HB ohne Filter vom 2. Juli 2010
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Datum:
02.07.2010Heute zu den Themen: Chrysler-Händler loben Fiat-Engagement, 25 Jahre ATU, Nachhaltige Massenmobilität und Automobilgeschäft in der Zukunft.
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29. Juni – Dienstag
Chrysler-Händler loben Fiat-Engagement. Dass sich der Vorsitzende des Chrysler-Händlerverbandes, Peter Jakob, gleich zu Wochenbeginn auf AUTOHAUS Online zu Wort meldet, zeigt, wie notwendig es war, dass ich am vorangegangenen Freitag meine "Fresse" als Vorstandsmitglied im Verein für deutliche Aussprache weit aufgemacht hatte. Seine Ausführungen bestärken mich in meinem Eindruck, dass der deutsche Fiat-Chef Manfred Kantner den Chrysler-Sprecher Jakob am Petersberg, hoch über der Barock-Stadt Fulda, mit seinem ganzen österreichischen Charme übermächtig beeindruckt hat. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich die Auf-, Ab- und Unter-Welt von Fiat, in erster Linie die in Deutschland, seit 27 Jahren aufmerksam beobachte, ja journalistisch begleite.
Aus dieser Zeitspanne heraus hatte ich zur gesamten Garde der Vorstandsvorsitzenden – Gardoni, Fütterer, Fricke, Kantner u.a. – stets direkte Kontakte und recht gute Einblicke. Selbiges gilt für mein angestammt offenes, vertrauensvolles und langjähriges Verhältnis zum Fiat-Händlerverband. Es sei an dieser Stelle an die Parallele erinnert, wie schändlich BMW im Jahre 2000 die Rover-Trennung gegenüber den deutschen Händlern durchgezogen hat. Übel! Trotz BMW-Händlerverband! Die Welt von Chrysler ist mir nicht erst seit der unseligen "Schrempp-Ehe im Himmel", geschlossen 1998, endend in einem Milliardengrab für Daimler, einschlägig vertraut. Dieter Zetsche wurde aufgrund seines angeblichen Sanierungserfolges bei Chrysler Schrempp-Nachfolger. Und jetzt geht Fiat diese Mammutaufgabe an.
Es steht außer Frage, dass hier der Verbund Chrysler-Lancia, inklusive Jeep und Dodge, unter dem Dach von Fiat eine riesige Herausforderung darstellt und deren Zusammenwachsen im Vertrieb nicht vom ersten Tag an reibungslos funktionieren kann. Jawohl, das Geschäft, der Alltag sollte trotz holpriger Wege weiterlaufen.
Weichenstellungen
Warum äußert sich aber Fiat erstmals zur Neukonzeption in einem Rundschreiben am 20. Mai und verbindet damit zum 1. Juni das Händlereinverständnis? Der Händler soll innerhalb von zehn Tagen auf dieser fragwürdigen Grundlage eine Grundsatzentscheidung unterschreiben. Man hätte sich eine Händlerversammlung gewünscht, in der die künftige Strategie von den verantwortlichen Herren vorgestellt worden wäre. Dies im Verbund mit einer angemessenen Zeitachse für deren praktische Umsetzung. Stattdessen schickt Fiat am 20. Mai gleich eine Zweitschrift mit und droht darin an, wer nicht unterzeichnet, wird künftig keine Belieferung der Vertragsware ab 1. Juni 2010 erhalten. Dann folgt unmittelbar danach ein weiteres Fiat-Schreiben. Dort heißt es, "dass die zwischen Ihnen und der Chrysler Deutschland GmbH vereinbarten Verträge auf Fiat übergehen". Plötzlich ist dieses Rundschreiben ein Versehen, obwohl dessen Inhalt juristisch die faire Basis für eine zukünftige Partnerschaft wäre.
Ein derartiger Rückzug schafft beim aufmerksamen Beobachter natürliche Vorbehalte. Das kann doch nicht bloß ein Versehen gewesen sein! Nein, das ist Gesinnung! Wer eine derartige Haltung auflegt, zeigt damit, was man von ihm erwarten kann. Derartige Taten reisen uns aber noch lange nach. Im Fall von Fiat auf die Reduktion auf den Erfüllungsgehilfenstatus. Der Zeitraum vom 20. Mai bis 1. Juni sollte man im neuen Chrysler-Fiat-Verbund in unserer Sprache als "Kaltstart" charakterisieren. Hätten die handelnden Herren Benzin im Blut, würden sie für das "Händlermaterial", den eigentlichen Motoren viel mehr Sensibilität zeigen.
Die offene Flanke
Faktum ist, dass der Lancia-Händlervertrag gekündigt ist. Tatsache ist, dass Chrysler-Händler unterschiedliche LOI (Letter of Intent) erhalten haben. Was eine Händlervertragskündigung gegenüber einer Bank bedeutet, welch dürftigen Stellenwert LOI für Banken haben, das haben doch nicht wir zu vertreten. Selbiges gilt für die unsinnige Abschaffung des zweigliedrigen Vertriebssystems. Dass sich Fiat größte Mühe gibt, das Alltagsgeschäft auf Vordermann zu bringen und Peter Jacob dieses besondere Engagement lobt, ist keineswegs zu beanstanden. Oft ist es ein langer Weg zur Erkenntnis, dass es gemeinsam besser geht. Gerade bei Fiat. Ein gutes Einvernehmen schafft eine gute Atmosphäre, so dass das neue Pflänzchen nach und nach Muskeln ansetzen kann.
Wenn Peter Jakob aber schreibt, "was die juristische Situation betrifft, so müssen hier die Anwälte eine Klärung herbeiführen", dann zeigt das, dass gegenwärtig das Vordingliche über das Eigentliche gestellt wird. Komisch, als ich am 4. Juni 2010 an dieser Stelle den Fragenkatalog, den die Chrysler-Händleranwälte zusammengestellt hatten, positiv würdigte, habe ich von Peter Jakob nichts gehört. AUTOHAUS war dann zur anstehenden Händlerveranstaltung am 18. Juni nach Köln eingeladen – und wurde dann wieder ausgeladen. Auf wessen Geheiß hin wohl? Fiat lässt grüßen! Man lässt die Händler abermals den Alltag gestalten, hofft auf klärende Zeit und versucht so Fakten zu schaffen, über die mancher Händler dann stolpern wird. Wir werden sehen, wie die Stunde der Wahrheit am 31. Mai 2011 aussehen wird.
Ich verweise abermals auf den sehr guten Fragenkatalog, den die Händlerjuristen zusammengestellt haben. Da, lieber Herr Jakob, herrscht nach wie vor ein gigantischer, ja grundsätzlicher Klärungsbedarf. Es geht um den eigentlichen Rechtsrahmen und damit um die grundlegende Existenz des einzelnen Chrysler-Händlers. Man sollte Fiat nicht einfach über den grünen Klee loben, nur weil ein Händlerverbandspräsident in der Regel einige Behandlungs- und Bearbeitungsvorzüge genießt. Tatsache ist, dass die heutigen Werksmanager an diesen Schaltstellen nicht das Interesse der Händler im Blickfeld haben, sondern primär ihre eigene Position. Und die bezieht sich auf die Frage: Wie kommen wir drum herum, irgendetwas an einen Händler bezahlen zu müssen? Selbiges Spiel finden wird bei anderen Marken. Niederlassungen (Mercedes-Benz, Audi) erhalten Gelder, um angrenzende Händler konditionell an die Wand zu drücken. Ford ziert sich im Garantiebereich mit ansprechendem Ausgleich. Restwertverluste aus Leasinggeschäften werden beim einen Händler ausgeglichen, andere lässt man gegen die Wand laufen. Schauen Sie sich, Herr Jakob, doch das aktuelle Antwortschreiben der Mercedes Benz-Bank-Anwälte vom 22. Juni 2010 an, das sie erhalten haben. Nichts mit Ausgleichsansprüchen!
Wenn Sie schon eine kritische Berichterstattung für gutheißen, dann sollten Sie es zulassen, dass wenigstens ein Fachorgan auf das Ganze schaut. Wir lassen in unseren Online-Foren wie in Leserbriefen jeden zu Wort kommen, weil wir wollen, dass die jeweiligen Sachverhalte von verschiedenen Perspektiven ausgehend kommentiert werden. Es müssen dort ja nicht immer dieselben Schreiberlinge sein wie "Rick Marlowe" oder "Hans von Ohain", die sich hier unter ihrem Decknamen "outen". Wir können, dürfen und müssen manches sagen, was ein Verbandspräsident gar nicht sagen darf. Gehen sie außerdem davon aus, dass wir oftmals mehr wissen, als wir schreiben dürfen. Es geht uns sehr wohl um die Verantwortung im Miteinander. Nur Fairness hat langfristig Zukunft!
30. Juni – Mittwoch
25 Jahre ATU. Was 1985 in Weiden als Reifenfachhandel seinen Lauf nahm, weitete sich bis heute in Deutschland auf 620 Stationen aus. ATU-Gründer Peter Unger hat sein Unternehmen an eine "Heuschrecke" verkauft, und diese hat bis heute hohe Zinsbelastungen einzutreiben, damit die "ATU-Veranstaltung" überhaupt funktioniert. Überm Berg sind die nicht. Als vergleichbarer Contra-Partner ist Pit-Stop zu nennen. Dort wird in diesem Jahr das 40-jährige Bestehen gefeiert. Es lohnt sich, die Offerten beider einmal näher anzuschauen.
Der Hammerpreis wird im Ölgeschäft gesetzt. ATU bietet den Ölwechsel inklusive Ölfilter und ATU-Markenöl bis zu 4,5 Liter vom Fass für 25 Euro an. Wer Leichtlauföl haben möchte, zahlt 35 Euro, wer gar mit Syntheseöl auffährt, hat 50 Euro zu bezahlen. Bitte, ATU ist der größte Castrol-Ölverkäufer Deutschlands. Pit-Stop offeriert den Ölwechsel inkl. Filter und Premiummarkenöl 15 W-40 bis fünf Liter für 20 Euro! Nochmals: 20 Euro. Früher nannten sie das Öl noch Castrol-Premiumöl. Da wurden sie wohl angehalten, Castrol werblich zu schlucken. Sprich: Die Ölperle steht wettbewerblich durch ATU und Pit-Stop erheblich unter Druck!
Die Urlaubsdurchsicht kostet – 30 Prüfpunkte – bei ATU fünf Ero inklusive sechs Monate europaweite Mobilitätsgarantie. Pit-Stop setzt hier als Urlaubscheck ein Neun-Punkte-Programm für 15 Euro dagegen. Beide hinterlegen das im Internet mit der massiven Aufforderung, eine Online-Reservierung vorzunehmen. Repräsentative Tests von Stoßdämpferspezialist Monroe zeigen, dass jedes zweite Fahrzeug mit defekten Stoßdämpfern unterwegs ist. Pit-Stop offeriert als WM-Sonderangebot für Fahrzeuge – elf Jahre oder älter – das Stoßdämpfer-"Halbfinale" mit 50 Prozent Nachlass. Aber nur bei Onlineanmeldung.
ATU offeriert die Inspektion für 60 Euro zuzüglich Material – für alle Pkw, Pit-Stop ist da mit 40 Euro unterwegs. Nach Herstellervorgaben zzgl. Material und Zusatzarbeiten. Jetzt mit zwölf Monaten europaweiter Mobilitätsgarantie. Für Auspuffanlagen geht ATU mit fünf Jahre Garantie ohne Kilometerbegrenzung ins Rennen. Die HU/AU kostet bei Pit-Stop 69 Euro. ATU bietet diese an, aber ohne Preisangabe. Aber: Prüfung täglich auch ohne Voranmeldung, wie ATU den Schnell-Service nach vorne bringt. Damit sei deutlich gemacht, dass der Service-Wettbewerb immer aggressivere Ausformungen annimmt, und damit die Margen im Service unter noch stärkerem Druck stehen werden.
1. Juli – Donnerstag
Nachhaltige Massenmobilität. Viele Wege führen in die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist Zukunft, so wird es an vielen Orten gelehrt. Das gilt auch für das Mobilitätsvehikel Auto. Einigkeit herrscht unter den Verkehrsplanern für die Ballungszentren: Das Auto muss Platz machen – zugunsten von Rad- und Fußwegen. Die Zukunft des Elektroautos wird als Kleinwagen in Ballungszentren gesehen. Es löst aber längst nicht alle Verkehrsprobleme der Städte. Etwa die Frage, wie viel Raum der Individualverkehr einfordern darf? Selbst der wachsende Kult um den Drahtesel, sprich Fahrrad schafft besondere Herausforderungen. Münster gilt als die deutsche Fahrradhauptstadt. Die Quote der Fahrten per Velo übertrifft mit 38 Prozent die Touren per Auto (36). Die Liebe zum Velo geht dort zu Lasten des öffentlichen Nahverkehrs, nicht zu Lasten des Automobils. In München liegt die Radler-Quote bei 14 Prozent, im gesamten Land bei zehn Prozent. Die PS-schwache Konkurrenz erhält für die Ausweitung des Radverkehrs 2010 allein 110 Millionen Euro. Politisch will man die Radler-Quote bis 2020 auf 18 Prozent anheben. Dazu werden oftmals die neuen Radwege vom Verkehrsraum der Autos abgeknapst.
So ganz heimlich und leise erhält das Automobilgewerbe von der Seite der Energieversorger sichtbare Konkurrenz. Innovativ und umweltfreundlich steigen sie als Stromlieferanten mit gezielten Projekten wie "Klima Rider" und exklusiven Fahrrad-Sondermodellen in das Zukunftsthema Elektromobilität ein. Sie lassen unter ihrem Design Elektrofahrräder bauen – zum Beispiel MVB, Flyer – und vertreiben diese Fahrräder. Beim Kauf eines Elektrobikes erhält der Kunde eine Gutschrift über 50 kWh auf seiner Stromrechnung. Dem entspricht ca. 150 Akkuladungen oder ca. 7.500 Kilometern Fahrvergnügen im Jahr.
Gehen wir noch weiter. RWE, der größte deutsche Stromanbieter, hat heute schon mehr als 300 öffentliche Ladepunkte für E-Autos in 42 Städten aufgebaut, obwohl bislang kaum Kunden vorhanden sind. Ende 2010 sollen es 1.000 sein. Sie arbeiten daher mit starken Partnern zusammen. Sixt offeriert den Elektro-Mietwagen, der ADAC setzt Elektrofahrzeuge bei Pannenhilfe ein. RWE geht an Kommunen, an Supermarktketten oder auch an große Parkhausbetreiber wie Apcoa heran. Die Wettbewerber Eon, Vattenfall oder EnBW werden folgen. RWE und Daimler unterhalten derzeit in Berlin eine Testflotte mit E-Smarts. Bleibt die Frage, wie künftig die Vermarktungskooperationen für E-Autos aussehen werden. Gleich dem Handymarkt wird künftig der Nutzer nur noch eine Gebühr entsprechendem seinem Verbrauch bezahlen. Die Frage ist nur an wen? Einige Autohäuser haben bereits Gastankstellen auf ihrem Gelände installiert. Weshalb sollte diese nicht um die Elektroladestation ergänzt werden? Wie verhalten sich in dieser Frage die Mineralölkonzerne? Die "urban mobility" wird über "elctric drive" noch zu manchen nachhaltigen Veränderungen führen.
2. Juli – Freitag
Automobilgeschäft in der Zukunft. Es ist ratsam, von einem Buch nicht nur den Anfang zu lesen, sondern vor allem den Schluss, die Quintessenz. Branchenexperte und Bankier Andreas Finkenberg schreibt in seinem Buch "Finanzierung & Leasing im Autohaus" als Schlusswort:
- Die Erträge aus dem Neuwagenverkauf bleiben klein oder tendieren gegen Null. Der Einfluss der Hersteller und Importeure wird kaum zurückgehen. Das unternehmerische Element im Neuwagen-Automobilhandel verkümmert im Franchise-System.
- Das Gebrauchtwagengeschäft erfordert gutes Management und ausreichende Liquidität, um es profitabel zu betreiben.
- Das Servicegeschäft ist bedroht durch längere Wartungsintervalle, bessere Technik, und den ATUs dieser Welt. Flatrates sind wohl nicht die Erlösung, sondern nehmen im Zweifel eher einen weiteren Preisspielraum weg.
- Es wird weiter schwierig sein, den hohen Kapitalbedarf für das Handelsgeschäft zu refinanzieren.
- Finanzdienstleistungen als „vierte Säule“ des Unternehmens erfahren eine steigende Ertrags- und Kundenbindungsbedeutung und entwickeln sich zum stabilisierenden Element.
Andreas Finkenberg wird sich auch dazu auf der AUTOHAUS-Sommerakademie vom 25. bis 27. August 2010 in Kitzbühel als Referent äußern.
Spruch der Woche:
"1980 hat ein VW Golf in der Standardausführung 10.955 DM, sprich 5.601 Euro, gekostet. Heute kostet der Basis-Golf 16.650 Euro. Das ist eine Preissteigerung von knapp 300 Prozent!“
Beste Sommergrüße
Ihr
Prof. Hannes Brachat
Herausgeber AUTOHAUS
wpo
Eugen Thoma
Multidix
TT RS
H.v. Bödefeld
Wilhelm Hülsdonk
R. Sanders
E. Kühlwetter (wallibelli)
H.v. Bödefeld