Bremse, Lenkung, Dämpfung – jede Menge Komponenten beeinflussen Komfort und Sicherheit eines Autos. Je mehr Systeme der Hersteller verwendet, desto komplexer wird es, sie zu steuern und die gesamte Einheit aufeinander abzustimmen. ZF zeigt aktuell auf der IAA Mobility unter der Bezeichnung X-by-Wire ein Komplettsystem, das sämtliche Komponenten elektronisch ansteuert, zentral regelt und die Entwicklungs- sowie Abstimmungszeit wesentlich verkürzen soll. X-by-Wire wurde erstmals im Lotus Eletre eingesetzt, wo es die semiaktiven Dämpfer, Wankstabilisierung, Hinterachslenkung, Luftfederung und den 800-Volt-Motor zentral steuert.
X-by-Wire beruht darauf, dass die einzelnen Fahrwerksysteme keine mechanischen Verbindungen und Flüssigkeiten mehr benötigen. Damit folgt ZF dem Trend zur softwaregesteuerten Fahrzeugarchitektur.
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Alle die Längs-, Quer- und Vertikaldynamik betreffenden Systeme beeinflussen Fahrdynamik und Komfort des Wagens. Zum Beispiel in einer schnell gefahrenen Kurve: Neigt sich das Auto übermäßig zur Seite, wird der eine oder andere Passagier schon mal blass um die Nase. Eine Wankstabilisierung hält die Karosserie aufrecht und sorgt damit für sichere Fahrt. Bei einer Vollbremsung dagegen taucht die Front regelrecht ab. Wird das verhindert, beispielsweise indem sich die vorderen Stoßdämpfer verhärten, verkürzt sich der Bremsweg.
Schneller, sensibler – und umweltfreundlicher
Der Vorteil gegenüber der konventionell hydraulikbasierten Technik liegt auf der Hand. Über Kabel angesteuerte Systeme reagieren schneller und sensibler. Einen Ökoaspekt gibt es auch: Aus Umweltgründen versuchen alle Fahrzeughersteller, Flüssigkeiten und Öle so weit wie möglich aus dem Fahrzeug zu verbannen.
Bei den Bremsen wird das allerdings noch eine Weile dauern, zumindest in schweren Autos. Dort müssen sich die Bremszangen die Scheiben mit enormer Kraft krallen. Große, starke SUV oder Sportwagen haben deshalb sehr große Scheiben und sechs bis acht Bremszangen. Ein Brake-by-Wire-System bräuchte dazu riesige Elektro-Stellmotoren. Bis dieses Problem gelöst ist, setzt ZF auf die Hybridbremse: Die arbeitet vorne konventionell mit Hydraulikflüssigkeit, hinten elektromechanisch.
Dreh- und Angelpunkt des X-by-Wire-Systems aber ist der zentrale Fahrdynamikregler, der die Längs- und Vertikalbewegungen des Fahrzeugs überwacht. Er sammelt die Daten aller Radarsensoren, Kameras und anderen Sensoren. Daraus analysiert die Technik, wohin das Auto steuern oder wie es entsprechend der Vorgabe des Fahrers reagieren soll. Im letzten Schritt berechnet die zentrale Software, wie dieser Fahrwunsch ausgeführt wird und wie Bremsen, Dämpfer oder auch die Lenkung angesteuert werden müssen. Dabei berücksichtigt die Software, ob der Fahrer eine komfortable oder dynamische Fahrabstimmung gewählt hat, oder ob sich der Wagen womöglich in einer gefährlichen Fahrsituation befindet.
Alle Komponenten kommunizieren miteinander
Als Vorteil einer solchen zentralen Steuerung nennt ZF, dass es keine Entweder-oder-Regelung gibt. Um einen bestimmten Effekt zu erzielen, kommunizieren alle Komponenten miteinander und ergänzen sich in der Wirkung. Vereinfacht ausgedrückt: Um die Wankbewegung der Karosserie zu unterdrücken, müssen nicht unbedingt nur die Dämpfer aktiviert werden. Wenn die Software es berechnet, kann zusätzlich zur Unterstützung ein kurzer Impuls an die Bremsen oder die Hinterachslenkung geschickt werden. Die By-Wire-Technik funktioniert laut ZF bei allen Fahrwerksystemen, bei semi- oder vollaktivem Fahrwerk und auch in Kombination mit Luftfederung.
Für die Autohersteller bietet eine komplexe zentrale Steuerung enorme Vorteile. Musste bislang jedes Regelsystem in unzähligen Test- und Messfahrten einzeln abgestimmt werden, so ist beim X-by-Wire nur noch ein Abstimmungsprozess nötig. Im nächsten Schritt will ZF im nächsten Jahr auch die komplette Lenkung auf die By-Wire-Technik umstellen. Das soll dem Autofahrer noch mehr Sicherheit bringen. Beispielsweise, wenn er bei einem Ausweichmanöver falsch reagiert und den Wagen in einen sicherheitskritischen Zustand versetzen würde. Oder wenn er schlicht übermütig bei hohem Tempo versucht, unsinnige Schlangenlinien zu fahren. Dann reagiert die Technik, indem sie den Fahrerwunsch erst gar nicht ausführt.