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Schadenprozess der Zukunft: Deckungsprüfung per AI

16.12.2024 05:53 Uhr | Lesezeit: 10 min
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Generative KI bietet große Chancen, ist aber aufwendig in der Umsetzung.
© Foto: gettyimages/ikryannikov

Die BavariaDirekt, der Digitalversicherer des Konzerns Versicherungskammer, hat erfolgreich ein System zum automatisierten Check gemeldeter Schäden eingeführt.

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Die große Begeisterung für die jüngsten Entwicklungen im Bereich von GenAI hat zu einer ganzen Reihe von Tests und Piloten bei vielen Versicherern geführt. Allerdings ist davon auszugehen, dass der größte Teil dieser Anstrengungen keine nachhaltigen, skalierbaren Wettbewerbsvorteile hervorbringen wird. Die Herausforderung besteht also darin, in Abhängigkeit von der jeweiligen strategischen Ausrichtung Piloten zu ermitteln, die zu einer signifikanten Kostenreduktion bzw. zu Erweiterungen des Geschäftsmodells führen und dabei einen echten Wettbewerbsvorteil versprechen. Da der Aufbau von AI-Kapazitäten einerseits enormer Anstrengungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette bedarf und andererseits hohe Investitionen erforderlich macht, ist von Beginn an darauf zu achten, dass nicht nur Piloten erfolgreich sind, sondern dass sich deren Ergebnisse auch tatsächlich skalieren lassen.

Praxisbeispiel Deckungsprüfung

Bei der BavariaDirekt, dem Digitalversicherer der Versicherungskammer, werden bereits seit vielen Jahren Prozesse auf Basis von AI neu gestaltet und auto-matisiert. Dies wurde bisher mit "klassischer" AI, in der Literatur häufig mit diskriminativer AI bezeichnet, umgesetzt. Als einer der ersten Piloten mit GenAI wurde nun die Deckungsprüfung im Schadenprozess erfolgreich pilotiert und in die Praxis umgesetzt. Diese erfolgt zunächst für die Produkte Kfz-Kasko, Kfz-Haftpflicht sowie Privat- und Tierhaftpflicht.

Das System erkennt und analysiert dabei vorhandene Texte, um relevante Infor-mationen aus Schadenmeldungen, Kos-tenvoranschlägen, Skizzen und anderen eingereichten Dokumenten zu filtern. Basierend auf den extrahierten Informationen wird GenAI dazu genutzt, die Ver-sicherungsbedingungen zu analysieren und zu überprüfen, ob der gemeldete Schaden innerhalb des Versicherungsumfangs liegt.

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"Der gezielte Einsatz generativer AI verändert die Aufgabe der Schadensachbearbeiter. Diese werden von Standardfällen entlastet und können sich komplexeren Problemen und Kundenservice widmen. Zudem hilft die automatische Deckungsprüfung dabei, unnötige Fehler im Schadenprozess zuu eliminieren": Dr. Christian Krams, Vorstand BavariaDirekt und Leiter Konzern Schaden Versicherungskammer.
© Foto: VKB

Klare Handlungsempfehlungen

Dies geschieht anhand vordefinierter Regeln und trainierter Modelle, die auf ähnlichen Fällen basieren. Sobald die relevanten Informationen analysiert sind, erfolgt eine Entscheidung über die Deckung.

Dabei werden auch etwaige Ausschlüsse oder Sonderklauseln berücksichtigt. Das System kann dann entweder eine positive Empfehlung zur Deckung, eine Ablehnung oder eine Weiterleitung zur menschlichen Prüfung geben, falls komplexe oder unklare Sachverhalte vorliegen. Die Prüfung liefert hierbei nicht nur eine Aussage hinsichtlich vorhandener oder fehlender Deckung, sondern gibt explizit die relevanten Passagen der Bedingungen an, auf denen die jeweiligen Entscheidungen beruhen. Diese Begründungen sind natürlich insbesondere bei Deckungsablehnungen und daraus eventuell folgenden Nachfragen von Kunden oder Anwälten relevant.

In vielen Fällen sind die seitens des Kunden oder Geschädigten übermittelten Informationen jedoch noch nicht ausreichend, um eine Deckungsaussage treffen zu können. Dann erfolgt nicht nur eine Fehlermeldung mit entsprechender Abgabe an den Schadensachbearbeiter, sondern es wird auf Basis der vom System ermittelten Unklarheiten ein konkreter Vorschlag für die an den Kunden oder Geschädigten zu richtenden Rückfragen generiert.

Dokumentation und Transparenz

Mithilfe von GenAI wird der Prüfprozess dokumentiert, einschließlich der Daten, die zur Entscheidungsfindung herangezogen wurden. Dies ermöglicht eine einfache Nachvollziehbarkeit und bietet der BavariaDirekt sowie den Kunden und Geschädigten Transparenz darüber, wie die Deckungsentscheidung getroffen wurde. Aus bereits bearbeiteten Fällen und dem Feedback menschlicher Prüfer lernt das System zudem ständig weiter: So wird auch die Genauigkeit der Deckungsprüfungen über die Zeit verbessert.

Die Deckungsprüfung mithilfe von GenAI bringt Vorteile wie Zeitersparnis, höhere Genauigkeit und geringere Bearbeitungskosten. Dabei verändern sich die Aufgaben der Schadensachbearbeiter, da diese i.d.R. von den einfacheren Fällen entlastet werden und sich um komplexere Themen kümmern können. Gleichzeitig hilft die automatische Deckungsprüfung, Fehler zu reduzieren, und ermöglicht es den Mitarbeitenden, sich auf die Kommunikation mit Kunden und Geschädigten konzentrieren zu können.

Erfolgsfaktoren für die Umsetzung

Es gibt bereits Unternehmen, die mehr als 10 Prozent ihres EBITs durch die Nutzung von GenAI generieren. Diese frühen Erfolge und das zuvor genannte Beispiel der BavariaDirekt zeigen, dass es drei entscheidende Kriterien gibt, um GenAI nicht nur zu pilotieren, sondern auch erfolgreich zu skalieren:

1. Kohärente Strategie: Unternehmen müssen eine klare Strategie entwickeln, die auf die langfristige Wertschöpfung mithilfe von GenAI abzielt. Das bedeutet, dass Anwendungsfälle priorisiert werden müssen, die nicht nur einzelne Prozessschritte transformieren, sondern komplette Arbeitsabläufe neu gestalten. Der entscheidende – oft zu wenig beachtete – Vorteil von GenAI liegt nämlich nicht darin, bestehende Prozesse punktuell zu verbessern, sondern vielmehr ganze Arbeitsabläufe neu zu gestalten.

2. Unterstützung der Menschen: Um einen nachhaltigen Einfluss zu erwirken, müssen Unternehmen die Menschen, die mit GenAI arbeiten, systematisch weiterentwickeln und unterstützen. Dazu gehören die notwendige Qualifikation von Mitarbeitenden, der Aufbau der notwendigen Governance- und Performance-Infrastruktur, Investitionen in das Change-Management sowie die Förderung einer kontinuierlichen Innovationskultur.

3. Verzahnung von GenAI mit menschlichen Fähigkeiten: Erfolgreiche Unternehmen integrieren GenAI tief in ihre Arbeitsabläufe, indem sie deren Stärken mit den Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden kombinieren. Dies führt zu fortschrittlichen Lösungen wie kontextbasierten Vorschlagssystemen, die an geeigneten Entscheidungspunkten komplexer Prozesse den Menschen mit zielgerichteten Vorschlägen unterstützen und andere, einfachere Prozessschritte vollständig autonom bewältigen können. Der Mensch wird dadurch bei komplexen Entscheidungssituationen unterstützt und von Routinetätigkeiten entlastet.

Vom Piloten zur Einführung

Wie bei früheren technologischen Veränderungen besteht auch bei GenAI die Gefahr, dass Pilotprojekte im sogenannten "Pilot Purgatory" (engl: Fegefeur) enden, d. h., dass zahlreiche Experimente in einer stark vereinfachten, labortypischen Umgebung scheinbare Erfolge zeigen, jedoch die Komplexität der realen Welt völlig unterschätzt wird. Oft gelingt daher der Schritt vom erfolgreichen Piloten zur vollintegrierten, wirkungsvollen Anwendung in der Realität nicht oder nur unzureichend. Erfolgreiche Unternehmen legen besonderen Wert auf die richtige Reihenfolge von Piloten, sie konzentrieren sich also darauf, zunächst einfache Use-Cases auszuwählen, bei denen wenig Daten und Schnittstellen notwendig sind, die Interaktion zwischen Menschen und Maschine vergleichsweise einfach und die Komplexität des Prozesses relativ gering ist. Sobald diese einfacheren Use-Cases zu erfolgreichen Piloten und wirksamen Skalierungen geführt haben, wird Schritt für Schritt die Komplexität gesteigert. Die gesamte Organisation lernt bei diesem schrittweisen Vorgehen.

Umsetzung auf breiter Basis

Ein zentraler Punkt ist die Erkenntnis, dass die volle Potenzialausschöpfung von GenAI nur dann möglich ist, wenn die Technologie auf breiter Basis im gesamten Unternehmen skaliert wird. Dies erfordert vier entscheidende Elemente, die auf den Menschen und nicht nur auf die Technologie abzielen:

1. Governance: Erfolgreiche Unternehmen entwickeln eine klare Governance-Struktur für die Implementierung von GenAI. Dies ist nicht nur aufgrund der bekannten Risiken wie fehlerhaften Daten und "Halluzinationen" wichtig, sondern auch, um eine konsistente und schnelle Umsetzung zu gewährleisten.

2. Performance-Messung: Unternehmen müssen ihre Performance-Messung weiterentwickeln, um den neuen Anforderungen durch GenAI gerecht zu werden. Dazu gehört die Einführung neuer Bewertungskriterien, die es den Führungskräften ermöglichen, den Fortschritt von GenAI zu messen, sowie ein diszipliniertes Überprüfungsverfahren, um Erfolg versprechende Anwendungsfälle von weniger produktiven zu trennen.

3. Change-Management: Eine erfolgreiche Einführung von GenAI erfordert ein starkes Change-Management, das die Mitarbeitenden in den Wandel einbezieht und ihre Bedenken ernst nimmt. Für jede Investition in die Modellentwicklung sollten Unternehmen etwa das Dreifache in das Change-Management investieren.

4. Kontinuierliche Innovation: Ein Umfeld der kontinuierlichen Verbesserung ist entscheidend für den langfristigen Erfolg von GenAI. Unternehmen sollten eine Innovationskultur fördern, in der Mitarbeitende sich ermutigt fühlen, Ideen einzubringen und bestehende Annahmen über die Rolle von Partnern und Anbietern zu hinterfragen.

Ausblick

GenAI bietet enorme Chancen, Arbeitsabläufe neu zu gestalten und ihre Produktivität zu steigern. Allerdings steht die Mehrheit der Unternehmen noch vor der Herausforderung, GenAI im großen Maßstab zu implementieren. Unternehmen, die bereits jetzt auf die richtige Strategie, Governance und ein starkes Change Management setzen, schaffen damit eine Grundlage, um langfristig nachhaltigen Wert aus ihren Investitionen zu ziehen.

Künstliche Intelligenz 4.0

AI umfasst das Konzept von Maschinen, die menschliche Intelligenz imitie-ren oder erweitern können, z. B. Problemlösung, Erkennung von Mustern und Sprachverständnis. Machine Lear-ning (ML) sind AI-Systeme, die ihre Leistung verfeinern, indem sie mehr Daten verarbeiten und aus beobachteten Mustern lernen. Die Untergruppe Deep Learning (DL) verwendet künstliche neuronale Netze, um Muster zu modellieren und sich aus großen Mengen unstrukturierter Daten zu verbes-sern. Generative AI-Modelle (= GenAI) können neue Inhalte generieren, nachdem sie Muster aus ihren Trainingsdaten gelernt haben.

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