Von Wolf von Dewitz und Eckart Gienke, dpa
Kaum in Rente, schon wieder im Büro? Klingt so, als könne manch ein langjähriger Arbeitnehmer einfach nicht loslassen. Doch von wegen: Große deutsche Firmen setzen verstärkt auf Oldies, um von deren Expertise zu profitieren. Bei Daimler etwa stehen 600 Ruheständler zur Verfügung, im vorigen Jahr waren es noch 390 in der "Space Cowboys" genannten Initiative. Beim Technikkonzern Bosch stieg die Zahl der "Senioren-Experten" 2014 um 100 auf 1.700. Auch der Handelskonzern Otto greift auf reaktivierte Rentner zurück.
Ein "Space Cowboy" ist der frühere Daimler-Manager Christian Gerloff. Als er vor sieben Jahren in Rente ging, hatte er den festen Vorsatz, aktiv zu bleiben. "Bloß nicht aufs Abstellgleis", sagt er heute. "Bei manchen Rentnern scheint es so zu sein, dass sie körperlich und geistig nicht mehr so gefordert sind - das wollte ich bei mir verhindern", betont der 67-Jährige. Seiner Frau wiederum habe er versprechen müssen, sich nicht daheim in der Küche einzumischen.
Zunächst gründete Gerloff eine Ein-Mann-Firma zur Personalberatung von Firmen. Später weckte das vor zwei Jahren gestartete "Space Cowboy"-Programm von Daimler sein Interesse - und so kehrte er als Berater zu dem Autobauer zurück, wo er zuvor 31 Jahre als Festangestellter vor allem im Vertrieb gearbeitet hatte. Der Psychologe berät derzeit den Bereich Vans bei der Entwicklung von modernen, innovativen Arbeitsprozessen. Sein "Space Cowboy"-Job ist befristet auf sechs Monate, maximal 20 Tage monatlich ist er im Einsatz. Dieser zeitliche Rahmen soll gewährleisten, dass wegen des Oldie-Einsatzes keine Planstellen abgebaut werden. Ist auch das Geld ein Grund? Gerloff nickt vage - natürlich wolle man für seine Arbeit bezahlt werden. Hauptgründe seien aber mentale Fitness und der Kontakt zu jungen Leuten, denen er seine Erfahrungen mitgeben will.
Bei Daimler arbeiten die Oldies in ganz verschiedenen Bereichen. Ein Sprecher berichtet, auch in der Forschung und IT würden Senioren reaktiviert. In der Produktionsstraße kommen "Senioren-Experten" zum Einsatz, etwa wenn ein neues Produkt anläuft und diese kritische Phase mit der nötigen Ruhe und Gelassenheit begleitet werden muss.
Geballter Erfahrungsschatz
Der geballte Erfahrungsschatz der Oldies wird aus Sicht des Beraters Peter Fuß von Ernst & Young (EY) zunehmend interessant. Viele Firmen hätten durch Restrukturierungsprogramme ältere Mitarbeiter früh in Rente geschickt, dadurch seien massiv Kompetenzen verloren gegangen, sagt Fuß: "Nur mit jungen, unerfahrenen Mitarbeitern kann man das nicht ausgleichen - das merken viele Firmen und suchen daher einen Weg, das Know-how der Älteren wieder in die Firma reinzubringen."
Die Oldies seien oft belastbarer, kreativer - und sie hätten mehr Improvisationsgeschick. "Die Jungen hingegen arbeiten ihre Aufgaben häufig eher isoliert ab und sind dabei eingleisig unterwegs." Bei Gegenwind schmissen jüngere Manager relativ oft früh hin, die älteren seien da standfester. "Gerade in schwierigen Zeiten braucht eine Firma erfahrene Kräfte, die schon so manche Krise gemeistert haben."
Auch beim Hamburger Handels- und Dienstleistungskonzern Otto setzt man auf die Reaktivierung von Rentnern - allerdings im eher kleinen Maßstab. Aus einem Pool von 50 Ruheständlern sind meistens fünf bis zehn im Einsatz, in der Regel in Teilzeit. Man habe überwiegend positive Erfahrungen gemacht, sagt Otto-Personalmanager Christoph Ebeling: "Wer sich dafür meldet, ist motiviert und engagiert."
Obwohl der Rentner-Einsatz bei Otto als Erfolgsgeschichte dargestellt wird, ist die Zukunft des Projekts ungewiss. "Seit einem Jahr ist es durch eine Gesetzesänderung sehr viel einfacher, Arbeitnehmer zu unveränderten Konditionen auch über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu beschäftigen", sagt der Manager. Auch aus demografischen Gründen werde Otto künftig mehr ältere Arbeitnehmer beschäftigen.
Nur mit zeitlich befristeten Verträgen
Aber trägt ihre Rückkehr nicht dazu bei, dass jüngere Kollegen nicht vorankommen auf der Karriereleiter? Experte Fuß verneint das. Allen Beteiligten sei klar, dass die Älteren nur mit zeitlich befristeten Verträgen zurückkehrten. "Die blockieren keine Karriere-Pipeline." Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht das Thema positiv. "Ältere Menschen sind heute länger fit und leistungsfähig, gleichzeitig sind die Betriebe auf die Kompetenzen und Potenziale älterer Beschäftigter angewiesen", sagt ein Sprecher.
Sind "Senioren-Experten" also ein Mittel gegen den Fachkräftemangel? Bei der IG Metall ernten solche Überlegungen Kopfschütteln. "Das wird weder den Fachkräftebedarf der Zukunft decken noch für Tätigkeiten geeignet sein, die physisch oder psychisch besonders belastet waren", sagt Baden-Württembergs Landeschef Roman Zitzelsberger. Dies sei eher etwas für Spezialisten. "Wenn die Menschen das wollen, spricht nichts dagegen", sagt Zitzelsberger. "Aber ein Massenphänomen wird das nie."
Bagdatli