Der Rechtsstreit mit einem Schlüssellieferanten droht sich bei Volkswagen hierzulande zu einem Flächenbrand auszuwachsen. Nach dem Passat-Werk in Emden, wo wegen der Querelen bereits Kurzarbeit ansteht, muss Volkswagen ab diesem Samstag auch in seinem Wolfsburger Stammwerk die Bänder des Erfolgsmodells VW Golf anhalten. Laut einer internen Mitteilung hat VW seine Lieferpartner bereits über die nahende Zwangspause der Golf-Fertigung vom 20. bis 29. August im Stammwerk in Wolfsburg informiert. Ob VW für einen Teil der in Wolfsburg anstehenden Tage Kurzarbeit wie in Emden anmeldet, soll sich laut Konzernkreisen diesen Freitag klären. Vormittags gibt es laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur ein Gespräch mit der örtlich zuständigen Arbeitsagentur.
In Emden hat VW für 7.500 Menschen Kurzarbeit bereits angemeldet. Der Konzern prüft dieses Mittel derzeit auch für die Standorte Braunschweig, Zwickau, Kassel und eben Wolfsburg. Dort steht das Stammwerk von Europas größtem Autobauer. Es baut fast 4.000 Wagen pro Tag, neben Golf auch Tiguan und Touran, deren Bänder nicht ruhen müssen.
Insgesamt könnten von dem Lieferstopp mehr als 20.000 VW-Mitarbeiter betroffen sein, wie die dpa erfuhr. Für Wolfsburg sei dabei denkbar, dass die fünf Werktage Montag bis Freitag in der nächsten Woche über Kurzarbeit aufgefangen werden. Der in dem internen Schreiben an die VW-Zulieferer genannte längere Zeitraum für den Produktionsstopp, der vom nächsten Samstag bis zum übernächsten Montag reicht, ist mit der umfangreichen Vorarbeit der Zulieferer zu erklären. Sie arbeiten auch am Wochenende, wenn die Bänder nicht laufen - etwa an Lagerplätzen.
Das Stammwerk in Wolfsburg ist die größte zusammenhängende Autofabrik der Welt. Sie baute 2015 mit insgesamt rund 815.000 Fahrzeugen fast ein Zehntel des gesamten globalen Absatzes des Zwölf-Marken-Konzerns. Zum Vergleich: Das Unternehmen hat weltweit rund 120 Produktionsorte.
Gericht: VW darf Anspruch vollstrecken
Nach Angaben des zuständigen Gerichts wurden bereits alle nötigen Voraussetzungen für die Herausgabe fehlender Teile erwirkt. Für beide Teilehersteller, die ihre Lieferungen laut VW-Angaben vertragswidrig gestoppt haben, liege eine einstweilige Verfügung vor, die aktuell "vollstreckbar" sei. Das teilte das Landgericht Braunschweig am Freitag mit. Die Wirksamkeit der beiden Verfügungen greife bereits. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass in den Fällen teilweise noch Fristen für Stellungnahmen gewährt sind und zudem eine mündliche Verhandlung am 31. August ansteht.
Den VW-Partnern drohen laut der Mitteilung Ordnungsgelder teils in Höhe von bis zu 250.000 Euro. Diese Strafe greife "für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Lieferverpflichtung". In welchen zeitlichen Etappen diese Verpflichtungen bestehen, ging aus der Mitteilung indes nicht hervor. Auch "Ordnungshaft, zu vollziehen am Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten" nennt das Gericht als eine mögliche Folge.
Zulieferer wehrt sich
Der Zulieferer wehrte sich am Freitag gegen die Vorwürfe. "Für die Krise bei VW und die dadurch entstandene Kurzarbeit sind wir nicht verantwortlich", sagte der Geschäftsführer der ES Automobilguss, Alexander Gerstung, am Freitag einer Mitteilung zufolge. ES und der Sitzspezialist CarTrim, eine ES-Schwester, verweigern trotz einstweiliger Verfügungen des Landgerichts Braunschweig dem Autobauer die Lieferung von Sitzbezügen und Getriebeteilen. Dennoch sei man an einer Einigung interessiert. "Wir streben nach wie vor eine einvernehmliche Lösung mit VW an und sind offen für entsprechende Vorschläge."
Aus Sicht von ES und CarTrim sei die Lage Folge einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen seitens VW. Volkswagen habe keinen Ausgleich für die Kündigungen gewährt. Deswegen "sahen sich CarTrim und ES Automobilguss letztlich zum Lieferstopp gezwungen", heißt es in der Mitteilung. VW erwirkte dagegen in beiden Fällen einstweilige Verfügungen, die die Firmen zu weiteren Lieferungen verpflichten.
Der Getriebeteilespezialist ES Automobilguss und Car Trim sind nach eigenen Angaben der Prevent-Gruppe zuzurechnen. Zumindest deren deutscher Teil, die Prevent DEV GmbH mit Sitz in Wolfsburg, reklamiert für sich, "nicht juristisch" mit den genannten Gesellschaften verbunden zu sein. "Wir haben auch keinen Durchgriff auf die betroffenen Gesellschaften. Gleichwohl bedauern wir die Eskalation des aktuellen Konflikts sehr", teilte die Firma mit.
Volkswagen will alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Der Autobauer sei gezwungen, "die zwangsweise Durchsetzung der Belieferung vorzubereiten, und zwar mit den uns zur Verfügung stehenden gesetzlich vorgesehenen Mitteln. Die Ankündigung verwundert nicht. Allein schon zum Wohle seiner Aktionäre muss VW alle möglichen Hebel in Bewegung setzen, um die verfahrene Lage zu entschärfen. Allerdings betonte der VW-Sprecher auch, dass der Autobauer die Lage keinesfalls einseitig weiter verschärfen mag. "Parallel versuchen wir weiterhin eine gütliche Einigung mit dem Lieferanten herbeizuführen."
Verhandlungsmacht von VW
Die Absage eines Zukunftsprojektes mit Car Trim soll eine Wurzel der Querelen sein. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur war VW dabei prinzipiell zu einem finanziellen Ausgleich bereit. Aber die aufgemachten Forderungen des Zulieferers sollen unrealistisch gewesen sein. Das lässt sich nicht nachprüfen. Beide Parteien wollen sich nicht äußern. Warum die Lage derart eskalierte, ist unklar.
Der VW-Konzern ist in der Branche bekannt für seine Verhandlungsmacht - nur noch Toyota und General Motors bauen ähnlich viele Fahrzeuge. Der Beschaffungsvorstand Francisco Javier Garcia Sanz gilt als einer der erfahrensten Einkäufer der Branche. Er schrieb den Zulieferern Ende Juni, der Autobauer müsse auch bei den "Beschaffungskosten deutlich effizienter werden". Er wolle die Reserven mobilisieren. "Das wollen wir kooperativ erreichen, aber auch mit der notwendigen Konsequenz, um wettbewerbsfähig zu bleiben", kündigte er die Marschrichtung an.
Der neuerliche Sparzwang, befeuert durch die Milliardenkosten des Diesel-Skandals, erhöht den Druck auf das schon länger laufende Effizienzprogramm bei der renditeschwachen VW-Kernmarke rund um Golf und Passat. Dabei erntet Volkswagen inzwischen erste Früchte aus seinem Kampf gegen die überbordende Teilevielfalt beim Autobau: Mit dem gelichteten Varianten-Dschungel etwa bei Lenkrädern, Farben oder Tasten habe die Kernmarke VW-Pkw schon heute gut 700 Millionen Euro Sparvolumen pro Jahr freigelegt, schreibt VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh in dem am Freitag erschienenen Haus-Blatt "Mitbestimmen".
IG Metall warnt vor negativen Folgen für Beschäftigte
Die IG Metall hat zwei VW-Zulieferer davor gewarnt, den Streit mit VW auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Es wäre nicht nachvollziehbar, Mitarbeiter möglicherweise in Kurzarbeit zu schicken, nur weil das Unternehmen nicht liefern wolle, sagte der Vizechef der IG Metall Zwickau, Thomas Knabel, am Freitag. Nächsten Dienstag soll es den Angaben zufolge am Standort Schönheide von ES Automobilguss mit mehr rund 400 Beschäftigten eine Betriebsversammlung geben. "Dann wollen wir Antworten von der Geschäftsführung", so Knabel. Bisher sei nicht klar, warum es überhaupt Streit mit VW gebe.
Die Gewerkschaft beobachtet den Lieferstopp mit Sorge: "Das Ganze ist für die Beschäftigten in der Region eine Riesenkatastrophe, weil die Region abhängig vom Automobilbau ist", sagte Knabel. Falls es in der Folge zu einem Produktionsstopp käme, würde nicht nur Volkswagen Probleme bekommen, sondern der gesamte Zuliefererbereich. VW hat in Sachsen ein Fahrtzeugwerk in Zwickau und ein Motorenwerk in Chemnitz.
Der niedersächsische Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsrat Olaf Lies (SPD) attackierte am Donnerstag im Landtag die Zulieferer. "Es ist ein unglaubliches und für mich nicht nachvollziehbares Verhalten der Unternehmen", sagte Lies vor den Abgeordneten. Die Unterbrechung der Lieferkette sei für den Autobauer eine "schwere Belastung". Auch Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs appelierte an die Verantwortung der Teilehersteller. "Man kann dieses Vorgehen der Zulieferer nur aufs Schärfste verurteilen, und ich hoffe, dass sie relativ schnell zur Vernunft kommen", sagte der SPD-Politiker dem NDR, wie die Stadt am Freitag über Twitter per eigenem Videomitschnitt verbreitete. Zuvor hatte Mohrs über den Kurznachrichtendienst erklärt: "Ich verurteile das Vorgehen des betroffenen Zulieferers auf Schärfste, der hier ohne Rücksicht auf Auswirkungen für die Menschen handelt." (dpa)
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