Unter dem Druck eines fast einwöchigen Produktionsstopps bei seinem wichtigsten Modell Golf nimmt Volkswagen am Montag neue Verhandlungen mit zwei Zulieferern auf. Die Unternehmen der Prevent-Gruppe weigern sich, bestellte Teile für Getriebe und Sitze herauszugeben. Entsprechende Engpässe zwingen VW zunächst bis einschließlich zum Samstag (27. August), die Fertigung des Golf im Stammwerk Wolfsburg komplett herunterzufahren. Wie aus dem Konzern zu hören war, sollen die vor dem Wochenende abgebrochenen Gespräche beider Seiten gegen Mittag fortgesetzt werden.
Das Bundeswirtschaftsministerium dringt auf eine rasche Lösung. "Wir gehen davon aus und erwarten auch, dass die beteiligten Unternehmen die ungeklärten Fragen so bald wie möglich lösen können", sagte ein Sprecher am Montag in Berlin. Es gehe um Tausende Arbeitsplätze, die von Kurzarbeit betroffen sein könnten. "Und da gibt es natürlich eine hohe Verantwortung, diese Probleme so konstruktiv wie möglich anzugehen und auch so konstruktiv wie möglich zu lösen. (...) An der Stelle appellieren wir an die Unternehmen, das in der Form auch voranzutreiben", sagte der Sprecher.
In Emden, Wolfsburg, Zwickau, Kassel, Salzgitter und Braunschweig könnten insgesamt 27.700 Mitarbeiter teils noch bis Ende August nicht so arbeiten, wie es eigentlich geplant sei. "Durch einen Lieferstopp, den externe Lieferanten ausgelöst haben, ist die Versorgung der Produktion mit Bauteilen mehrerer Volkswagen-Werke unterbrochen", teilte VW am Montag in Wolfsburg mit. Der Autobauer sprach von "Flexibilisierungsmaßnahmen bis hin zu Kurzarbeit". Die weitere Entwicklung sei "nicht absehbar", schrieb das Unternehmen. "Volkswagen versucht weiterhin, eine Einigung mit den Lieferanten herbeizuführen." Die Probleme in den Werken reichen zeitlich vom 18. August für das Passat-Werk in Emden bis hin zum 30. August für das Motoren-Werk in Salzgitter.
Über alle Standorte hinweg seien folgenden Modelle und Produkte betroffen: Von der Golf- und Passat-Fertigung über den Bau von Getrieben und Abgasanlagen über die Motoren bis hin zur Fahrwerkteile- sowie Kunststoffteilefertigung. Die meisten Mitarbeiter sind mit rund 10.000 Menschen in Wolfsburg betroffen. Ein Emden sind es 7.500, in Zwickau 6.000, in Kassel 1.500, in Salzgitter 1.400 und in Braunschweig 1.300.
Mögliche Teile-Beschlagnahme
In Kürze könnte VW die Möglichkeit haben, sich die fehlenden Teile mit dem Gerichtsvollzieher zu besorgen. Das für die anhängigen einstweiligen Verfügungen zuständige Landgericht Braunschweig rechnet "nicht vor Ende dieser Woche" damit, dass die nächsten nötigen Schritte erfolgen. Derzeit stehe noch eine finale Entscheidung aus. Ohne sie könne VW den Gerichtsvollzieher noch nicht bemühen. Trotz des Eilverfahrens vor Gericht, in dem der Autobauer bisher Etappensiege einfuhr, ist die Sache damit für VW noch immer eine Frage mehrerer Tage.
VW selber hatte bisher lediglich mitgeteilt, die harte Gangart einer "zwangsweisen Durchsetzung der Belieferung" vorzubereiten. Und zwar: "mit den uns zur Verfügung stehenden gesetzlich vorgesehenen Mitteln. Dazu gehören Ordnungsgeld, Ordnungshaft, Beschlagnahme". Für VW habe aber weiter eine "gütliche Einigung" am Verhandlungstisch Priorität, erklärte der Autobauer mehrfach. Auch die VW-Partner bekundeten ihren Kompromisswillen. Auch am Montag hieß es von VW: Der schnellste Weg für eine Lösung sei weiterhin eine rasche Einigung.
Das Prozedere am Gericht ist kompliziert: Das zwangsweise Durchsetzen erfordert einen Beschluss, der nur auf Antrag ergeht. Den hat VW zwar schon gestellt. Doch er muss vor einer abschließenden Entscheidung mit der Gelegenheit zur Reaktion zunächst der Gegenpartei übermittelt werden. Und auch der finale Beschluss im Anschluss daran - sollte er zugunsten VW ausfallen - müsste erst noch beiden Parteien zugestellt werden. Dabei sei dann aber keine sogenannte "Empfangsbekenntnis" und auch keine Stellungnahme mehr nötig, erläuterte ein Gerichtssprecher. Im Klartext heißt das also: Will VW zum letzten Mittel greifen und sich die fehlenden Teile notfalls mit Staatsgewalt vom Hof holen lassen, dann muss sich der Autobauer wohl oder übel noch gedulden.
Schlagabtausch um Rechnungen
Im schwelenden Streit zwischen dem Zulieferer ES Automobilguss und Volkswagen gibt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auch Querelen um eine Rechnung für Juli. Demnach muss der sächsische Teilehersteller, dessen Lieferstopp derzeit Teile der VW-Produktion lahmlegt, fürchten, fast 400.000 Euro für Leistungen aus dem Monat Juli nicht wie verlangt bis spätestens zum 25. August gezahlt zu bekommen. Der angebliche Grund dafür lässt aufhorchen: VW-intern scheint es bei dem Vorgang im Verwaltungssystem einen Differenzbetrag von rund 80 Euro zu geben - das sind nur ungefähr 0,02 Prozent der Rechnungssumme für Juli.
Aus dem Hause Volkswagen war am Montag zu hören, dass es sich um keinen ungewöhnlichen Vorgang handele. In der Rechnungsbearbeitung tauche manchmal Klärungsbedarf auf. Das Geld sei daher derzeit in der Tat noch nicht überwiesen. Das heiße aber noch lange nicht, dass das auch bis zum Fälligkeitsdatum 25. August so bleiben müsse.
Bei ES Automobilguss sieht man das dagegen anders: "Ich hoffe sehr, dass diese Handlungsweise nicht einem ungerechtfertigten VW-seitigen Embargo wegen unserer derzeitigen Auseinandersetzung hinsichtlich der Belieferung Ihres Hauses geschuldet ist", schreibt der Verantwortliche auf Zuliefererseite an VW und betont, dass "die Juli-Rechnung in keinem kausalen Zusammenhang mit unserem Lieferstopp seit Anfang August in Verbindung steht". Der dpa liegen Unterlagen dazu im Wortlaut vor. Sie reichen jedoch nur bis zum Donnerstag der vergangenen Woche (18.). Von VW hieß es am Montag, die Rechnung werde "nach erfolgter abschließender Prüfung fristgemäß überwiesen".
Damit erscheint der Vorgang wie ein Sturm im Wasserglas - zeigt aber auch, wie sensibel die Situation derzeit ist. Nach dpa-Informationen trafen sich beide Seiten am Montag in einem Hotel in Wolfsburg, um weiterzuverhandeln und den Lieferstopp möglichst rasch beizulegen. Beide Seiten hatten zuvor betont, sich zusammenraufen zu wollen.
Belegschaft bei ES Guss in Sorge
Der Lieferstopp versetzt die Belegschaft von ES Guss in Zukunftsangst. Die Sorgen bei den rund 350 Mitarbeitern und deren Familien seien groß, die Informationen aus dem Unternehmen dünn, hieß es am Montag aus Kreisen der Belegschaft. Für diesen Dienstag ist bei ES Guss in Schönheide im Erzgebirge eine Betriebsversammlung geplant, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Daraus erhofften sich die Arbeitnehmervertreter Antworten auf die vielen Fragen zur Zukunft des Zulieferers, der auf Gussgetriebeteile spezialisiert ist und aktuell mit einem Lieferstopp den Autobauer Volkswagen lahmlegt.
Das Unternehmen teilte mit, es sei zum Lieferstopp gezwungen, da VW zuerst seinerseits vertragswidrig gehandelt habe. Das Einbehalten der Teile sei zwingend notwendig, "um unsere eigenen Mitarbeiter in Niedersachsen und Sachsen zu schützen und letztlich den Fortbestand des Unternehmens zu sichern", schreibt ES Guss. Dem Zulieferer droht in der Branche ein enormer Reputationsschaden. Die Folgen für die Mitarbeiter des Mittelständlers sind ungewiss.
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig fordert jetzt eine schnelle Lösung. "Es kann nicht sein, dass der Streit auf dem Rücken von Tausenden Beschäftigten ausgetragen wird", sagte der SPD-Politiker am Montag. Er appellierte sowohl an VW als auch an die beiden sächsischen Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss, die sich heute erneut zu Gesprächen treffen wollten, sich möglichst rasch zu einigen. Sollte es keine Lösung geben, wollte Dulig mit seinem Amtskollegen Olaf Lies aus Niedersachsen bis zum Abend entscheiden, sich als politische Vermittler zur Verfügung zu stellen.
Der Chef des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Diesel-Abgaskrise im Bundestag, Herbert Behrens (Linke), sieht eine mögliche Parallele zwischen dem VW-internen Sparkurs und dem Problem mit den Zulieferern. "Die Konzernleitung von Volkswagen kürzt jetzt, bis es kracht", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montag). "Jetzt werden Folgen des milliardenschweren Desasters, das mit der betrügerischen Abgas-Manipulation verursacht worden ist, einfach weitergereicht", meinte Behrens. (dpa)
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