Von Michael Specht/SP-X
Viel Zeit bleibt den Ingenieuren und Entwicklern nicht mehr. Für den 24. Oktober plant Volkswagen die Weltpremiere seines wichtigsten Autos überhaupt, den Golf. Bis dahin gibt es jedoch noch eine Menge abzuarbeiten, vor allem bei der Elektronik. Denn Wolfsburgs Kompakt-Ikone und Bestseller seit Jahrzehnten – über 35 Millionen wurden bislang gebaut – soll neben seinen sonstigen Qualitäten vor allem in Sachen Konnektivität neue Maßstäbe im Segment setzen.
Um zu zeigen, was künftig geht, lud Volkswagen vorab in die Halle 90B ein, dem Epizentrum der Entwicklung für Elektrik und Elektronik in Wolfsburg. Nicht nur der Golf 8, intern schlicht VW 380 genannt, sondern auch sämtliche anderen Modelle von Volkswagen durchlaufen diese Station. Die Räumlichkeiten sind strengstens abgeschirmt. Handys und Kameras müssen abgegeben werden. Kein Foto darf nach draußen. Zusätzlich ist der Golf 8 komplett mit Tarnfolie beklebt. Sicher ist sicher. "Er bleibt aber seiner Linie treu", besänftigt VW-Entwicklungschef Frank Welsch. Mit anderen Worten: kein Längenwachstum (4,27 Meter) und auch der Radstand bleibt unverändert (2,63 Meter). Die 8. Generation wirkt dennoch breiter und flacher, weil hinten das Dach schräger abfällt und das sogenannte "Greenhouse", also die Kabine, oben stärker eingezogen ist.
Was Welsch dagegen offenlegt, ist das Armaturenbrett. Eine erste Sitzprobe zeigt ein volldigitalisiertes Cockpit, reduziert, aufgeräumt, modern. Es besteht aus zwei großen Displays, die leicht abknicken, aber unter einer gemeinsamen Glasfläche liegen. Jenes hinter dem Lenkrad ist selbstverständlich frei konfigurierbar, je nachdem, welche optische Darstellung der Fahrer wünscht. Mittig im Armaturenbrett steckt entweder ein acht Zoll oder gegen Aufpreis ein zehn Zoll großer Touchscreen. Er lässt sich über die heute übliche Kachel-Optik mit den Fingern so leicht bedienen wie ein Smartphone, erfordert aber dennoch Eingewöhnung. Intuitiv erschließt sich längst nicht alles. Kunden, die nicht mit einem Laptop oder iPad aufgewachsen sind, dürften hier vielleicht einige Probleme bekommen. Nicht einmal mehr einen Drehregler für Klima und Lautstärke gibt es – zumindest nicht in der gehobenen Version mit dem 10-Zoll-Display. Hier wischt man den Zeigefinger auf einer schmalen, aber waagerechten Glasfläche nur hin und her. Auffällig auch der Bonsai-Automatikhebel, ein Stummel auf der Mittelkonsole. Shift-by-wire, nichts arbeitet mehr mechanisch. Freunde des Schaltgetriebes dürfen beruhigt sein: Für einige Versionen gibt es noch den klassischen Ganghebel.
Immer online
"Wir übertragen mit dem neuen Interieur-Konzept die digitale Lebenswelt der Kunden in deren automobilen Alltag", sagt Rolf Zöller, Leiter Elektrik-/Elektronik-Entwicklung, "das Always-on-Prinzip findet Einzug in die Fahrzeug-Architektur." Zu deutsch: Der neue Golf ist immer online, hat Verbindung zur Cloud und zum Backend-Server, Dienste können erweitert, Software später zugekauft werden. Zudem ist er fit für teilautonomes Fahren, kann sowohl mit anderen Fahrzeugen und seiner Infrastruktur (Car2x) als auch mit seinem Zuhause (Car2Home) kommunizieren. Wer möchte, kann seinen Golf mit dem Smartphone öffnen und starten und über eine App einen digitalen Schlüssel an Dritte übergeben.
Die Elektronik mit all ihren vernetzten Funktionen aber hat ihren Preis, die Komplexität wächst ins kaum noch beherrschbare. Brauchte man vor zehn Jahren für die Software noch zehn Millionen Codezeilen, sind es heute über 100 Millionen. Zum Vergleich: Selbst ein F35 Kampfjet kommt mit 35 Millionen Codezeilen aus. Derzeit befindet sich der Golf 8 in der Phase der Funktionsabsicherung und Anlaufvorbereitung. Es ist die letzte Station vor dem sogenannten SOP, dem "Start of Production". VW versichert, rechtzeitig zur Markteinführung Ende dieses Jahres alles in trocknen Tüchern zu haben.
"Best in Class" angestrebt
Einfacher gestaltet sich da wohl das Thema Mechanik. Die Antriebe wurden überarbeitet und in Sachen Emissionen fit für die Zukunft gemacht. Angestrebt wird "Best in Class" beim Thema Verbrauch und CO2-Emissionen. Hierzu werden nach und nach alle Motoren hybridisiert. Den Anfang macht ein 48-Volt-Mildhybridsystem in Verbindung mit dem 1,5-Liter-Benziner. Leistungen: 130 und 150 PS. Die E-Maschine hilft beim Beschleunigen und lässt den Golf bei Gaswegnahme "segeln". Das System soll bis zu 0,3 Liter/100 km einsparen. Als Diesel gibt es nur noch den Zweiliter-TDI. Er wird eine 12-Volt-Unterstützung erhalten und deckt ein Leistungsspektrum von 136 bis 204 PS ab.
Im nächsten Jahr folgen dann weitere Antriebsoptionen, unter anderem die Einstiegsversion, die zu einem Preis von rund 18.000 Euro zu den Händlern rollen dürfte. In ihr arbeitet ein Einliter-Dreizylinder-Benziner mit 116 PS. Diesen Motor wird es auch als Mildhybrid geben sowie in Kombination mit einem Plug-in-System angeboten. Wem der Sinn nach mehr Leistung steht, darf sich 2020 auf GTI, GTD und R-Golf freuen. Auch am Erdgasantrieb will VW festhalten. Hier soll der 1,5-Liter-Vierzylinder mit 130 PS unterwegs sein.
herbie