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Selbstfahrende Autos: Experten legen ethische Leitlinien vor

20.06.2017 12:00 Uhr
Autonomes Fahren
Experten stellen am heutigen Dienstag ethische Leitlinien für zeitweise selbstfahrende Autos auf deutschen Straßen vor.
© Foto: Volvo

Computergesteuertes Fahren wirft zahlreiche rechtliche, aber auch ethische Fragen auf. Ist im Falle eines Unfalls etwa ein Kind nicht zu verletzen höher einzuschätzen als die Unversehrtheit eines Erwachsenen?

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Experten haben am Dienstag 20 ethische Leitlinien für zeitweise selbstfahrende Autos auf deutschen Straßen vorgestellt. Dabei legt die Kommission unter Leitung des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio besonderen Wert darauf, dass sich Autos künftig nur selbst steuern dürfen, wenn das die Sicherheit auf den Straßen erhöht. Die Technik solle Unfälle so gut wie unmöglich machen, heißt es in dem vorgelegten Bericht. Wenn die Risikobilanz insgesamt positiv sei, stünden "technisch unvermeidbare Restrisiken" dem nicht entgegen.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte die Expertengruppe eingesetzt, um automatisierte Systeme zu ermöglichen. In ihren Empfehlungen geht es darum, was die Technik künftig darf und was aus ethischen Gründen ausdrücklich nicht. Dobrindt sagte in Berlin, die Kommission habe Pionierarbeit geleistet.

Der Bericht empfiehlt etwa, dass im Falle eines Unfalls Sachschaden stets vor Personenschaden gehe. "Der Schutz von Menschen hat Vorrang vor allen anderen Nützlichkeitserwägungen." So müssten Sach- und Tierschäden bei Unfällen immer Vorrang vor dem Personenschaden haben. Und: "Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt. Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt." Darüber hatte das "Handelsblatt" bereits vorab berichtet.

Zudem warnen die Experten vor einer Totalüberwachung der Verkehrsteilnehmer. Fahrzeughalter und -nutzer müssten "grundsätzlich über Weitergabe und Verwendung ihrer anfallenden Fahrzeugdaten" entscheiden dürfen. Auch eine vollständige Vernetzung und zentrale Steuerung sämtlicher Autos hält die Kommission für ethisch bedenklich. Zudem weist sie auf die Gefahr einer Manipulation der Fahrzeugsteuerung hin.

Die Kommission hatte im Herbst ihre Beratungen aufgenommen. Ihr gehören Wissenschaftler sowie unter anderem Vertreter von Autobranche, Verbraucherschützern und vom Autoclub ADAC an. Computer dürfen in Autos in Deutschland künftig Fahrfunktionen übernehmen – der Mensch am Lenkrad muss aber immer wieder eingreifen können. Der Rechtsrahmen dafür war im Mai verabschiedet worden. (dpa)

Die wichtigsten Fragen und Antworten

Was heißt eigentlich automatisiertes Fahren?

Dass das Auto dem Fahrer einige, mehrere oder alle Aufgaben abnimmt. Es kann schon bedeuten, dass Systeme tote Winkel überwachen und helfen, die Spur zu halten oder die Parklücke zu treffen. Die Autobauer tüfteln an der nächsten Stufe, dem hochautomatisierten Fahren in bestimmten Situationen, etwa im Stau. Der Fahrer könnte zeitweise etwas anderes machen, Zeitung lesen etwa. Vor 2020 erwarten die Hersteller solche Autos aber nicht.

Danach erst kämen die nächsten Stufen: Vollautomatisiertes Fahren in bestimmtem Umfeld, etwa im Stadtverkehr, und schließlich autonome Fahrzeuge – Autos, die keinen Fahrer brauchen. Sie könnten ihren Halter zur Arbeit bringen und dann zurück in die Garage fahren.

Was hält die Ethikkommission davon?

Anders als die Bürger, bei denen Meinungsforscher Skepsis ausmachen, ist sie grundsätzlich offen. Aber: Nicht der wirtschaftliche Nutzen stehe im Vordergrund, sondern die Sicherheit, betont der frühere Verfassungsrichter Di Fabio als Vorsitzender. Automatisierte Systeme seien nur vertretbar, wenn sie die Sicherheit erhöhen – dann aber sei es sogar geboten, dass der Staat sie fördert.

"Ich bin überzeugt davon, dass wir in 20 Jahren keine 3.000 Tote im Straßenverkehr mehr haben werden", sagt Di Fabio. Nur eine vollständige Vernetzung der Autos untereinander sei bedenklich, wenn totale Überwachung und Manipulation nicht ausgeschlossen seien.

Welche Grundsätze haben die Experten formuliert?

Sach- und Tierschaden geht vor Personenschaden: Bei einem unvermeidlichen Unfall sollen Computerautos lieber eine Laterne oder ein Reh umfahren als einen Menschen. Lässt sich ein Zusammenstoß nicht vermeiden, dürfen mögliche Opfer nicht nach Alter, Geschlecht und anderen Merkmalen unterschieden werden: "Die alte Frau mit dem Rollator oder die Kindergruppe – wen muss man jetzt bevorzugt niederfahren? Ein solches Szenario ist ausgeschlossen", sagt Di Fabio. Jeder Mensch sei gleichwertig.

Muss der Autobesitzer bei einem Unfall haften?

Wenn es nach der Kommission geht: Nur wenn er selbst steuert. Sonst gelte: "Das Einziehen des Lenkrads ist das Signal: Jetzt übernimmt der Produzent und Betreiber die volle Haftung."

Welche Fragen sind offen?

Mehrdeutig ist die Kommission aus Ingenieuren, Juristen, Autobauer- und Verbrauchervertretern sowie einem Weihbischof bei der Frage, ob das Auto bei einem drohenden Unfall mögliche Opfergruppen gegeneinander aufrechnen darf. Dies sei untersagt, schreiben die Verfasser – um anzuschließen: "Eine allgemeine Programmierung auf eine Minderung der Zahl von Personenschäden kann vertretbar sein."

Entscheidungen Leben gegen Leben seien nicht programmierbar, heißt es an anderer Stelle. "Wir Menschen entscheiden sowas intuitiv", sagt Di Fabio. Herausforderungen sieht der Bericht auch beim Datenschutz.

Welche Bedeutung hat die Kommission?

Dobrindt sieht darin "Eckpfeiler für nationale und internationale Regelwerke" – doch faktisch sind die "Ethischen Regeln" nur Empfehlungen. Zudem betreffen sie erst die übernächsten Stufen der Automatisierung: vollautomatisierte und fahrerlose Autos. Sollte es sie eines Tages geben, können sich längst neue Fragen stellen.

"Noch hat die Technik Schwierigkeiten, auf der Autobahn eine Plastiktüte von einem Vogel zu unterscheiden", sagt Kommissionschef Di Fabio. Er sieht den Bericht als Diskussionsgrundlage. "Wir kommen nicht vom Berg Sinai mit fest stehenden normativen Geboten."

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