restriktiv erwiesen und indirekt die Vertriebskosten in die Höhe getrieben, auf die durchschnittlich 30 Prozent des Preises eines Neufahrzeugs entfallen würden, hieß es.
Daher sollen die entsprechenden Vorschriften gemäß dem Vorschlag der Kommission vereinfacht werden. "Der neue Rechtsrahmen wird eine Verringerung der Vertriebskosten ermöglichen, indem Überreglementierung vermieden wird", erklärte Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. Ab 1. Juni 2013 werde der Markt für den Kfz-Vertrieb genauso behandelt wie alle anderen Märkte – er schlüpft also unter die so genannte "Schirm-GVO".
Ausdrücklich hob die EU-Kommission hervor, dass Ein- und Mehrmarkenhändler auch künftig nebeneinander existieren sollen. Besondere Anreize für den Vertrieb mehrerer konkurrierender Marken wie 2002 wird es laut Almunia aber nicht mehr geben. Der Wettbewerb auf diesem Feld sei hart, zudem nähmen die Autobauer den Vertrieb häufig selbst in die Hand. Künftig können Herstellern ihren Händlern wieder vorschreiben, nur eine Marke zu verkaufen. Die Behörde setzt sich damit über Bedenken aus dem Europaparlament hinweg, das befürchtet, die Einschränkung des Mehrmarkenvertriebs bedrohe Händler in ländlichen Regionen (wir berichteten). Die Ende April verabschiedete Resolution, mit der die Abgeordneten den europäischen Händler in wichtigen Vertriebs- und Serviceaspekten den Rücken gestärkt hatte, fand keinen wesentlichen Einzug in die neue Verordnung.
"Mehr Spielraum für Hersteller"
Gestrichen sind außerdem sektorspezifische Klauseln, die sich u.a. auf Vertragskündigung, Übertragung von Unternehmen, die Schlichtung von Streitigkeiten oder Gerichtsverfahren beziehen. Diese Bestimmungen hätten sich in der Vergangenheit als "unwirksam oder kontraproduktiv" erwiesen. "Die neuen Regeln verschaffen den Kfz-Herstellern mehr Spielraum bei der Organisation ihrer Netze und bieten ihnen insbesondere die Möglichkeit, für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Markenzwang und Mehrmarkenhandel zu sorgen", sind sich die Kartellwächter sicher.
Kurt Wendt
Mario Lössl