Ausgabe 11/2013: Ausverkauf der Sterne

Ausverkauf der SterneGW-Programme – Die ursprünglichen Ziele der herstellereigenen GW-Programme und ihre Umsetzung in der Praxis driften zunehmend auseinander. Das hat erhebliche Konsequenzen für den Markenhandel.Von Jörg Persigehl-Ahrens und Claaß Barth* GW-Programme existieren in Europa seit über zehn Jahren. Sie wurden geschaffen, um mehr Vertrauen in die Gebrauchtwagen der Markenhändler zu etablieren und um die Restwerte der jeweiligen Marke zu stabilisieren. Erreicht werden sollen diese Ziele durch einen professionellen GW-Prozess mit Elementen, die dem Käufer und dem Verkäufer ein hohes Maß an (vertraglicher) Sicherheit bieten. Jedes GW-Programm besteht aus einer intensiven technischen Durchsicht des Fahrzeuges und einem Garantieversprechen über mindestens zwölf Monate. Weitere Zusagen wie Inzahlungnahme, Umtausch, Finanzierungsmöglichkeit und Softwareupgrade erhöhen die Begehrlichkeit eines Fahrzeuges, das mit einem solchen Programm ausgestattet ist. Die Kunden freut das: Fahrzeuge mit GW-Programm werden bevorzugt gekauft. Der Geltungsbereich dieses „GW-Geschäfts mit Netz und doppeltem Boden“ ist bei den meisten Anbietern auf Gebrauchtwagen von einem halben Jahr bis zu fünf Jahren Alter und einer Kilometerleistung von bis zu 120.000 ausgelegt. Bei einigen Herstellern mit abgestufter Fahrzeug-Garantie auch länger. Um sicherzustellen, dass die Ambitionen der GW-Programme umgesetzt werden, legen viele Hersteller im Rahmen der Einführung dieser Programme Wert auf die Kompetenzentwicklung der Vertriebsnetzwerke. Die Idee ist, dass nur Betriebe mit ausreichender GW-Kompetenz mit dem GW-Programm richtig umgehen und echten Nutzen daraus ziehen können. Auf diese Weise erreichen die Hersteller eine Stärkung des Markenhandels, die die Autohäuser nutzen sollen, um höhere Preise zu realisieren. Das steigert die Restwerte und stärkt das operative Ergebnis des Markenhandels. Von diesem Konzept profitieren alle: Es ist betriebswirtschaftlich sinnvoll, risikomindernd, restwertstabilisierend und vorteilhaft für die Endkunden. Die Umsetzung der Programme Die positiven Erwartungen werden jedoch nur bedingt erfüllt. Sieht man sich im Markt um, werden vor allem sehr junge Fahrzeuge mit dem GW-Programm der jeweiligen Marke ausgestattet. Die eigentliche „Zielgruppe“, Fahrzeuge von drei Jahren und älter, profitiert eher selten. Es gibt offenbar eine fehlende Bereitschaft im Handel, ältere Fahrzeuge als GW-Programm-Fahrzeuge zu qualifizieren. Ein Fahrzeug mit dem GW-Programm auszustatten, kostet den Händler Geld: Für die jeweils vollständige Reparatur und die Garantieversicherung müssen durchschnittlich 600 bis 800 Euro kalkuliert werden, bei älteren Fahrzeugen eher mehr. Viele Händler sehen sich aus dem Stand nicht in der Lage, diesen Mehrwert im Markt zu realisieren, und versuchen, Kosten zu umgehen, indem potenzielle Programmfahrzeuge nicht qualifiziert werden, sondern als Nicht-Programm-Fahrzeuge verkauft oder sogar an Wiederverkäufer abgegeben werden. Bei vielen Händlern wird Ware über drei Jahre ohnehin immer weniger angeboten, sondern in Auktionen „abgeschoben“. Selbst Leasing-Rückläufer sind inzwischen davon betroffen. Die jungen Autos sind einfacher. Für Gebrauchtwagen jünger als zwei Jahre gilt noch eine Herstellergarantie, so dass für diese Ware weniger Garantielaufzeit gekauft werden muss. Auch ist der Reparaturumfang in der Regel kleiner. Der Mehrnutzen, den das GW-Programm bietet, kann so – aus Händlersicht – mit weniger Aufwand dargestellt werden. Aber auch die Hersteller tragen ihren Teil zu dieser Entwicklung bei: Der Außendienst der Hersteller hat sein größtes Interesse an Neuwagenverkäufen und hat Ziele für „Junge Gebrauchtwagen“– jedoch überwiegend wenig Interesse an dem klassischen GW-Geschäft der Händler. Analog gibt es Bonusvereinbarungen in der Regel nur für Neuwagen, junge GW und GW-Programmfahrzeuge. Vielfach ist kaum Kapital für die jungen GW erforderlich, weil sie im Rahmen der Kreditlinie der Herstellerbank finanziert werden. Der Ankauf ist denkbar einfach: Die jungen GW werden mit einer kompletten Reparaturkostenkalkulation in den vorhandenen Bestellsystemen angeboten. Niemand muss ein Risiko eingehen oder für diese Ware besondere Kompetenz besitzen. Die Volumenziele, die für Programmfahrzeuge ausgerufen wurden, werden mit der Ware zwischen sechs Monaten und zwei Jahren auch bequem erreicht. Somit ist diese Ware der größte Attraktor für den Markenhandel im großen Angebot der GW. Zusammengefasst bedeutet das: GW-Programme werden überwiegend zur Vermarktung von jungen Gebrauchten verwendet. „Klassische GW“ (ab drei Jahren) werden vom Handel als zu riskant für die Programmqualifizierung angesehen… …und zunehmend aus dem Fokus der eigenen Vermarktung gestrichen. Konsequenzen für die Beteiligten Die Auswirkungen sind erheblich: Die Potenziale der GW-Programme werden nicht ausgereizt. Damit sind aber auch ihre ursprünglichen – für alle Beteiligten so positiven – Ziele gefährdet. Die oben dargestellte Entwicklung führt dazu, dass der Markenhandel dem Charme des schnellen und risikoärmeren Geschäfts erliegt und sich nur noch auf die jungen GW fokussiert. Die GW-Programme geraten dabei „unter die Räder“. Der Markenhandel verliert zunehmend Kunden und Kompetenz für Fahrzeuge über drei Jahren. Allenthalben wird der Auslastungsverlust in den Werkstätten thematisiert (den variablen Serviceintervallen sei Dank), aber das Geschäft mit GW über drei Jahren, das die Auslastung erhöhen könnte, wird immer mehr aktiv beschnitten. Der Markenhandel riskiert auf diese Weise den Verlust von ganzen Interessenten- und Kundengruppen. Die Restwertdefinition wird zunehmend den freien Händlern überlassen und die GW-Abteilungen degenerieren zu „Werksdienstwagen/Mietrückläufer-Verscherbelungseinheiten“. Mögliche Lösungen GW-Programme für Fahrzeuge innerhalb der Herstellergarantie werden nicht benötigt. Hier sollte die Kernmarke stark sein und nicht verwässert werden. Für einen halb- oder einjährigen Mercedes beispielsweise reicht der Stern völlig aus, da ist die Submarke „Junge Sterne“ noch gar nicht notwendig. Deren Zeit kommt später. Das Vertrauen in Fahrzeuge lässt mit zunehmendem Alter nach. Insbesondere nach Ablauf der Herstellergarantie wächst der Wunsch nach Sicherheit. Die GW-Programme sollten erst dort ansetzen. Konsequent zu Ende gedacht, könnte auch die Trennlinie NW/GW in der Handelsorganisation nicht entlang der gesetzlichen Definition von sechs Monaten, sondern entlang der Herstellergarantie gezogen werden. Dann würden Fahrzeuge, für die noch eine Neuwagenanschlussgarantie erworben werden kann, von den NW-Abteilungen betreut werden. Das betrifft insbesondere die Werksdienstwagen und Mietrückläufer. Gespräche über Zielerreichung, Boni, Marketingaktionen, Markenauftritt für diese Fahrzeuge würden ausschließlich in den NW-Abteilungen geführt. Die GW-Abteilungen würden sich auf die ältere Ware fokussieren und dort Kunden und Geschäft zurückerobern. Dafür benötigen sie die Rückendeckung der Geschäftsleitung, Kompetenz, Kapital in Form von Liquidität, Retail-Fläche, eventuell Sonderkonditionen in der Werkstatt und – nicht zuletzt – ein Teilelager, in dem auch Teile für ältere Modelle liegen. Als Lohn winken höhere Auslastung, die Rückgewinnung einer Zielgruppe und unabhängige Erträge. Dann wird die GW-Marke leisten, wofür sie entwickelt wurde: die Restwerte stabilisieren und den Markenhandel profitabel unterstützen. ■* Jörg Persigehl-Ahrens und Claaß Barth sind Inhaber der Unternehmensberatung „Die Berater Nord GmbH – DBN automotive“. DBN berät Händler im AH-Management mit Fokus auf das Gebrauchtwagengeschäft. Kontakt: info@dbn-automotive.comFoto: Volkswagen

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