Audi: Neue Vertriebs- und Service-Verträge: "Die Zukunft gehört der Multi-Kanal-Präsenz"

Die Wucht der Kritik, mit der der Volkswagen und Audi Partnerverband (VAPV) jüngst auf die geplanten neuen Verträge bei Audi reagierte, kam für viele Branchenbeobachter überraschend (vgl. Berichterstattung auf autohaus.de). Mit zwei Interviews leuchten wir hier und auf den folgenden Seiten die Hintergründe dieser Kontroverse aus: VAPV Vorsitzender Dirk Weddigen von Knapp erläutert ab Seite 16 seine Sicht der Dinge, im Interview auf dieser Seite kommentiert Branchenexperte Walter Missing die aktuelle Debatte. AH: Herr Missing, viele Händler haben aufgrund der Digitalisierung Existenzangst. Zu Recht? Walter Missing: Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Deshalb empfehle ich den Händlern, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen und zu entscheiden, ob sie sich den unausweichlichen Entwicklungen stellen und mitmachen oder nicht. Fakt ist: Die Digitalisierung macht vor dem Automobilhandel nicht Halt und wird auch dort zu grundsätzlichen Veränderungen führen. Sie hat zwei Ausprägungen für die Händler: Zum einen verspricht sie ein Höchstmaß an neuem Geschäft, zum anderen verlangt sie ein Maximum an Veränderungsbereitschaft. Mit kleinen Anpassungsmaßnahmen am bestehenden Geschäftsmodell ist es nicht getan. Die Digitalisierung erfolgreich zu integrieren, verlangt sehr viel weitergehende Veränderungen. Ich habe deshalb Verständnis für diejenigen Händler, die sich über ihre Zukunft Sorgen machen. AH: Wie sehen Sie die Vertriebslandschaft in zehn Jahren? W. Missing: Deutlich anders als heute. Weniger, dafür größere Händler, neue Vertriebsformate mit veränderten Arbeitsschwerpunkten und Dienstleistungen sowie nicht zuletzt signifikant veränderte Prozesse im Zusammenwirken von Herstellern und Händlern. Die Veränderung der Vertriebslandschaft vollzieht sich nicht von heute auf morgen. Mit einem Zeitraum von 10 Jahren für die Transformation der Branche in das digitale Zeitalter liegen Sie aber wahrscheinlich richtig. Der laufende Konzentrationsprozess wird sich bis dahin weiter verstärkt und zu großen Handelsgruppen geführt haben. Parallel zur Anzahl und Struktur der Handelspartner ändern sich auch der Auftritt und die Ausrichtung der Autohäuser - und zwar unterschiedlich nach Premium- und Volumenmarken sowie nach Metropol-, Stadt- und Landregionen. Grundzüge eines neuen Audi Geschäftsmodells zeichnen sich ab AH: Volkswagen und Audi haben sich als Erste zu einem neuen Geschäftsmodell bekannt. Gleichzeitig wurde gesagt, dass es ohne stationären Handel nicht geht. Was wird sich verändern? W. Missing: Aus den bisher bekannt gewordenen Ansätzen von Audi lässt sich noch kein grundsätzlich neues Geschäftsmodell ableiten. Martin Sander von Audi hatte kürzlich u. a. mit der Aussage, Hersteller und Handel müssten sich neu erfinden, Größeres angekündigt. Ob VW als Volumenmarke in ähnlicher Form nachziehen wird, ist für mich außerdem noch völlig offen. Wie es sich aktuell darstellt, will Audi das bestehende Geschäftsmodell in drei Richtungen modifizieren: Ausweitung des Agentursystems auf alle Verkäufe an gewerbliche Kunden und Übernahme der ganz großen Kunden in die eigene Regie, Direktverkauf nicht näher definierter Modelle über das Internet - auch das aber voraussichtlich zumindest abwicklungstechnisch unter Einbezug des stationären Handels - und Nutzung der Fahrzeugdaten für Dienstleistungsangebote direkt an die Kunden. Nur das ist wirklich neu. Denn zum Beispiel Mercedes-Benz wickelt bekanntlich seit vielen Jahren sein gesamtes Neuwagengeschäft über die Agenturschiene ab und verkauft zwischenzeitlich auch Autos direkt über das Internet - im besten Einvernehmen mit seinen Vertriebspartnern. Das vielleicht wichtigste Thema, die Beseitigung der hemmenden Schnittstellen in der Prozesskette zwischen Hersteller, Händler und Kunden oder umgekehrt als zwingende Voraussetzung für den erfolgreichen Eintritt in die Digitalisierung, wird mit den jetzt propagierten Veränderungen nicht angegangen. Inwieweit der Kunde mehr in den Mittelpunkt rückt, ist ebenfalls noch nicht zu erkennen. AH: Warum ist das überhaupt notwendig? W. Missing: Die Hersteller werden zukünftig nicht umhinkommen, Mehr-Kanal-Strategien zu verfolgen. Das heißt: Verkauf und Dienstleistungen über alle zur Verfügung stehenden Kanäle. Dazu zählt mit Sicherheit auch weiterhin das Autohaus. Die Zukunft gehört der Multi-Kanal-Präsenz - übrigens auch bei den Händlern. Fehler in der Kommunikation AH: Nun hat sich der VW/Audi Händlerverband an die Öffentlichkeit gewendet und beiden Marken massive Vorwürfe zu den geplanten Eingriffen gemacht, die in dieser Form existenzgefährdend seien, hieß es. Was ist da schiefgelaufen? W. Missing: Zunächst vor allem die Kommunikation, die offensichtlich nicht ausreichend war, wie wahrscheinlich auch die frühzeitige und vollständige Einbindung aller Betroffenen, ohne die grundlegende und einschneidende Veränderungen in der Zusammenarbeit nicht erfolgreich auf den Weg gebracht werden können. Wenn Audi und Volkswagen betonen, dass es auch in Zukunft ohne die Händler nicht gehen wird, dann müssen beide Seiten diese Zukunft gemeinsam gestalten. Martin Sander vertrat diese Ansicht auch vor einigen Wochen deutlich. Kaum zu verstehen, dass das nun so schiefgegangen ist. Selbstverständlich können Hersteller und Händler ihre jeweiligen konzeptionellen Vorstellungen zunächst allein entwickeln. Im Anschluss daran müssen die Kommunikation und die Abstimmung aber funktionieren. Das heißt: Nicht übereinander, sondern miteinander reden. Und am Ende steht dann ein neues Geschäftsmodell - ohne schädliche öffentliche Diskussionen. AH: Wer hat Ihrer Meinung nach was falsch gemacht? W. Missing: Audi hat sicherlich die Reaktion des Händlerverbandes falsch eingeschätzt. Die Zusammenhänge der geplanten Veränderungen wurden dem Verband offensichtlich nicht ausreichend zur internen Diskussion gestellt. Dessen massive Reaktion bringt beide Seiten einer Lösung aber auch nicht näher. Viel besser hätte dem Verband zu Gesicht gestanden, wenn von seiner Seite nicht nur ein "geht nicht", sondern auch konstruktive Vorschläge gekommen wären. Und das nicht unbedingt öffentlich. AH: Warum bindet man den Händlerverband auch nicht ein? W. Missing: Die Frage kommt unwillkürlich auf, wenn man die aktuelle Berichterstattung verfolgt. Ich gehe jedoch davon aus, dass der Händlerverband durchaus eingebunden wird - wenn ggfs. auch nur informell. Das hat auch damit zu tun, dass der Händlerverband zwar eine seit Jahrzehnten etablierte Institution ist, die aber faktisch nur die kleineren Händler vertritt. Die großen Händler, die über zwei Drittel des Absatzes von Audi garantieren, sind zwar Mitglied im Verband, bringen ihre Interessen aber im direkten Dialog mit den Herstellern zur Geltung. Die Hersteller sehen in der Einbindung des Händlerverbandes eine notwendige Verpflichtung, sprechen aber insbesondere in den grundsätzlichen Themen direkt mit den Vertretern der großen Gruppen. AH: Mit wem diskutieren die Ingolstädter die Neugestaltung des Netzes? W. Missing: Mit denjenigen, mit denen sie in Zukunft das Geschäftsmodell betreiben wollen. Und das sind die großen Händlergruppen. Interner Dialog aller Beteiligten AH: Hat Audi jetzt ein Problem mit der deutschen Händlerschaft? W. Missing: Sagen wir besser mit einem Teil der Händlerschaft, das ist nicht von der Hand zu weisen. Ich denke, das kann aber behoben werden. Audi hat einen Stein losgetreten, der sowieso in kürzester Zeit ins Rollen gekommen wäre. Ich würde jetzt empfehlen, die vollen Wahrheiten und Absichten auf den Tisch zu legen und ein schlüssiges Gesamtkonzept zu präsentieren - im engen internen Dialog mit allen Beteiligten. AH: Was plant Audi hinsichtlich Internet-Direktgeschäft für ausgewählte Modelle und der Ausweitung des Agenturgeschäfts auf die small commercials? W. Missing: Dem Vernehmen nach sind für den Internet-Direktvertrieb durch Audi nur bestimmte Sonderserien vorgesehen. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Die Gretchenfrage ist vielmehr, wie der Handel in den gesamten Prozess der Abwicklung der über diesen Kanal initiierten Geschäfte eingebunden wird. Durch die Ausweitung des Agenturgeschäfts auf alle gewerbliche Kunden entsteht für die Händler beim genauen Hinsehen kein Nachteil - insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade dort für die Händler im Neuwagengeschäft unter den heutigen Bedingungen nichts zu verdienen ist. Die Übernahme der größten Kunden in die eigene Regie von Audi würde erhebliche Ertragsverluste für die betroffenen Händler mit sich bringen. AH: Ist das Agenturgeschäft die Lösung für die Zukunft? W. Missing: Das Agentursystem mit echten Handelsvertretern kann für die Premiummarken durchaus einen wichtigen Bestandteil eines neuen Geschäftsmodells bilden, muss aber um weit darüber hinausgehende Maßnahmen ergänzt werden, um den Anforderungen des Digitalisierungszeitalters vollumfänglich zu genügen. Das gilt auch für die Volumenmarken, wobei hier das Agentursystem aufgrund des hohen Volumens kaum praktikabel sein wird und sich eher der Kommissionsagent als eine mögliche Lösung anbieten könnte. Online-Direktvertrieb AH: Warum sollte ein Hersteller das Internetgeschäft betreiben? Ist das nicht ein massiver Eingriff in die Händlerkompetenz? W. Missing: Für mich ist klar, dass es in Zukunft viel mehr Online-Direktvertrieb durch die Hersteller geben wird als heute. Wenn die Multi-Kanal-Präsenz unumgänglich ist, um den Kundenanforderungen im digitalen Zeitalter zu genügen, dann ist der Direktvertrieb der Hersteller über das Internet z. B. mit vorkonfigurierten Fahrzeugen oder Lagerwagen eine logische Folge und Entwicklung im Vertriebsgeschehen. Der Kunde will auf allen Ebenen und zu jeder Zeit mit den Herstellern und Händlern in Kontakt treten können. Ausschließlich er bestimmt letztlich, mit welchem der beiden Akteure er das tut. Es geht deshalb vor allem um die Frage, ob der Hersteller diesen Kanal völlig autark betreibt oder seine Händler einbindet. Letzteres liegt auf der Hand, da nur die Händler dem Kunden zur weiteren Betreuung in seiner Region zur Verfügung stehen können. Zu regeln gilt es insbesondere eine faire Vergütung der Händler für ihre Leistungen. AH: Lässt sich der direkte Zugriff auf den Kunden per digitalem Kundenportal über den Hersteller überhaupt vermeiden? W. Missing: Nein und das ist deshalb ein weiterer Grund für eine umfassende Neuorganisation der Vertriebsstufen und Prozesse. AH: Wann könnte es für die Händler gefährlich werden? W. Missing: Ich sehe eine generelle Gefahr für den Handel als solchen, wenn er nicht wie bereits dargelegt in die Transformation eingebunden werden wird. Ziel muss deshalb die vollständige Prozessintegration von Herstellern und Händlern sein. Sie ist - zusammen mit den entsprechenden IT-Landschaften - Basis und Voraussetzung für eine (vertriebs-)stufenfreie aktive Gestaltung und Pflege der Kundenbeziehungen. Voraussetzung ist weiterhin, dass um die Dienstleistungen der Händler für die Kunden herum quasi alles neu geregelt werden muss. Insbesondere die Vergütungssysteme. Neues Margensystem erforderlich AH: Im Neuwagengeschäft stimmen die Erträge heute schon nicht mehr. Wie müsste der Handel künftig monetär behandelt werden? W. Missing: In einem neuen Geschäftsmodell muss sich die bisherige Margenlogik vollständig ändern. Die Vergütung muss grundsätzlich leistungsbezogen auf Basis der für die Systemführer, also die Hersteller, durch den Handel erbrachten Dienstleistungen gestaltet werden. Im Neuwagenverkauf könnte dies über ein gestaffeltes Restprovisionsmodell - ergänzt um Prämien für den Verkauf bzw. die Vermittlung von Finanzprodukten - erfolgen. Dem Handel würde daraus eine kalkulierbare und auskömmliche Rendite für die durch ihn erbrachten Leistungen gesichert. Voraussetzung dafür ist, dass die Hersteller die Verantwortung für die Durchsetzung der Preise und die Stabilität der Restwerte übernehmen. AH: Rechnen Sie künftig mit deutlich weniger Händlern? W. Missing: Das wird die unausweichliche Konsequenz der fortschreitenden Digitalisierung verbunden mit dem Ausbau des virtuellen Vertriebs sein. Der im Sinne eines "Wachsens oder Weichens" bereits angesprochene Konzentrations-prozess in Richtung der großen Händlergruppen wird auch zu einer Reduzierung zumindest der Verkaufsstandorte führen. Denn wenn die neuen Megadealer das Neuwagengeschäft in den übernommenen Betriebsstätten so weiterbetreiben wie bisher, entstehen außer geringfügigen Skaleneffekten keine signifikanten wirtschaftlichen Vorteile. AH: Lassen sich die geplanten Änderungen im Rahmen der bestehenden GVO realisieren? W. Missing: Die derzeit diskutierten Änderungen von Audi bewegen sich im Rahmen der bestehenden GVO. Solange diese besteht, lässt sich daran auch nichts ändern und es ist jedem zu empfehlen, sich daran zu halten. Wenn Sie mich fragen, ob sie im Rahmen der Digitalisierung überhaupt noch Bestand haben wird, dann sage ich nein. AH: Herr Missing, vielen Dank für das Gespräch! Interview: Ralph M. Meunzel Vapv Ist Alarmiert Am 17. Mai hatte sich der Volkswagen und Audi Partnerverband (VAPV) an die Öffentlichkeit gewandt: VAPV-Vorsitzender Dirk Weddigen von Knapp hatte in Bezug auf die Pläne von Audi für neue Händler- und Serviceverträge von "massiven Eingriffen in das bisherige Kerngeschäft des Handels" gesprochen. Nach vorsichtigen Schätzungen würden die geplanten Vertragsänderungen bis zu 80 Prozent des aktuellen Geschäftes der Audi-Betriebe betreffen und somit mittelständische Unternehmen in ihrer Existenz bedrohen. Die Audi AG bekannte sich kurz darauf zu ihren Vertragspartnern und war sichtlich um Konsens bemüht. Branchen- und Vertriebsexperte Walter Missing, der den Autohandel seit Jahrzehnten aus Hersteller- und aus Handelssicht bestens kennt, kommentiert hier im Interview die laufende Debatte.

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