Wohin entwickelt sich die Autobranche? Habe ich mit meinem Autohaus überhaupt noch eine Zukunft? Das sind gegenwärtig die zentralen Fragen in all meinen Händlergesprächen. In der Tat, es kommt gegenwärtig eine so komplexe Verdichtung von Aspekten zusammen, die eine klare, für alle gültige Orientierung unmöglich machen. Zu groß sind all die damit verbundenen Veränderungen. Man muss auf Distanz gehen, um das Ganze in seiner Komplexität überhaupt zu überblicken.
Erste Feststellung: Es geht immer weiter! Jeder Krieg hat ein Ende. Zweite wichtige Feststellung: Das Produkt Auto hat weiterhin eine sehr gute Zukunft! Läuft das Ganze - wie politisch für Europa gesetzt - auf die E-Mobilität hinaus? Schon wackelt die verlässliche Aussage. Von erschwinglichen E-Autopreisen um die 25.000 Euro, den Reichweiten, der Ladesäulenversorgung, der notwendigen grünen Stromversorgung u.a. Das Jahr 2030 wird für uns alle anders aussehen, als wir das gegenwärtig prospektiv sehen. Wir werden 2030 mit unseren Computern dank KI und Roboting reden, nicht mehr "tippen". ChatGPT wird uns automatisch viele Antworten generieren. Im Autohaus integrierte Online-Plattformen werden neben dem Fahrzeug-Direktverkauf der Hersteller die Art des Fahrzeugverkaufs verändern. Spätestens 2030 werden wir keine Leasingverträge von 25 Seiten mehr ausdrucken, sondern im papierlosen Autohaus und der papierlosen Werkstatt arbeiten. Das geschieht nicht von allein, sondern bedarf von allen Seiten enormer investiver Mittel und mentaler Veränderung.
Die individuelle Perspektive
Und wie stellt sich die Situation für das einzelne Autohaus dar? Der Markenhändler sitzt schicksalhaft in seinem Markenboot. Und wie stellt sich die Zukunft für seine vertretene Marke bzw. Marken dar? Einige Hersteller haben sich vom Kleinwagensegment verabschiedet. Wie soll das fehlende Segment ergänzt werden? Das werden chinesische Marken zu nutzen wissen. Welche? Und wie? Auch da konzentrieren sich einige auf größere Händlergruppen – siehe BYD, MG u.a. Bei Hyundai fällt gegenwärtig in der Akquise ein starkes Engagement im Mercedes-Lager auf. Und was machen beispielsweise Seat-Händler, die zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre Marke 2030 eingestellt wird? Wird Seat durch Cupra ersetzt? Bin ich da in sieben Jahren noch dabei? So muss man Marke für Marke durchdeklinieren und stößt da vielfach auf Unsicherheit, mangelnde Offenheit und wenig Transparenz. Oder anders, man ist da zu viel Unsicherheit verdammt. Ergo: Habe ich mit meiner Marke(n) Zukunft? Wenn Porsche-Händler in Städten mit 40.000 Einwohnern 15 Millionen Euro für ein Neuinvestment in die Hände nehmen, dann strotzen die voller Zuversicht im Verbund mit ihrer "schwäbischen Marke". Das ist auch Realität!
Geschäftsmodell Agentur
Mercedes arbeitet in Deutschland seit drei Monaten mit dem reinen Agenturmodell. BMW, Ford, MG und Stellantis werden folgen. VW, Cupra, Audi, Skoda ziehen die unechte Agentur vor. Dahinter steht für alle – dank Teslas Direktvertrieb – das Anliegen der Vertriebskostensenkung, der direkte Zugang zum Kunden, Vertriebskanal- und Preissteuerung und die aktive Vorbereitung des Direktvertriebs durch die Hersteller. Lange Lieferzeiten und fehlende Ware, die die vergangenen zwei Jahre dem Auto-Gewerbe einen Ertragssegen brachten, sind inzwischen passé. Die "goldene Zeit" ist zu Ende. Mercedes-Benz muss jetzt schon hoheitlich aufgrund der zurückhaltenden Nachfrage und Überproduktion seine Agentur-Preislandschaft mit Nachlässen jenseits der 20 Prozent flexibel anpassen. Sie üben. Und BMW-Händler übertreffen das und sorgen über den Preis für Volumen. Altbekanntes "Rabattitis"-Modell! Aktuelles praktisches Beispiel aus der BMW-Organisation:
Anderes Beispiel, Cupra:
Veränderungen
Kann auf dem Agenturvertriebsweg eine Preisstabilisierung auf dem deutschen Markt gelingen? Das ist zumindest das Ziel! Wir halten dennoch fest, dass die entsprechenden Hersteller/Importeure über das neue Agenturmodell die Basismargen im Vertragshandel drastisch reduzieren. Die Losung: More for Less! Weiter: Um eine flexible Anpassung im Direktvertrieb am Tage X zu realisieren, wird die Händlervertragskündigungszeit von zwei auf ein Jahr reduziert. Und dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass ein werdender neuer Händlervertrag nicht verhandlungsfähig ist. Siehe Hyundai. Für was braucht man noch Händlerverbände, wenn nicht gemeinsam nach der besten Lösung gesucht wird? Die Skoda-Organisation hat sich immerhin für den E-Fahrzeugeinstieg auf acht bzw. dann 7,5 Prozent geeinigt. Im Ergebnis: More for Less!
Wertet man diese prägende Preis-Dominanz der Hersteller/Importeure im Neufahrzeugverkauf, so wird dem Markenhandel durch die Margenhalbierung eine markante Eigengestaltung im Neufahrzeuggeschäft entzogen. Wird so das Neuwagengeschäft im Markenhandel nicht systematisch zum "Beiwerk" gemacht, die eigentliche Aktivitas auf den Hersteller/Importeur übertragen? Gut so? Jeder verkaufte Neuwagen ist schließlich im Autohaus Werkstattstütze für die Zukunft! Beiwerk? Gelingt es so prägende Händlermarke vor Ort zu sein? Die persönliche Verkörperung der Marke vor Ort?
Die neue Priorität: Gebrauchtwagen!
Jetzt werden die Gebrauchtwagen zum besonderen Geschäftsmodell der Zukunft hochgeholt, da einige Kunden sich einen Neuwagen oberhalb der 45.000-Euro-Dimension nicht mehr leisten können. Dazu wird dann eine besondere Einkaufsstrategie empfohlen. Dazu bedarf es allerdings spezieller GW-Einkäufer, die auch international unterwegs sind. Man wird bei der echten Agentur genau hinschauen, wie die GW-Spielregeln aussehen. Kann ich als Händler den jeweiligen Gebrauchtwagen, der im Verbund mit einem Neuwagengeschäft steht, selber frei einkaufen? Oder gibt der Hersteller über ein GW-Gutachten den Inzahlungnahmepreis vor, zu dem ich als Händler das Fahrzeug erwerben kann? Oder geht das Fahrzeug in den Besitz des Herstellers über und er veräußert diesen über seine Börse, wer immer auch Zugriff zu dieser Börse hat? Auch hier gilt es, neue Erfahrungen zu sammeln. Kann so das GW-Geschäft zur neuen Verkaufspriorität im Autohaus werden? Auch dieses Pflaster klebt noch im Agenturvertrieb an diversen Unsicherheiten, um Erfolgsgarant zu werden.
Der ewige Retter: Service!
Jetzt wird weiter ein starker Service als große Chance offeriert, wohlwissend, dass beim E-Auto pro Durchgang 30 bis 50 Prozent Umsatzrückgang zu erwarten sind. Außerdem sind die meisten großen Handelsgruppen in ihrer Grundverankerung verkaufs-, nicht serviceorientiert. Das Geld wird bei ihnen bislang im Verkauf, nicht im Service verdient. Welcher Mentalitätswechsel ist da im Einzelfall angesagt! Große Handelsgruppen stehen heute bei einem Stundenverrechnungssatz von 180 Euro und für E-Fahrzeuge bei 220 Euro aufwärts. Pricing! Wer will, wer soll, wer kann das bezahlen? Die Preisspirale lässt sich nicht ewig nach oben drehen!
Der erste "Bosch Dienst" wurde 1921 in Hamburg eröffnet. Bosch und andere freie Werkstattsysteme werden da als freie Systemhäuser in Zukunft nicht im Trüben fischen und weiterhin als Vorbild für Freie Werkstätten dienen. Der Service-Kuchen wird künftig unter weniger Teilnehmern aufgeteilt werden. Es werden unabhängige Werkstattbetreiber wie auch Vertragswerkstätten ausscheiden. Sei es über all die Anpassungen, die über die Digitalisierung, Elektrifizierung, Fachkräftemangel, Nachfolgeprobleme, finanzielle Engpässe bis hin zur persönlichen Überforderung, Kräfteverschleiß wirksam werden. Jetzt werden für den E-Fahrzeug-Serviceeinbruch im Markenhandelsbetrieb neue Lösungen gesucht. Erste Empfehlung: Würden beispielsweise die deutschen Hersteller Kundenzufriedenheit wirklich auf Platz eins setzen, so würden sie endlich ihre zweijährige Neuwagengarantie auf fünf Jahre - wie Hyundai oder Mitsubishi - hochsetzen. Noch besser wäre das Vorbild von Kia, sieben Jahre, dann könnte man wirklich von der schnellsten aktiven Kundenbindung im Segment II sprechen. So einfach wäre das!
Fazit
Die zentrale Erkenntnis aus den angesprochenen Veränderungen ist dann die, dass die frühere gemeinsame Zielsetzung, hohe Fahrzeugvolumina zu marktgerechten Preisen zu vermarkten, endet. Die Hersteller-Händler-Relation reduziert sich auf eine reine, emotionsfreie Geschäftsbeziehung. Die Basismarge steht, und der Rest ist individuell auszuhandeln. Die Spielregel: More for Less! Händlerverbände reduzieren sich allenfalls als Impulsgeber für Verbesserungen. Klar, große Gruppen, die die Hersteller/Importeure alle wollen, wissen dabei, ihre Verkaufsmacht im Einkauf deutlich zu machen. Wir sprechen von 200 Handelsgruppen.
Es gibt aber 18.000 Marken- und freie Autohändler. Dort ist jeder selber Herr seines Schicksals und wird überlegen müssen, ob er sich einer Gruppe anschließt, sich im Markenvertrieb verabschiedet und als freier Mehrmarkenhändler agiert oder eine spezielle Nische bedient. Wir alle, ob Groß-, Mittel- oder Kleinbetriebe, wir werden weiter mit großer Unsicherheit leben müssen. Beste Voraussetzung: Gestalte aktiv deine Gegenwart und schaue mit deinem Team mit offenen Augen nach vorne! Noch eine gewichtige Erinnerung: Unabhängig der Betriebsgröße gilt, du musst mit deinem Team besser als der Wettbewerb sein, dann wirst du auch morgen dabei sein!