In diesem Jahr war die Hauptuntersuchung ein zentrales Thema in der Schadenbranche. Nicht zuletzt wegen der Betrugsaffäre der Prüforganisation GTS. Andreas Fleischhauer, Dezernent beim Hessischen Regierungspräsidium und langjähriger Experte für Hauptuntersuchungen, berichtete exklusiv auf dem 8. AUTOHAUS-Schadenforum über die möglichen Gründe für Qualitätsdefizite bei der HU. Er veranschaulichte die Thematik mit Fällen aus seiner täglichen Praxis und forderte im Anschluss eine entschlossene(re) Kontrolle.
Dienstleistung für Allgemeinheit
"Bei der Hauptuntersuchung muss beachtet werden, dass es keine normale Dienstleistung ist, denn sie wird den Bürgern durch das Gesetz auferlegt. Das Ziel des Staates ist die Daseinsvorsorge. Daraus ergibt sich, dass, obwohl der Autofahrer für die HU zahlt, die Dienstleistung nicht für ihn, sondern für die Allgemeinheit erbracht wird", erklärte Fleischhauer. Als Auftraggeber sei der Staat für die Qualität verantwortlich.
Interessenskonflikte bei Beteiligten
Dabei stoße er jedoch auf sehr widersprüchliche Interessen der anderen Beteiligten. So wünsche sich der Autofahrer eine möglichst unkomplizierte und kostengünstige Prüfung, die für ihn ein positives Ergebnis zur Folge hat. Für die Werkstätten wiederum sei die Kundenbindung und die Generierung von Reparaturaufträgen ein wichtiges Ziel. Einige Prüfingenieure dagegen streben einen möglichst effizienten, konfliktlosen, wirtschaftlichen und wenig arbeitsintensiven Ablauf der Prüfung an.
"Eine HU, die vorgenannten Kriterien unterliegt, kann zwar durchaus noch qualitativ hochwertig sein, jedoch ist ein ‚positives Prüfergebnis’ keine brauchbare Qualitätsvorgabe", betonte Fleischhauer.
Der Staat habe hier klare Anweisungen gegeben: Eine HU muss objektiv, neutral, fachlich kompetent, unabhängig und gemäß Anlage 8 §29 StVZO vollständig sein. "Dies heißt in der Praxis, dass es weder einen Mitleidsbonus für eine Frau mit zwei Kindern geben darf, noch, dass Unberechtigte die HU durchführen. Unabhängigkeit bedeutet, sich nicht auf externe Vorgaben einzulassen, um beispielsweise den Verkauf von Stoßdämpfern anzukurbeln", berichtete der Regierungsbeauftragte von Fällen aus seiner Arbeit.
Doch dabei komme es laut Fleischhauer zu einer Diskrepanz: "Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn Sie zum Friseur gehen und der Schnitt nicht passt, sind Sie unzufrieden. Wenn Sie jedoch eine Plakette bekommen, obwohl nicht richtig geprüft wurde, sind Sie zufrieden." Auch sei der HU-Markt im engeren Sinne gar keiner, denn den Akteuren fehle jegliche Möglichkeit zur Produktgestaltung, außer in Sekundärbereichen.
Qualität nicht immer erwünscht
Der Experte zog ein ernüchterndes Fazit: "Qualität ist bei den unmittelbar Beteiligten nicht unbedingt gewollt und eine diesbezügliche Selbstregulation durch freie Marktkräfte gibt es nicht. Meines Erachtens muss das qualitative Niveau durch das Problembewußtsein der Beteiligten, Qualitätssicherungssysteme der Prüforganisationen sowie durch staatliche Aufsichtsmaßnahmen verstärkt werden."
Die großen Überwachungsorganisationen unterhalten umfassende Qualitätsmanagementsysteme. Jedoch tauchen immer wieder unschöne Fälle auf. Für Fleischhauer gibt es dafür vier Hauptgründe: "Das sind Defizite bei der Aus- und Weiterbildung, bei Prüfbedingungen am Prüfstützpunkt, die Konkurrenzsituation, monetäre Interessen sowie letztendlich auch persönliche Mängel." Glücklicherweise sei das fachliche Niveau der Prüfingenieure im Pkw-Bereich überwiegend gut, problematischer sei es hingegen bei schweren Nutzfahrzeugen und Krafträdern. Viele Fehler entstünden auch mangels nötiger Erfahrung.
Bei der Frage nach der Ausstattung müsse berücksichtigt werden, ob ein Prüfstützpunkt die gemäß Anlage VIIId vorvorgeschriebene Einrichtung vorhalte (Bremsenprüfstand etc.). Zum Thema Konkurrenzsituation merkte Fleischhauer an, dass Prüfingenieure dem Druck durch Kunden, Werkstatt oder sogar durch ihre eigene Organisation ausgesetzt seien. "Ein Prüfingenieur muss hier selbstbewusst auftreten. Jedoch gibt es immer wieder Menschen, die zum ‚Weg des geringsten Widerstands‘ neigen und sich möglichen ‚Einflüsterungen‘ nicht widersetzen können", bemerkte der Dezernent.
Genaue Prüfvorgaben
Treffen diese Faktoren zusammen, ist es meistens ein Fall für Fleischhauer. "Dies alles führt unter anderem zu allzu ‚effizienter‘ Arbeitsorganisation, übertriebener ‚Kundenfreundlichkeit‘ durch Abstufen von Mängeln oder, wie im Fall von GTS, – zu Papierprüfungen." In der Praxis könnten staatliche Aufsichtsbehörden nicht selten beobachten, wie auch Unbefugte – geringer qualifiziertes Werkstattpersonal – die hoheitliche Prüfung durchführten. Fleischhauer ist bereits seit 15 Jahren für das Regierungspräsidium in Hessen tätig und hat eine klare Prüfordnung für Überwachungsorganisationen erstellt: "Die Unternehmen müssen uns ihre Revisionsberichte übermitteln, damit wir über Veränderungen, durchgeführte Qualitätssicherungsmaßnahmen und das allgemeine Prüfgeschehen informiert sind. Wir müssen vor allem wissen, wer prüfen darf und wo. Darauf folgen Kenngrößen der Prüftätigkeit, wie die Anzahl geprüfter Fahrzeuge oder die Unterteilung in Mängelklassen und -gruppen."
Verdächtige Unterlagen
Ferner würden bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten Aufsichtsmaßnahmen durchgeführt werden. Diese können unterschiedlich ausfallen. Bei einigen Fällen reiche eine Durchsicht der Unterlagen: "Wenn ein Sachverständiger vorwiegend ältere Fahrzeuge prüft, aber kaum Mängel entdeckt – oder nur die rechte Leuchte beanstandet –, könnte es ein Hinweis darauf sein, dass ein Qualitätsproblem vorliegt", veranschaulichte Fleischhauer.
Zu den weiteren Aufsichtsmaßnahmen gehörten zudem die Beobachtung der Prüftätigkeit, Nachkontrollen am Prüfstützpunkt oder die Vorführung von mangelhaften Testfahrzeugen. Falls sich der Verdacht gegen den Prüfer erhärten sollte, muss er mit einem vorübergehenden oder gar dauerhaften Entzug seiner Prüflizenz rechnen. "Einmal wurde das Kleben der Plaketten in einer Kieshandlung vorgenommen, mit der Konsequenz, dass dem zuständigen Prüfingenieur die Betrauung entzogen wurde“, berichtete Fleischhauer von einem Fall. Bei derartigen Vorkommnissen wären auch Gefängnisstrafen keine Seltenheit. "Anhand der Hessischen Statistik sind rund zwei Prozent der Prüfingenieure von Qualitätsproblemen betroffen. Diese Zahl scheint über die Jahre konstant zu bleiben," verdeutlichte Fleischhauer das Ausmaß.
Das Ansehen der HU verbessern
Angesichts der geschilderten Situation fragte Fleischhauer: "Wie geht es nun weiter mit der technischen Überwachung?" Er berichtete vom Vorschlag der EU, welcher zu einer europaweiten Regelung hätte führen sollen, sowie von dem Vorstoß des Zentralverbandes der Deutschen Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), der eine Meister-HU auf den Weg bringen will. Der Experte riet jedoch, dem aktuellen System treu zu bleiben, da dies sich über Jahrzehnte bewährt habe und als Vorbild für andere Länder diene.
"Dennoch muss das Ansehen der HU wieder verbessert werden. Das Hauptproblem ist das geringe Interesse für eine saubere und nachhaltige Arbeit – oft sind kurzfristige Ziele wichtiger, denn Qualität verkauft sich in diesem Bereich nunmal schlecht. Qualitätssicherungssysteme bei Überwachungsorganisationen sind gut, bedürfen aber der Unterstützung und Ergänzung durch staatliche Aufsichtsbehörden", erklärte Fleischhauer. Auch die Politik und Landesregierungen würden sich mit der Problematik nicht ausreichend beschäftigen. "Deshalb müssen sich Überwachungsorganisationen, Werkstätten, Verbraucherschutzorganisationen und Verbände dafür einsetzen. Wenn die HU auch künftig qualitativ hochwertig durchgeführt werden soll, sind Sie alle gefordert, meine Damen und Herren", schloss Fleischhauer mit einem Appell an das Plenum. (ll)