Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann befürwortet ein Tempolimit in Deutschland – warnt aber zugleich davor, dessen Wirkung zu überschätzen. Deutschland sei nur für zwei Prozent der weltweiten klimaschädlichen Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich, sagte der Grünen-Politiker dem "Tagesspiegel" (Montag). "Ob wir ein Tempolimit umsetzen oder nicht, ist für den internationalen Kampf gegen den Klimawandel völlig irrelevant - auch wenn ich persönlich schon immer ein Befürworter des Tempolimits war." Weiter sagte er: "Der Glaube, dass wir mit dem radikalsten Klimaschutz die Welt retten können, ist trügerisch."
Nach Berechnungen des Umweltbundesamts würde ein bundesweites, generelles Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen die gesamten CO2-Emissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen um rund 2,7 Prozent senken. Bei einem Tempolimit von 100 km/h läge die Minderung sogar bei fast sechs Prozent. Deutlich reduziert würde demnach auch die Zahl der Verkehrstoten sowie der Lärm. Fast zwei Drittel der Deutschen sprechen sich für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen aus.
Kretschmann sagte, wichtiger sei aus seiner Sicht zu zeigen, "dass wir mit einer klimaneutralen Wirtschaft wettbewerbsfähig sind und Arbeitsplätze schaffen können". Er fügte an: "Wir müssen ein kopierfähiges, nachhaltiges und attraktives Wirtschaftssystem generieren, dem andere folgen wollen."
Umweltschützer: Tempo 30 für alle Stadtgebiete
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) macht unterdessen einen erneuten Vorstoß, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von Autos, Laster und Motorräder in Städten zu reduzieren. "Wir fordern Tempo 30 obligatorisch für alle Stadtgebiete", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Jede weitere Straße, auf der Fahrzeuge ihr Tempo drosseln müssen, sei gut. "Aber Kompromisse reichen nicht aus."
Mit Blick auf Tempo 30 in deutschen Städten sprach Resch er von einem "Flickenteppich". Bundesweit einheitliche Regeln würden eine bessere Orientierung für Autofahrerinnen und Autofahrer bedeuten. "Ich fahre in eine Stadt rein und weiß: Tempo 30." Weitere Effekte: Weniger Schadstoffe in der Luft, eine geringere Lärmbelastung, mehr Verkehrssicherheit, und "wir würden auch aus dem Schilderwald herauskommen", zählte Resch auf.
Auch zahlreiche Städte wollen mehr Tempo 30. So teilte Hannover der Deutschen Presse-Agentur mit, im Stadtgebiet seien großflächig überall, wo dies zulässig sei, bereits vor vielen Jahren Tempo-30-Zonen eingerichtet worden. "Allerdings würde die Stadt Hannover gern auf ausgewählten Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 ausschildern, darf dies rechtlich aber nicht." Die Stadt sei daher als Gründungsmitglied des Bündnisses "Lebenswerte Städte" aktiv und fordere den Bund auf, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern und den Kommunen hier mehr Spielraum zuzugestehen.
Wegen der Straßenverkehrsordnung haben die Städte nur sehr wenige Möglichkeiten, Tempo 30 einzuführen. Diese Geschwindigkeitsbegrenzung gibt es vor allem in Nebenstraßen, für Hauptstraßen müssen dafür strenge Kriterien erfüllt sein.
Andere Länder machen vor, was möglich ist. Die niederländische Hauptstadt Amsterdam etwa teilte kürzlich mit, dass dort bald auf den meisten Straßen Tempo 30 gelte. Die Maßnahme werde 80 Prozent des Stadtgebiets betreffen und beginne ab Dezember 2023.
Resch sagte, in Deutschland sei Mainz ein positives Beispiel. Die Wohnstraßen und Nebenstraßen im Mainzer Stadtgebiet befinden sich durchgängig in Tempo-30-Zonen oder in verkehrsberuhigten Bereichen, wie Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger mitteilte. Auf einem Teil der innerstädtischen Hauptverkehrsachsen gelte Tempo 30 aus Luftreinhaltungsgründen. Daneben seien auf Hauptverkehrsachsen auch verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche mit Tempo 20 ausgewiesen.
Aus Stuttgart heißt es, man schöpfe alle rechtlichen Möglichkeiten zur Umsetzung von Geschwindigkeitsbeschränkungen "vollumfänglich" aus. "Die Stadt Stuttgart befürwortet mehr kommunale Handlungsspielräume auch bei dem Thema Geschwindigkeitsreduzierungen und wird in diesem Kontext ein entsprechendes Stadtgeschwindigkeitskonzept erarbeiten", teilte ein Sprecher mit.
Auch das Mobilitätsreferat von München findet Tempo 30 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit "durchaus interessant". "So könnte etwa eine Vielzahl von Schildern auf Gehwegen entfallen und damit die Barrierefreiheit verbessert werden", erklärte eine Sprecherin. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit bedeute jedoch nicht automatisch flächendeckend Tempo 30, heißt es aus Bayerns Landeshauptstadt. Es müssten demnach Kriterien für ein sogenanntes Vorrangstraßennetz geprüft werden, auf denen eine höhere zulässige Höchstgeschwindigkeit möglich wäre. Dies wäre dann, so die Sprecherin, eine Umkehr der derzeitigen Gesetzessystematik in der Straßenverkehrsordnung.
Verkehrsministerium "offen für unterschiedliche Lösungsansätze"
Das Bundesverkehrsministerium (BMDV) sei mit Blick auf entsprechende Regelungen "offen für unterschiedliche Lösungsansätze", teilte eine Sprecherin mit. "Nicht überzeugt ist das BMDV aber von flächendeckendem Tempo 30 oder Geschwindigkeitsbeschränkungen in Durchgangsstraßen."
Laut Koalitionsvertrag sollten das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung so angepasst werden, dass auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt würden, heißt es vom Ministerium. "Dabei sollen den Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume eröffnet werden." Derzeit prüfe das Ministerium die Ergebnisse einer Länderarbeitsgruppe zum Thema Straßenverkehrsordnung.
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