Ausgabe 21/2013: Digitale Werkstatt

Die Zukunft liegt in gewissem Sinne bereits in der Vergangenheit. Genauer gesagt ist die Art und Weise, wie Kfz-Profis morgen arbeiten werden, Anfang Oktober von VW präsentiert worden. Mit dem Projekt MARTA (Mobile Augmented Reality Technical Assistance), das im Rahmen der Konferenz "InsideAR" in München vorgestellt wurde, sollen Servicekräfte die zunehmende Komplexität moderner Fahrzeuge strukturierter bewältigen können. So zumindest das verlautbarte Ziel aus Wolfsburg.Die so genannte Augmented Reality (AR) ist aber nur einer von vielen Veränderungsparametern, die das künftige Service- und Ersatzteilgeschäft prägen können. Es kündigen sich bereits zahlreiche technologische Impulsgeber an, die in Werkstätten Einzug halten und Veränderungspotenzial entfalten. Im Folgenden soll auf einige eingegangen werden. Einschränkend muss natürlich erwähnt werden, dass aufgrund der hohen Komplexität der Einflussfaktoren und deren wechselseitiger Abhängigkeit verbindliche Aussagen zur Werkstattpraxis im Jahr 2025 nicht möglich sind.Telematik und VernetzungBis 2016 sollen global über 210 Millionen "Connected Cars" unterwegs sein, heißt es im Beitrag "Bewegte Welten" des Magazins "Versicherungswirtschaft" von Oktober. Der weltweite Umsatz mit Produkten, die in Zusammenhang mit dieser Vernetzung stehen, soll sich bis 2020 mehr als verzehnfachen, heißt es in einer aktuellen Studie von Booz & Company. Es gibt viele Gründe, die für diese "Connectivity" sprechen: Die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander und mit der Infrastruktur kommt der Straßenverkehrssicherheit zugute. Überdies bieten Versicherungen so genannte Telematiktarife an und ködern Kunden mit niedrigeren Prämien. Im Gegenzug gewähren die Autofahrer den Gesellschaften den direkten Draht ins Auto, um die eigene Fahrweise zu überwachen. Diese Standleitung ins Automobil wünschen sich auch die Fahrzeughersteller. Technisch ist das kein Problem: Die derzeit im Einsatz befindlichen Telematiksysteme sammeln anonymisierte Daten und geben Informationen. Carwings, Command oder Connected Drive dienen in erster Linie der Kommunikation und Unterhaltung. Zudem stehen häufig sicherheitsrelevante Features zur Wahl. So sorgen einige Systeme beim Unfall für eine Verständigung der Rettungskräfte. Darüber hinaus können die gesendeten Daten jedoch auch Servicerelevanz entwickeln. Der ehemalige Ford-Servicedirektor Reinhard Zillessen sprach vor dem Hintergrund der "Connectivity", die Infotainment-Tools wie das Ford-eigene Sync erlauben, von besonderen Dienstleistungen seitens der Hersteller: Autobauer könnten mit Haltern in Verbindung treten, um Inspektionserinnerungen zu geben oder die Telediagnose anzubieten. Man kann noch einen Schritt weitergehen: In Zukunft werden Werkstätten bereits vor der telefonischen Terminvereinbarung die Dauer und den Umfang der zu verrichtenden Arbeiten vom Fahrzeug einschätzen können und Ersatzteile bestellen.WerkstattsteuerungDie Verbindung ins Fahrzeug erlaubt also die Steuerung von Schadenfällen und Reparaturleistungen. In der Studie des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen "Automobilservice 2025 - Entwicklungslinien im Servicegeschäft der Zukunft" von Prof. Dr. Stefan Reindl und Mark Klümper heißt es dazu: "Servicerelevante Daten, die fahrzeugbezogenen, aber auch personenbezogenen Ursprungs sein könnten, würden es der durch den Kunden selektierten Werkstatt ermöglichen, notwendige Serviceergebnisse nach individuellen Vorgaben des Kunden in den eigenen Betrieb zu steuern." Allerdings seien solche IT-gestützten Prozesse auch wettbewerbsrechtlich bedenklich, denn sie hätten das Potenzial, die Kräfteverhältnisse zwischen freien und fabrikatsgebundenen Anbietern im Service- und Teilegeschäft zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, wem die Daten zufließen. Nach derzeitiger Rechtsauffassung benennt der Käufer den Adressat. Bei Neuwagenkäufern dürfte dies der Autohändler sein. Im Fall eines Gebrauchtwagenkaufs ist die Sachlage schon weniger klar. Die IfA-Forscher identifizieren in ihrer Prognose zudem Akteure, die künftig an Bedeutung gewinnen werden: So genannte "Intermediäre" bringen sich als Mittler zwischen Kunde und Serviceanbieter in Stellung. Dazu gehören u. a. die Flottenmanager und Versicherungsgesellschaften. Diese beeinflussen die Wahl der Werkstatt, die Anzahl der Aufträge und handeln vorteilhafte Konditionen aus. Je größer der verwaltete Fahrzeugpool, desto negativer die Auswirkungen auf die Betriebe. "Denn der Preis für die Mitgliedschaft im Schadennetz eines Schadensteuerers oder Versicherers sind Zugeständnisse bei den Stundenverrechnungssätzen, kostenlose Zusatzleistungen für Kunden, hohe technische Standards, was Ausstattung und Reparaturqualität anbetrifft", wie asp-Chefredakteur Frank Schlieben in unserer Schwesternzeitschrift schrieb.IT und Big DataNeofitos Arathymos vom ZDK ließ die Zuhörerschaft beim Servicetag des ZDK in Nordrhein-Westfalen im September wissen, dass in den siebziger Jahren der VW Käfer noch rund 100 Lines of Code (LOC) hatte. Unter LOC verstehen Informatiker die Anzahl an programmierten Zeilen, also die aufgespielte Software. Die aktuelle Mercedes-Benz S-Klasse allerdings verfügt über mehr als 300 Millionen LOC. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. "Die Zunahme der Rolle von Software im Automobil gleicht mehr einer Revolution denn einer Evolution", schreibt Professor Manfred Broy, Inhaber des Lehrstuhls Software Systems Engineering am Institut für Informatik der TU München, in "ATZ elektronik" (5/2013). Diese Entwicklung hat zur Folge, dass das regelmäßige Software-Update wichtiger Bestandteil der Servicechecks wird. Bereits heute sieht man erste Ansätze, beispielsweise beim Volvo "Service 2.0".Der Autofahrer erwartet die Nutzung seiner Smartphone-Funktionalitäten im Fahrzeug, weiß man im Competence Center der Beratungsfirma NTT Data. Diese Haltung werde zunehmen. Mit mindestens einer negativen Auswirkung: Wenn sich Smartphone, Laptop oder auch Smartwatch mit der Bordelektronik verbinden lassen, so leidet möglicherweise die IT-Sicherheit des Fahrzeugs. Schließlich sind diese Schnittstellen Einfallstore für Viren. Spezialisierte Servicebetriebe könnten sich als Virenpolizei positionieren. Eventuell betreten auch neue Akteure die Service-Bühne. So könnten Unternehmen mit Anti-Hacker-Expertise, wie beispielsweise die zu Bosch gehörige Escrypt GmbH, neue B2B-Geschäftsmodelle entwickeln, wie die Süddeutsche Zeitung am 28. September prognostizierte. Die zu bewältigende Datenflut könnte im Übrigen einen weiteren neuen Typus von Marktteilnehmer auf den Plan rufen: Die Datensammelleidenschaft der Fahrzeug- und Diagnosegerätehersteller lässt sich nämlich nur dann sinnvoll auswerten, wenn ein vernünftiges Strukturieren und Suchen gelingt. Dazu benötigt man gute Algorithmen - und damit eine Belegschaft ausgezeichneter Informatiker und Mathematiker. Auf die digitale Problemlösung versteht sich derzeit mindestens ein Unternehmen ganz besonders: der Suchmaschinenanbieter und Datenhändler Google. Die Kalifornier haben nicht zuletzt mit dem selbstfahrenden Auto und der kolportierten Zusammenarbeit mit Continental nahegelegt, dass es durchaus Ambitionen in Richtung Automobilindustrie gibt. Führt man sich vor Augen, dass bereits einige Anbieter von Diagnosegeräten mit Algorithmen und auf Wahrscheinlichkeiten ausgerichteten Fehlersuchen arbeiten, liegt der Gedanke nicht fern, dass sich auch Unternehmen aus dem fernen Silicon Valley positionieren könnten. Das Geschäftsmodell von Google, freie Softwarenutzung im Austausch gegen scheinbar unverfängliche Daten, könnte Betriebsinhabern durchaus attraktiv erscheinen.ElektromobilitätDie Entwicklung hin zu einer elektromobilen Zukunft wird zwar mancherorts angezweifelt. Tatsache ist aber, dass sich die meisten Hersteller mit der Thematik auf die ein oder andere Weise beschäftigen. Brennstoffzelle, Hybridantriebe oder Voll-Stromer, die Ansätze sind klar erkennbar. Was hätte deren Durchmarsch für Konsequenzen? Elektrofahrzeuge sind weniger serviceintensiv. Das Reparaturvolumen wird vor diesem Hintergrund abnehmen. Laut Nissan auf rund 30 Prozent des gegenwärtigen Serviceaufwands. Die Japaner haben Erfahrungen mit dem Elektromobil Leaf gesammelt. "Der Rotor und der Stator haben keine Berührungspunkte mehr", präzisierte Autohausinhaber und Elektropionier Sirri Karabag, sie befinden sich in einem elektromagnetischen Schwebezustand. Zwar gebe es irgendwann eine Materialermüdung bei Schaltern und im Bereich Kabelstränge, doch in einem ungleich größeren Zeitraum.Ein Besuch in der neuen Service-Station von Tesla Motors im Münchener Umland bestätigt das: Laut Peter Mühldräxler, Service Territory Manager DACH and Eastern Europe, verfügen Stromer wie der Roadster oder das neue Model S der Kalifornier gegenüber Autos mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren über deutlich weniger bewegliche Teile. Laut IfA-Schätzungen etwa zehn Prozent weniger. Neben Verschleißteilen betreffe das auch Wartungsteile wie Öl-, Luftfilter und Zündkerzen. Für die Werkstattbetreiber entfallen hohe Investitionen im Bereich Werkstattausrüstung (Ölabscheider, Abgasabsauganlage). Auf der anderen Seite ergeben sich für die Elektromobilität höhere Anforderungen hinsichtlich der Kontrolle und Wartung elektronischer Bauteile. "Für Arbeiten im Hochvoltbereich benötigen die Mitarbeiter andere Werkzeuge, zudem Messinstrumente, zum Beispiel zur eigenen Lebensversicherung das Multimeter", so Mühldräxler. Außerdem sei besondere Kleidung - z. B. Handschuhe der Isolierungsklasse 0 - notwendig. Und nicht zuletzt benötigen die Mitarbeiter elektrotechnisches Know-how. Ein Blick nach Norden macht deutlich, dass sich neue Wettbewerber ins Kfz-Servicegeschäft einschalten. Der Unternehmer Sirri Karabag kooperiert beispielsweise mit dem Gabelstapler-Hersteller Kion. Mit den Marken Linde und Still haben die Hessen sehr viel Erfahrungen mit Stromaggregaten und halten für Fahrer von Karabag-Elektromobilen ein Netzwerk von europaweit rund 4.500 Technikern bereit.Logistik der ZukunftGeht es nach US-Ökonom Jeremy Rifkin, läutet der 3D-Druck eine neue industrielle Revolution ein. Auch Al Gore und weitere Politiker, Wissenschaftler sowie Multiplikatoren bescheinigen der dezentralen Produktion mittels der so genannten additiven Fertigung bzw. dem Laser-Sinter-Verfahren eine verheißungsvolle Zukunft. Gemäß Andreas Baader, Geschäftsführer Barkawi Management Consultants, könnte sich die Technologie zum Risiko für das renditestarke Servicegeschäft entwickeln. "Längst passé sind die Zeiten, als sich höchstens einfache Kunststoffteile mit 3D-Druckern herstellen ließen. Mittlerweile können 3D-Drucker auch Metallteile produzieren - mit Hilfe von Lasern, die ein in Pulverform vorliegendes Grundmaterial schichtweise härten", schrieb er im "Industrieanzeiger" (Heft 18/2013). In der Automobilindustrie sind die Verfahren inzwischen selbstverständlich, unverzichtbar und vollkommen gängige Praxis, weiß auch Autorin Petra Fassmann. In ihrem Fachbuch "3D-Druck/Rapid Prototyping" ist zu lesen, dass die entsprechend produzierten Teile nicht nur als Prototypen verwendet werden, sondern zunehmend im Auto verbaut werden. Der nächste logische Schritt ist die Ausdehnung auf die Ersatzteilproduktion.Manche Branchenkenner prognostizieren, dass nahezu in jedem Betrieb ein auch Fabber genanntes Gerät stehen wird, während andere davon ausgehen, dass private und gewerbliche Nutzer insbesondere die Dienste von Spezialisten in Anspruch nehmen werden. Ein mögliches Geschäftsmodell könnte der Verkauf von digitalen Bauplänen in Kombination mit dem geeigneten Druckmaterial und einem Garantieversprechen durch die Automobilindustrie darstellen, so zumindest glaubt man beim Beratungsunternehmen NTT Data. Zweifler muss man allerdings auch nicht lange suchen. So ist unter anderem der Präsident des Gesamtverband Autoteile-Handel (GVA) Hartmut Röhl überzeugt: "Ich sehe in absehbarer Zeit keine großen Einsatzmöglichkeiten für 3D-Drucker im Ersatzteilgeschäft." Chancen gebe es allenfalls für "Formteile", also Türgriffe, Schalterknöpfe oder Teile der Innenverkleidung. Der Grund: Viele hochwertige Kfz-Komponenten bestehen aus verschiedenen Mischmaterialien, zum Beispiel Metallguss in Verbindung mit Gummi oder Keramik. "Mit der derzeitigen 3D-Technik ist das nicht darstellbar."GesetzgebungDie große Unbekannte beim Blick in die Glaskugel kommt der europäischen und deutschen Gesetzgebung zu. Servicerelevant sind einmal die grundlegenden wettbewerbsrechtlichen Rahmensetzungen vom Format der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) bzw. den Regelungen zur Abgasnorm Euro 6. Auch weitere verkehrs- oder wirtschaftsrechtliche Verordnungen haben konkrete Auswirkungen auf den einzelnen Servicebetrieb. Beispielhaft seien die Regelungen zu den Umweltzonen sowie die Vorgaben zum Kältemittel R1234yf genannt. Die Ausweisung von mittlerweile fast 50 Umweltzonen in den vergangenen fünf Jahren und die geförderte Nachrüstung von Dieselpartikelfiltern hatte Serviceunternehmern Zusatzgeschäfte beschert. Hohe Wellen schlug die politische Entscheidung, das klimaschädliche Kältemittel Tetrafluorethan (R134a) durch Tetrafluorpropen (R1234yf) zu ersetzen. Kritiker bemängeln, dass Letzteres im Brandfall hochtoxisch reagiert. Andere Marktteilnehmer halten von beiden Mitteln nicht viel und befüllen die eigenen Klimaanlagen mit CO2. Für Kfz-Betriebe hat das die kostspielige Folge, mitunter drei verschiedene Klimageräte vorhalten zu müssen.Wenn also der Gesetzgeber neue Rahmenbedingungen festsetzt - und das wird in den nächsten Jahren nicht weniger häufig passieren -, dann sind die Hersteller und Servicebetriebe zum schnellen Handeln gezwungen. Auf dem Laufenden bleiben die verantwortlichen Personen übrigens zeitnah aus der Fachpresse.

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