Aftersales-Strategie: Gegen den Servicerückgang

KURZFASSUNG: Der Service steht vor einer großen Transformation - geprägt durch Rückgänge der Servicepotenziale, einen sich veränderten Mobilitätsmarkt, neuen Kundenbedürfnissen sowie neuen Gesetzen zur Nachhaltigkeit. Die Ziele sind: höhere Wertschöpfung pro Kundenkontakt; Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit; Steigerung der Kundenloyalität sowie Ausschöpfung vorhandener und neuer Potenziale im Aftersales. Die Handlungsfelder dafür sind: vorhandene Geschäftsfelder weiter ausbauen und neue Geschäftsfelder einführen; die individuellen Bedürfnisse der Kunden in den Vordergrund stellen; Digitalisierung verbessert und steigert die Qualität der analogen Prozesse; Prozessoptimierung steigert die Qualität und die Produktivität sowie die Effektivität in den Unternehmen. Die Basis von allen ist das Personalmarketing. Mit einem schlechten Betriebsklima können Veränderungen nur sehr schwer nachhaltig umgesetzt werden. Und wie kann ich das Betriebsklima verbessern? Fragen Sie doch einfach Ihre Mitarbeiter! Die Zielsetzung des zukünftigen Service bleibt die gleiche wie heute: Der Aftersales-Bereich muss Geld verdienen, er ist die "Cash Cow" im Unternehmen. Allerdings wird er künftig stärker die Differenzierung im Verdrängungswettbewerb übernehmen. In der Vergangenheit ist der Gesamtfahrzeugbestand in Deutschland ständig gewachsen und hat einiges an verlorenen Potenzialen ausgeglichen. Der Gesamtbestand wächst immer noch, doch viel langsamer. Bei den jährlichen Neuzulassungen gab es seit Corona einen Rückgang. Und dieser Rückgang wird sich zuerst im Segment-1-Bestand negativ auswirken; in einigen Jahren wird damit auch der Gesamtbestand rückläufig sein. Der Servicemarkt teilt sich heute im Wesentlichen folgendermaßen auf: Das Segment 1 (ein bis 3,5 Jahre) wird sehr stark von den Markenhändlern dominiert. Das Segment 2 teilen sich Markenhandel, Werkstattsysteme und freie Werkstätten. Das Segment 3 wird von den Werkstattsystemen und freien Werkstätten dominiert. Servicerückgang Die Markenhändler werden aufgrund der jährlich geringeren Neuwagenzulassungen als Erstes den Bestandsrückgang im Segment 1 im Service merken. Der Servicerückgang wird zusätzlich durch längere Service-Intervalle, bessere Qualität und geringere Wartungsumfänge pro Fahrzeug forciert. Das ist kein neues Phänomen. 1995 waren es noch durchschnittlich sechs Stunden pro Fahrzeug und Reparaturauftrag, heute liegen wir bei 1,8 Stunden. Damals benötigte man zur Auslastung eines Mechanikers rund 1,5 Aufträge am Tag, heute werden dafür zwischen vier und fünf Aufträge benötigt, das heißt: dreimal so viele Aufträge und Rechnungen wie 1995. Durch den Elektroantrieb wird es einen weiteren Rückgang pro Werkstattdurchgang von heute 1,8 Stunden auf eine Stunde geben, wenn man nicht gegensteuert: durch den aktiven Serviceverkauf in der Dialogannahme, durch einen aktiven Zubehörverkauf sowie durch Kundenrückgewinnung und höhere Kundenloyalität. Stundenverrechnungssätze Der Servicerückgang wurde bislang zum Großteil kompensiert durch eine ständige Erhöhung der Stundenverrechnungssätze. Bereits jetzt ist der Trend zu spüren, dass fehlendes Geschäft erneut durch höhere Stundenverrechnungssätze aufgefangen werden soll. Die Stundenverrechnungssätze der Elektrofahrzeuge sind wesentlich höher als die der Verbrennerfahrzeuge, was sich in einen deutlichen Rückgang der Zufriedenheit der Elektrokunden widerspiegelt. Was sind die Gründe für die hohen Stundeverrechnungssätze bei den Elektrofahrzeugen? Sind es die notwendigen Investitionen für die Elektroarbeiten? Bei Hyundai lagen wir bei rund 8.000 Euro. Ist es die notwendige Qualifizierung? Bei der Ausbildung zum Mechatroniker ab 2013 ist die HV2-Qualifizierung mit enthalten. Alle Mechatroniker ab 2017 haben also eine entsprechende Qualifikation. Die Investitionen sowie die Qualifizierung rechtfertigen demnach keinen höheren Stundenverrechnungssatz. Oder andersherum: Wenn heute ein neuer Anbieter auf den Markt kommt, der nur einen Service für Elektrofahrzeuge anbieten würde und von Haus aus viel geringere Investitionen hätte (keine Absauganlagen, keine Ölabscheider, keine Abgastester), dieser Anbieter hätte einen Wettbewerbsvorsprung. Elektro vs. Verbrenner Die großen Unterschiede zwischen Verbrennerfahrzeug und Elektroantrieb liegt für mich in einem sich verändernden Geschäftsmodell. Das Geschäftsmodell der Verbrennfahrzeug besteht aus dem Fahrzeug und der Technologie. Beim Geschäftsmodell für den Elektroantrieb geht es weniger um das Fahrzeug direkt, sondern mehr um die Technologie rund um das Fahrzeug herum wie Ladeinfrastruktur, Ladekabel, Wallboxen oder DC-Ladestationen. Zudem geht es um Energiegewinnung durch Solarenergie mit Pufferspeicher oder Stromverträge. Aber auch Lifestyle-Produkte wie Elektroräder oder Elektroroller spielen eine Rolle. Und hier liegt für mich die größte Investition: in der Qualifizierung von Beraterinnen und Beratern, die qualifiziert verkaufen können. Viele Serviceberater oder Verkäufer, die das nebenher mitmachen sollen, sind damit heute überfordert. Deshalb gab es schon den ersten Ansatz, dass eine chinesische Marke ihren Service nicht über den klassischen Autohandel anbieten wollte, sondern über einen Elektrofachhandel. Wehret den Anfängen! Konnektivität Die große Revolution in der Automobilbranche wird aber nicht der Elektroantrieb sein, sondern die Konnektivität. Und die muss kommen. Wenn jeder Mobilitätswunsch in eine zentrale Datenbank eingegeben würde, dann würde im Vorfeld der optimale Verkehrsweg berechnet. Dadurch würden sich die Kosten für den Straßenbau reduzieren und die unproduktive Zeit in den Staus auflösen. Auch die Elektromobilität würde sich durch intelligentes Laden besser umsetzen lassen. Die heutige Automobilbranche denkt noch in alten Zügen: schnell Laden, große Speicher. Der Nachteil ist: Wo soll der Strom bei diesem hohen Bedarf und den enormen Spitzen herkommen? Auch die Rohstoffe für die großen Batterien sind sehr teuer. Mit Konnektivität könnte Mobilität effizienter und kostengünstiger erfolgen. Neue Servicestrategie nötig Wir haben die alte Servicewelt und wir bekommen eine neue Servicewelt. Die Kunst besteht darin, beide Welten zu beherrschen und auszuschöpfen. Dazu ist eine neue Servicestrategie notwendig. Ich habe letztes Jahr begonnen, die neue "Servicestrategie 4.0" in der Hyundai-Handelsorganisation einzuführen. Da ist noch ein sehr dickes Brett zu bohren. Bei der Servicestrategie gibt es vier wesentliche Bereiche: Kundenfokus, Aftersales-Prozesse, Digitalisierung und Unternehmensorganisation mit Personalmanagement. Die vorhandene Potenziale im Service müssen ausgebaut werden durch höhere Kundenloyalität, aktiven Serviceverkauf in der Dialogannahme, aktiven Zubehörverkauf vor allem nach dem Neuwagenverkauf, Erweiterung von Serviceangeboten, Nutzung des Aftersales-Marketing. Durch das klassische Bestandskundenmanagement lassen sich Problem im Autohaus aufdecken und zusätzliche Serviceumsätze generieren. Durch standardisierte Prozesse im Aftersales-Bereich werden die Arbeitsressourcen sinnvoll eingesetzt, was dem Personalmangel entgegenwirkt. Die wesentlichen Voraussetzungen sind kurze Laufwege und spezielle Arbeitsplätze, um die das notwendige Werkzeug herum aufgebaut ist. Dadurch werden die Rüstzeiten verringert und die Profitabilität weiter gesteigert, was in einem Verdrängungswettbewerb überlebensnotwendig ist. Bevor eine Digitalstrategie eingeführt wird, ist es zudem wichtig, dass die Prozesse sauber strukturiert sind. Mit der Digitalisierung lässt sich die Produktivität und die Qualität steigern. Bereits in den 80er-Jahren wurden digitale Prozesse in den Autohäusern eingeführt, allerdings gibt es noch einen großen Nachholbedarf in Sachen Datenqualität sowie Nutzung und Erstellung von Schnittstellen. Auch beim Mehrmarkenhandel ist erkennbar, dass genügend Schnittstellen zur Hauptmarke vorhanden sind, jedoch bei den hinzugenommen Fahrzeugmarken sehr oft die Schnittstellen fehlen, was die Arbeit durch doppelte Eingaben zeitaufwendig macht. Auch werden die Mitarbeiter dadurch demotiviert. Hyundai hat vor fünf Jahren den digitalen Aftersales-Prozess eingeführt: eine papierlose Werkstatt. Erste Erkenntnisse zeigen, dass sich die Produktivität um weitere 30 Prozent steigern lässt. Personalmarketing Ein wesentliches Handlungsfeld für die Zukunft ist außerdem das Personalmarketing. Zum einen haben wir einen Fachkräftemangel vor allem bei den Mechatronikern. Zum anderen ist der Beruf Mechatroniker sehr uninteressant geworden. Das zeigt die Mitarbeiterbefragung 2023 der puls Marktforschung. Hauptgründe dafür sind fehlende Wertschätzung, ein schlechtes Arbeitsklima, zu viel Arbeit und Druck sowie schlechte Organisation und schlechtes Management. Offenbar haben wir in erster Linie ein Führungsproblem in Deutschland. Dabei wäre es so einfach: Wenn Autohändler das Betriebsklima und die hohe Fluktuation verbessern wollen, sollten sie einfach ihre Mitarbeiter fragen. Aus den Antworten können sie ihre individuellen Handlungsfelder ableiten. DER AUTOR Karl Hell hat eine jahrzehntelange Erfahrung im Automobilvertrieb und Aftersales. Er war lange Jahre Aftersales-Direktor von Hyundai Motor Deutschland.

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