Agieren statt reagieren, kluge Weichenstellungen und geistige Beweglichkeit nehmen in einer sich rasant ändernden Welt immer mehr an Bedeutung zu. "Welche Rolle wollen Sie als Kfz-Sachverständiger in der Mobilität der Zukunft spielen?", war deshalb die spannende Ausgangsfrage des diesjährigen Sachverständigenkongresses der Fahrzeug-Sicherheitsprüfung (FSP), die in der Classic Remise zu Düsseldorf aus vielen verschiedenen Perspektiven beleuchtet wurde.
Isselborg: "Interne Brille abnehmen"
70 FSP-Partner waren in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt gekommen, um praxisorientierte Workshops mit internen und externen Experten zu besuchen und sich auf der Abendveranstaltung gemeinsam mit insgesamt rund 80 Kunden und weiteren Gästen von führenden Zukunftsforschern inspirieren zu lassen. Frank Isselborg, Mitglied der FSP-Geschäftsführung sah vor allem in letzterem Element eine wichtige Abrundung des Programms: "Die Entscheidung, externe Referenten auf unserem Kongress sprechen zu lassen, ermöglicht uns, neue wissenschaftliche Erkenntnisse des breiten Marktes zu erlangen und somit die interne Unternehmensbrille abzunehmen."
Keine Qual der Wahl
Dieses 2017 erfolgreich eingeführte Veranstaltungskonzept, das bewusst auf viel Interaktion mit den Referenten und hohen fachlichen Austausch mit den Kollegen aus ganz Deutschland setzt, ging auch in diesem Jahr voll auf: Durch in mehreren Gruppen durchgeführte, zeitversetzte Workshops waren alle Teilnehmer in der Lage, sämtliche Inhalte für ihr Tagesgeschäft mitzunehmen. Neben einem eindrucksvollen Rundgang durch die Welt der automobilen Klassiker im ehemaligen Meilenwerk standen drei Arbeitsgruppen auf dem Programm, in denen den Kfz-Sachverständigen mögliche Zusatzqualifikationen und Entwicklungspotenziale aufgezeigt wurden, um gemäß dem Kongressmotto "mit Sicherheit zurück in die Zukunft" zu gehen.
"Attraktive Nischenprodukte einbauen!"
Das Standardgeschäft mit Schaden- und Wertgutachten durch attraktive Nischenprodukte ebenso sinnvoll wie rechtzeitig zu ergänzen und so das eigene Profil bewusst zu erweitern, stand im Fokus des ersten Teils der Veranstaltung – oder in den Worten von Geschäftsführer Hans-Josef Kempen: "Unsere hochkarätigen Weiterbildungsworkshops bieten unseren Partnern die Möglichkeit, sich zu spezialisieren und Ihr Geschäft noch professioneller im Markt anzugehen."
Sonderfall Speziallackierung
Mit Daniel Schubert, dem Kopf von DS-Lackiertechnik im nordrheinwestfälischen Delbrück (Nähe Paderborn), konnte die FSP einen erfahrenen Fachmann in Sachen Design-, Effekt- und Candylackierung gewinnen. Der selbständige Lackierermeister und Airbrushkünstler brachte den Kfz-Sachverständigen verschiedene Techniken näher, die vor allem in der Tunerszene beliebt sind und klärte dabei vor allem die Fragen: "Wie bewertet man den Arbeitsaufwand, der in der Veredelung eines Fahrzeugs oder Motorradtanks steckt richtig, und welche Lackierungen können fachgerecht repariert werden?“
Hinter aufwändigen Motiven verbirgt sich oft tagelange künstlerische Arbeit, die Unfallschäden durchaus um vierstellige Summen verteuern kann, stellte Schubert fest und verdeutlichte: "Schon eingefärbter Klarlack, wie Mazda ihn in der Serie verwendet, macht Beilackieren oft schwierig." Bei changierenden, halb durchsichtigen Candylackierungen mit ihren vielen Schichten und verlängerten Ablüftzeiten benötige man für eine exakte Bewertung und Instandsetzung idealerweise den Farbtonaufbau des jeweiligen Künstlers. Mit eigens erstellten Leitfäden zur Bewertung solcher Effektlackierungen gab Schubert den Teilnehmern echte Entscheidungshilfen für künftige Fälle mit auf den Weg und bot sich auch als Kontakt in strittigen Fragen etwa im Rahmen einer Schadenregulierung an.
Detektivarbeit gefragt
Wissenschaftlich wurde es im Workshop von Karsten Neumann vom SV-Büro Engelmann und Schmidt in Berlin. Er beschäftigte sich mit dem Thema Unfallrekonstruktion, einem Fachgebiet, in dem noch keiner der Anwesenden eigene Erfahrung gesammelt hatte.
Detailliert schilderte Neumann Ausbildung, Fähigkeiten und Erfahrung, die ein Kfz-Sachverständiger für die oft nachträgliche Bewertung von Crashs vorweisen können muss: "„Oft arbeiten wir anhand suboptimaler Fotos und unvollständiger Vermessungen, die Fahrzeuge sind entweder repariert oder verschrottet. Umso wichtiger ist fundiertes Wissen in Sachen Physik, Mathematik, Biologie und Statistik." Aber auch Computerkenntnisse, um Simulationsprogramme wie PC Crash richtig bedienen oder vorliegende Bilder bearbeiten zu können, gehören zum Tagesgeschäft. Nicht zuletzt ist wichtig, komplexe Sachverhalte auch Nicht-Experten wie Richtern verständlich erläutern zu können. "In der Praxis geht es um Plausibiliät des von Zeugen oder Beteiligten geschilderten Unfallhergangs und Kompatibilität der vorhandenen Schadenbilder", betonte der Unfallanalytiker und testete die Eignung der Workshopteilnehmer mit Crash-Videos und der Schilderung eines Beispielfalles aus Berlin. Interessierten empfahl Neumann den zwölftägigen AWG-Lehrgang im rheinland-pfälzischen Kottenheim.
Die Black-Box fürs Auto
Ein vielversprechendes Zukunftsthema behandelte FSP-Fachmann Stefan May. Er beleuchtete neben der Technik von Unfalldatenspeichern (UDS) auch die Chance, sich über eine gezielte Ausweitung des eigenen Dienstleistungsportfolios neue interessante Kundengruppen zu erschließen. Die Daten, die korrekt verbaute und gewartete UDS über das Fahrzeug sammeln bieten eine ganze Reihe von Möglichkeiten: "Wer alle Informationen über Geschwindigkeit, Bewegungsrichtung, einwirkende Kräfte und Fahrzeugfunktionen vom Blinken über das Martinshorn von Einsatzfahrzeugen bis hin zur Bremspedalstellung hat und richtig auswerten kann, bekommt ein wichtiges Beweismittel an die Hand, wenn es um Unfallschäden, Wege- und Sonderrechte geht."
Doch auch Fuhrparkmanager und Speditionen seien sehr daran interessiert, Arbeitsunfälle zu klären, aber auch Mehrverbrauch oder erhöhten Verschleiß an den eigenen Fahrzeugen frühzeitig in den Griff zu bekommen, um Kosten zu sparen. Gerade auf dem Sektor von Rettungsfahrzeugen sei neben dem reinen Unfallschaden zu klären, ob und wie stark die teure medizintechnische Ausrüstung in Mitleidenschaft gezogen sei: "Wir sprechen bei einem umgestürzten Krankenwagen auch ohne verletzte Patienten oder Rettungspersonal schnell von mehreren zehntausend Euro Zusatzkosten, die korrekt kalkuliert werden müssen." Anhand von Bildern und Videos präsentierte May den Workshopteilnehmern, wie und wodurch teure Fehleinschätzungen zunächst unsichtbarer Schäden vermieden werden können.
Einsteg in das Fuhrparkgeschäft
Entsprechende Expertise auf diesem Gebiet eröffne eine Vielzahl von Möglichkeiten, so May, der selbst berufliche Erfahrung im Rettungsdienst gesammelt hat: "Wir bieten Dienstleistungen im Bereich der Prüfung und Wartung von UDS ebenso an, wie umfangreiche Services für Fuhrparks. Hier geht es um Information und Schulung von Mitarbeitern und Fahrern ebenso wie um die Prävention von Unfällen, das Absenken unternehmerischer Haftungsrisiken oder die Durchsetzung berechtigter Forderungen gegenüber der regulierenden Versicherung. Kein Gutachten über einen Unfall mit Einsatzfahrzeugen kann dunkel verarbeitet werden, hier braucht es fundiertes Wissen und Erfahrung im Bereich der Auswertung und Analytik."
Schon heute besichtigt die FSP mit einem Netzwerk entsprechend qualifizierter Fachleute bundesweit Schäden an Sonderfahrzeugen und hat mit dem Thema Feuerwehr laut Chef-Sachverständigem Udo Schütt bereits das nächste heiße Eisen im Feuer. Strategisches Ziel ist ein Rundum-Service aus einer Hand in einem absoluten Wachstumsmarkt, betonte May: "Eine Kombination aus fachgerechtem Schadenservice und professioneller Prozesssteuerung mit einem Ansprechpartner und unter Einhaltung aller verschiedenen Normen und Vorgaben rund um Einsatzfahrzeuge und Unfalldatenspeicher bietet nur die FSP."
Die Lücke in der Realität
Immer einen Schritt voraus zu sein, ist der Job des ersten Redners des Kongressabends, Sven Gábor Jánszky. Der Gründer und Leiter des 2b AHEAD-ThinkTank deckte schonungslos die Denkfehler in Sachen Zukunft auf: "Betreibt man Marktforschung und hört dabei auf 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung statt auf die wenigen Innovativen, verpasst man den Zug in Richtung High-Tech. Noch in der Lebenszeit meiner Kinder werden wir grundlegende Probleme der Erdbevölkerung wie Hunger oder Gesundheit abschließend lösen." Die Frage sei nicht, ob, sondern nur noch wann Computer intelligenter sein werden als der Mensch und wie man mit dieser neuen Rolle als zweitintelligente Spezies umgehen werde: "Heute geht es um Daten in Echtzeit, schon bald sprechen wir über die exakte Prognose der näheren Zukunft – um Staus zu vermeiden, unnötige Lagerhaltung abzuschaffen und Kundenprobleme im Call Center vorherzusehen. Maschinen können Emotionen steuern und Gedanken lesen."
Letzteres bewies der Visionör in einem Experiment mit einem Gerät, das Hirnströme misst und fuhr fort: "Die Frage ist, wie der Mensch den durch Technik gewonnenen Freiraum nutzt." Übertragen auf die Mobilität prophezeite er, dass die Zukunft der Branche von außen entwickelt werden wird: "Wir projizieren Vertrauen auf Maschinen, weil diese die besseren Entscheidungen treffen. Komplexität wird dadurch nicht erhöht, sondern massiv verringert." Selbst die Einteilung der Konsumenten werde sich verändern: "Auch in Zeiten der autonomen Mobilität werden wir im Premiumbereich menschliche Fahrer haben, denen es um das Erlebnis geht, die Autos und Benzin oder Strom kaufen. Interessanter ist jedoch die Frage, was mit dem Rest, den Passagieren passiert."
Hier seien Fahrzeuge gefragt, die nicht nur relevante Werbeanzeigen vorführen, sondern den Innenraum entsprechend der Wünsche ihrer Insassen gestalten können: vom rollenden Hotel inklusive Bett über ein Büro bis hin zum Spielzimmer für die Kinder. "Das Zauberwort heißt Adaptivität im innen und außen – über den Wechsel von Sommer- auf Winterreifen weit hinaus", gab Jánszky seinem Publikum auf den Weg.
Oldtimer-Geschäft boomt
Passender hätte der Rahmen für die Vorstellung einer Oldtimerstudie nicht sein können, als Gerd Heinemann die Bühne betrat: Umgeben von einer exquisiten Auswahl von Klassikern stellte er die wichtigsten Ergebnisse einer kürzlich veröffneten Studie zum Thema vor. Neben rund 2,2 Millionen Fahrzeugen in Deutschland, die heute schon als Classic Cars gelten, erreichen zunehmend auch Volumenfahrzeuge ein Alter, in dem sie als Old- oder zumindest Youngtimer gelten. Neben den Kennern teurer Liebhaberstücke kommt so eine neue Zielgruppe auf den Markt, die Modelle wie den Golf I, 3er BMW oder die Mercedes E-Klasse W-124 auch im Alltag nutzt.
Den anwesenden Kfz-Sachverständigen riet Heinemann deswegen, das Geschäft rechtzeitig ins Visier zu nehmen: "Schon bald werden jedes Jahr rund 70.000 Fahrzeuge als Young- oder Oldtimer hinzukommen. Bereits heute sprechen wir über ein Marktvolumen von zehn Milliarden Euro." Durch entsprechende Weiterqualifizierung, ein geeignetes Netzwerk und ein klares Profil als Classic Car-Experte könnten auch SV-Büros von diesem Retro-Trend profitieren.
Für Schlechteres verdorben
Einen gelungenen Schlusspunkt setzte die Profilerin und Bestseller-Autorin Suzanne Grieger-Langer. Wie man Herausforderungen im 007-Modus statt 08/15 begegnet visualisierte sie förmlich in einer Vielzahl von starken Bildern: "Um das Potenzial einer Person zu erkennen, muss man interne Störfaktoren abziehen, um die Leistungsfähigkeit richtig einzuschätzen. Das Problem ist selten der Charakter, sondern eher die Selbstwahrnehmung."
Wer einmal Erfolg gehabt habe, sei noch lange kein Experte für die Zukunft, deshalb sieht Grieger-Langer den Homo Sapiens auf dem absteigenden Ast: "Durchsetzen wird sich der Homo Deus mit seinem veränderten Mindset. Statt bewusst in der Mittelmäßigkeit zu versinken, seine eigenen Fehler mit Lügen zu rechtfertigen und nach unten zu treten, sollte man sich bewusst für Erfolg entscheiden."
Wahre Gamechanger sähen sich oft mit den sieben Todsünden konfrontiert: "Begegnet die träge Masse echter Innovation, reagiert sie mit Neid, Missgunst und Wut. Genügt dies nicht, spielt man sich als moralische Instanz auf. Wer zu schwach ist, seinen Weg trotzdem weiter zu gehen, gibt sich der Völlerei hin, weil auf Wollust keiner mehr Bock hat in so einer Welt." Die sieben notwendigen Schritte bzw. Eigenschaften seien Orientierung, Entscheidungskraft, Fokussierung, Disziplin, Achtsamkeit, Anpassungsfähigkeit und vor allem Individualität, so Grieger-Langer: "Zeigen Sie Ecken und Kanten, geben Sie sich nicht mit Mittelmaß zufrieden. Ich hoffe, ich habe Sie alle für schlechteres verdorben."
Dieser Hoffnung schloss sich auch FSP-Geschäftsführungsmitglied Ralf Strunk an, der am Ende des Abends resümierte: "Auf Basis der Anregungen der Teilnehmer des letzten Jahres haben wir das Konzept für den diesjährigen Sachverständigenkongress leicht modifiziert. Mit der diesjährigen Resonanz und der Umsetzung des Kongresses sind wir überaus zufrieden und werden an dem Konzept im kommenden Jahr festhalten." (kt)