Ausgabe 19/2008: Es geht auch ohne

Brennstoffzelle / Die Zukunft liegt im Wasserstoff.Es geht auch ohnevon Ralph M. MeunzelFür längere Fahrten ohne fossile Kraftstoffe ist die Brennstoffzelle die ideale Lösung. Ab 2012 wird man beispielsweise bei Mercedes-Benz marktreife Autos kaufen können. Da es keine universelle Lösung gibt, werden sich die bekannten Antriebskonzepte allerdings ergänzen müssen. Dazu ein Gespräch mit Dr. Andreas Truckenbrodt, Geschäftsführer der Automotive Fuel Cell Cooperation in Burnaby bei Vancouver.AH: Herr Dr. Truckenbrodt, wie sehen die technologischen Lösungen der Autoindustrie hinsichtlich der Endlichkeit von fossilen Brennstoffen aus?Dr. Truckenbrodt: Die Lösungen sind vielfältig. Der Antriebsmix der Zukunft wird aus effizienten Benzin- und Dieselfahrzeugen und Hybridautos sowie Batterie- und Brennstoffzellenfahrzeugen bestehen. Das Entscheidende ist, für jede Anwendungsform den passenden Antrieb anzubieten. Wer beispielsweise viel Langstrecke fährt, nutzt den Diesel, in der Stadt bewähren sich der Hybrid oder auch Batteriefahrzeuge. Wenn man unabhängig vom Erdöl sein will, emissionsfrei fahren möchte und eine größere Reichweite haben will, ist die Brennstoffzelle die ideale Lösung.AH: Das Ende des Erdöls wird also nicht das Ende des Automobils einläuten?Dr. Truckenbrodt: Definitiv nein. Individuelle Mobilität ist ein Grundbedürfnis, das vom Automobil optimal befriedigt wird. AH: Sie haben die Vielfältigkeit der künftigen Antriebstechnologien angesprochen. Wird es also keine universelle Lösung geben, beispielsweise die Brennstoffzelle?Dr. Truckenbrodt: Wie gesagt, es wird nicht den einen Königsweg geben. Deswegen ist es wichtig, in neue Technologien zu investieren und gleichzeitig die bestehenden gezielt weiter zu entwickeln.AH: Sind Hybrid und Brennstoffzelle bereits praxisnahe Lösungen?Dr. Truckenbrodt: Mit dem Mercedes-Benz S400 Blue Hybrid und dem ML 450 Blue Hybrid werden wir bereits im nächsten Jahr unsere ersten Hybridfahrzeuge auf den Markt bringen. Die Brennstoffzelle ist heute schon alltagstauglich. Wir haben seit 2004 über 100 Testfahrzeuge in Kundenhand, die sich mit über 4 Millionen zurückgelegten Kilometern bereits im Alltagsbetrieb bewährt haben. In 2010 werden wir mit der B-Klasse F-Cell die erste Kleinserie an Brennstoffzellen-Pkw produzieren. Und wir gehen davon aus, dass wir zwischen 2012 und 2015 die Marktreife erreicht haben werden. Bis dahin werden wir die Zuverlässigkeit weiter erhöhen und die Kosten spürbar reduzieren. Gleichzeitig brauchen wir dafür aber eine Infrastruktur in Form von Wasserstofftankstellen.AH: Der Hybrid ersetzt keine fossilen Brennstoffe, sondern dient der Verbrauchsreduzierung.Dr. Truckenbrodt: Der Hybrid ist physikalisch die richtige Lösung und eine wichtige Basistechnologie, weil die Bremsenergie gespeichert und wieder genutzt wird. Damit ist diese Technik auf sämtliche Antriebskonzepte anwendbar.AH: So richtig scheint sich der Hybrid allerdings noch nicht durchzusetzen?Dr. Truckenbrodt: Der Hybridantrieb ist zunächst komplexer und teurer. Hinsichtlich des Verbrauchs ist ein Benzinhybrid inzwischen mit einem Dieselfahrzeug vergleichbar. Der Hybrid wird sich als eine Alternative durchsetzen – auch als Dieselhybrid.AH: Hängt das vor allem vom Benzinpreis ab?Dr. Truckenbrodt: Die Nachfrage nach sparsamen Fahrzeugen ist steigend. Der Bedarf an Hybridfahrzeugen wird damit weiter zunehmen.AH: Bei der Entwicklung der Brennstoffzelle arbeitet Mercedes-Benz mit Ford in Form eines Jointventure zusammen. Wie lauten Ihre Entwicklungsvorgaben?Dr. Truckenbrodt: Unser Ziel ist es, die Brennstoffzelle als eine Hauptantriebstechnologie zu entwickeln. Der Zeitkorridor beträgt dabei fünf bis zehn Jahre.AH: Was ist der Vorteil der Brennstoffzelle?Dr. Truckenbrodt: Die Vorteile sind im Wesentlich vollständige Abgasfreiheit und ein hoher Wirkungsgrad. Das Prinzip ist alt. Erfunden wurde die Brennstoffzelle bereits im 19. Jahrhundert. Man hat die Elektrolyse – also das Zerlegen von Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff – einfach umgekehrt. Jeder kennt den Effekt der Knallgasexplosion aus dem Physikunterricht. Die Kunst ist es jetzt, daraus ein autokonformes Package zum akzeptablen Preis zu generieren.AH: Der Motor wird dann durch einen Kasten ersetzt, der Strom erzeugt und einen Elektromotor antreibt?Dr. Truckenbrodt: In der Brennstoffzelle laufen elektrochemische und keine mechanischen Vorgänge ab. Wir haben keine beweglichen Teile mehr. Der Strom wird in einer "Zelle" erzeugt, der in der Mitte eine Membran hat. Auf der einen Seite haben wir Wasserstoff, auf der anderen Luft. Über einen Katalysator auf der Membran wird dem Wasserstoffmolekül ein Proton entnommen, das auf die andere Seite wechselt. Dadurch entstehen, vereinfacht gesagt, Strom und Wasser.AH: Welche Gemeinsamkeiten haben Brennstoffzelle und Hybrid?Dr. Truckenbrodt: Wir verwenden jeweils Hochspannungselektromotoren mit der jeweiligen Leistungselektronik, die gleiche Batterie und einige gleiche Elemente der Regelung.AH: Welche Rolle spielt die Batterie?Dr. Truckenbrodt: Die Brennstoffzelle funktioniert auch ohne Batterie. Die Bremsenergie soll aber auch bei diesem Prinzip genutzt werden. AH: Kann noch etwas verschleißen?Dr. Truckenbrodt: Es geht um die Standfestigkeit der Membran, die sich im Betrieb abnutzen kann. Eines unserer Entwicklungsziele geht deshalb genau in diese Richtung.AH: Was entscheidet über die Leistung der Brennstoffzelle?Dr. Truckenbrodt: Eine Zelle erzeugt ca. ein Volt. Durch die Koppelung von zum Beispiel 200 bis 300 Zellen können wir die Spannung und Leistung gebrauchsgerecht erhöhen.AH: Kann man sich einen Ferrari mit Brennstoffzelle vorstellen?Dr. Truckenbrodt: Im Prinzip ja, aber lieber einen Hochleistungs-Mercedes. Wir können Brennstoffzellen mit bis zu 300 Kilowatt an Leistung bauen. Das stellt derzeit allerdings noch sehr hohe Anforderungen an die Kühlung, weil wir die Wärme, die trotz des doppelt so hohen Wirkungsgrads entsteht, ausschließlich über das Kühlwasser abführen müssen.AH: Die Brennstoffzelle wird mit Wasserstoff betrieben, der per Elektrolyse erzeugt wird. Wie hoch ist der Verbrauch?Dr. Truckenbrodt: Ein vernünftig konstruiertes Auto benötigt ca. ein Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometer. Das entspricht in unserer A-Klasse einen Verbrauch von rund 3 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Neben Standfestigkeit und Kosten geht es auch noch um die Speicherfähigkeit des Wasserstoffs. Hier setzen wir auf einen Druckspeicher mit einem Druck von 700 bar.AH: Wie hoch ist das Gewicht des Brennstoffautos im Vergleich zum herkömmlichen Fahrzeug, z. B. einer A-Klasse?Dr. Truckenbrodt: Das Gewicht liegt bei einer B-Klasse mit rund 1.700 Kilogramm etwa 350 Kilogramm höher als beim selben Fahrzeug mit konventionellem Antrieb.TankstellennetzAH: Wer soll das Tankstellennetz betreiben?Dr. Truckenbrodt: Hier erwarten wir mehr Engagement der bekannten Tankstellenbetreiber. Die Produktion des Wasserstoffs sollte im Idealfall durch Strom erfolgen, der aus Solar- oder Windkraftanlagen stammt. Kurzfristig könnte Wasserstoff auch aus Erdgas produziert werden. Das wäre – in Verbindung mit dem besseren Wirkungsgrad der Brennstoffzelle – immer noch effizienter, als aus Öl Benzin zu machen und dies in einem Verbrennungsmotor zu verbrennen. Ein weiterer Vorteil von Wasserstoff ist die Unabhängigkeit von Öllieferungen aus kritischen Gebieten. Wasserstoff kann man überall aus Strom und Wasser machen. Wasserstoff wird in Zukunft ein wichtiger Energieträger sein.AH: Wie komplex ist die Betankung?Dr. Truckenbrodt: Sehr ähnlich wie bei Benzin, Diesel oder Gas: mit Schlauch und Füllstutzen in wenigen Minuten.AH: Muss man Abstriche im Fahrbetrieb machen?Dr. Truckenbrodt: Ganz im Gegenteil, aufgrund des Elektroantriebs steht das maximale Drehmoment bereits in der Startphase voll zur Verfügung. Das bedeutet mehr Fahrspaß.AH: Nun kooperiert Mercedes-Benz mit Ford. Sollten nicht mehr Hersteller gemeinsam entwickeln?Dr. Truckenbrodt: Auf der einen Seite wäre das sicher sinnvoll. Andererseits geht es aber auch um steigende Komplexität und Wettbewerb. Inzwischen haben wir einen Entwicklungsstand erreicht, der schon nahe an der Serie liegt.AH: Herr Dr. Truckenbrodt, herzlichen Dank für das Gespräch.

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