Am gestrigen Donnerstag hatten Allianz Schadenvorstand Jochen Haug und AZT-Geschäftsführer Dr. Christoph Lauterwasser im Rahmen einer Presseveranstaltung ihre neue Studie zur Sicherheit von Fußgängern vorgestellt. Schon die eingangs beleuchteten Zahlen waren dabei ernüchternd: Jeder fünfte der insgesamt 5320 Verkehrstoten in Europa ist ein Fußgänger. In Deutschland sah es 2018 noch etwas etwas besser aus. Hierzulande lag der Anteil der im Straßenverkehr getöteten Fußgänger bei 14 Prozent (457).
Die aktuelle Verkehrssicherheitsstudie der Allianz zur Mobilität und Sicherheit von Fußgängern zeigt, welche Unfallsituationen am gefährlichsten sind, wie hoch das Ablenkungspotenzial durch Smartphone & Co. ist und welche Technik helfen kann, Unfälle zu vermeiden.
56 Prozent der Todesopfer sind über 64 Jahre alt
Besonders gefährdet sind laut Haug und Dr. Lauterwasser Fußgänger vor allem in der Zeit von Oktober bis Februar, innerorts und in der Dämmerung beziehungsweise bei Dunkelheit. Die Leidtragenden seien hauptsächlich Senioren (258), die auf das Zufußgehen mehr angewiesen sind als Jüngere.
"Mehr als die Hälfte der getöteten Fußgänger in Deutschland ist älter als 64 Jahre", bilanzierte Jochen Haug. "Und der Anteil stieg vergangenes Jahr nochmals stark an, von 51 auf 56 Prozent."
Ablenkung birgt hohes Gefährdungspotential
Auch bei Fußgängern (hier vorwiegend aber aus jüngeren Generationen) spiele Ablenkung eine erhebliche Rolle. Laut der Allianz-Erhebung "tippen" beziehungsweise "texten" 43 Prozent der Befragten beim Gehen. Fast jeder Zweite (45 Prozent) nutze das Handy, um zu fotografieren. 28 Prozent hören Musik, und zwei Drittel (67 Prozent) telefonieren beim Gehen. Dies zeige, dass Ablenkung nicht nur beim Autofahren, sondern auch zu Fuß ein nachweisbares Unfallrisiko birgt.
Musik auf den Lauschern bringt vierfaches Unfallrisiko
"Die Nutzung elektronischer Geräte erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen Fußgänger, einen Unfall zu erleiden", so Haug. Speziell beim Musikhören steige das Risiko um mehr als das Vierfache, beim Texten um das Doppelte.Wie beim Autofahren ist auch bei Fußgängern das Telefonieren die häufigste Ablenkung, spiele aber beim Gehen eine geringere Rolle für das Unfallgeschehen. Im Gegensatz zu Autofahrern entscheiden Fußgänger in der Regel selbst, wann sie sich in eine konfliktträchtige Verkehrssituation begeben, beispielsweise beim Überqueren einer Straße, und dürften demnach besser in der Lage sein, das Telefonieren auf die jeweilige Situation abzustellen.
Notbremssysteme unausweichlich
Die Allianz-Analyse der Fußgängerunfälle zeigt zunächst erwartungsgemäß, dass in einem Großteil der Fälle (42 Prozent) der Anprall im Frontbereich stattfindet. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich 23 Prozent der Unfälle beim Rückwärtsfahren ereignen. Versuche im Allianz Zentrum für Technik (AZT) zeigen, dass sich Fußgänger durch einen Sturz schon bei einem Anprall mit 3 km/h Kopfverletzungen zuziehen können. Die Untersuchungen belegen, dass neben derWarnfunktion eines Systems auch das automatische Notbremsen lebenswichtig ist, wenn trotz Warnton Fahrer oder Fußgänger nicht reagieren.
"Nachdem sich in den vergangenen Jahren Notbremssysteme für Fußgänger im Frontbereich als Marktstandard für neue Fahrzeugmodelle etabliert haben, müssen wir jetzt im nächsten Schritt auch die Notbremsung beim Rückwärtsfahren weiterentwickeln, um die Sicherheit für Fußgänger zu erhöhen. Fußgänger müssen in jeder Situation sicher erkannt werden", ist Lauterwasser überzeugt.
Umfassende Strategie für sicheren Fußverkehr notwendig
Der Anteil der getöteten Fußgänger steige im Vergleich zu allen Unfalltoten langjährig leicht an, konstatierte Jochen Haug. Personenschäden gebe es pro Jahr in einer Größenordnung von rund 30.000, mehr als 400 enden tödlich. Der Sicherheit von Fußhgängern müsse deshalb unbedingt eine stärkere Beachtung geschenkt werden, wenn die Vision Zero, den Straßenverkehr ohne Tote, bis zum Jahr 2050 erreicht werden soll.
Fußgängersicherheit darf nach Ansicht der Allianz deshalb nicht im breiten Spektrum der Probleme "ungeschützter" Verkehrsteilnehmer untergehen. "Fußgänger benötigen eine eigenständige Außendarstellung, denn ihre Belange sind andere als die der Zweiradfahrer", erläuterte Haug. "Eine Aktualisierung der Fußgänger-Charta des Europaparlaments aus den 80er-Jahren wäre ein hilfreicher Impuls für die
Verkehrssicherheit in Europa."
"E-Scooter von Fußgängern fern halten!"
Neue Gefahren für Fußgänger sehen Haug und Dr. Lauterwasser aber auch mit den E-Scootern zukommen, deren künftige Zulassung zum Straßenverkehr derzeit in einer entscheidenden Phase befindlich ist. Solange es keinen "geschützten Raum" für Fußgänger gebe – Haug möchte E-Scooter unbedingt auf Radwegen und nicht im "Mischverkehr" mit Fußgängern auf dem Bürgersteig sehen –, werde sich die erwartete Gefahrtenverschärfung wohl nicht lösen lassen, ist der Schadenvorstand überzeugt. Auch der Umstand, dass die mit elektrischem Antrieb ausgestatteten Roller zwischen 20 und rund 55 Kilogramm schwer sein werden, berge die Gefahr von Unfällen wie z.B. Stürzen, wodurch sich auch die Nutzer selbst gefährden können.
Personenschäden kosten ein Vielfaches gegenüber Blech
Haug wollte auf Nachfrage von AUTOHAUS gestern keine abschließende Einschätzung dazu geben, wie stark der Scbhadesaufwand durch die Integration von E-Scootern in den öffentlichen Verkehr ansteigen werde. Dennoch blieb er selbst skeptisch, ob die 54 bis 86 Euro Prämie, welche für das jeweilige Versicherungskennzeichen (ähnlich denen von Mofas) ausreichend sein werden, um KH-Schäden zumindest kostendeckend abzufangen. Denn sobald Personenschäden zu regulieren sind, geht es laut der von Christoph Lauterwasser detailliert beschriebenen Studie bei verletzten Fußgängern im Mittel um 36.000 Euro Schadenaufwand. Diese Summen liegen weit über den Kosten von Blechschäden bei typischen Autounfällen. (wkp)