Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Februar 2018 besagt: Diesel-Fahrverbote zur Luftreinhaltung sind in Ausnahmen möglich. Hier einige Reaktionen aus Politik, Wirtschaft und den Verbänden:
Die Bundesregierung will Diesel-Fahrverbote in Städten auch nach dem Grundsatzurteil noch abwenden. Es sei "das ganz klare Ziel, Fahrverbote zu vermeiden. Das ist auch machbar mit der Vielfalt der Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben", sagte der geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) am Dienstag in Berlin. Er verwies unter anderem auf ein gestartetes Programm von einer Milliarde Euro zur Förderung kommunaler Maßnahmen.
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte, ihr Ziel bleibe, dass Fahrverbote möglichst nie in Kraft treten müssten, weil die Luft auf anderem Weg sauber zu bekommen sei. Es gebe hierfür jetzt noch einen Zeitraum, der mit «beherzten Maßnahmen» genutzt werden müsse. Die Autohersteller als "Verursacher des Problems" dürften dabei nicht aus der Verantwortung entlassen werden, sagte Hendricks. Gebraucht würden auch technische Nachrüstungen, "die so viel bringen, dass der Stickoxid-Ausstoß deutlich sinkt, und man damit weiter in die Innenstädte fahren kann". Der Druck dafür sei jetzt größer geworden.
"Dringender denn je brauchen wir jetzt eine Nachrüstverordnung für ältere Dieselfahrzeuge", erklärte Jürgen Karpinski, Präsident des Deutschen Kfz-Gewerbes (ZDK), nach dem Leipziger Urteil. Die Nachrüstung durch private wie gewerbliche Halter müsse – nach dem Vorbild der Rußpartikelfilter – öffentlich gefördert werden. VDA-Präsident Wissmann betonte: "Wir werden alles dafür tun, um die Situation bei den Luftschadstoffen in den Städten zu verbessern." Die Autoindustrie glaube nicht, dass Fahrverbote dafür die geeignete Lösung seien. Wie berichtet, lehnen die Hersteller eine Hardware-Nachrüstung ab. Vielmehr sollen Software-Update die den Stickoxid-Ausstoß von Dieselautos wirksam reduzieren.
"Blaue Plakette nicht notwendig"
Unionsfraktionschef Volker Kauder hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten in Städten begrüßt. Das Urteil gebe nun endlich Klarheit und bestätige, was die CDU schon immer gesagt habe, sagte Kauder am Dienstag vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. "Dass es keine Fahrverbote flächendeckend gibt, ist eine gute Entscheidung", sagte der CDU-Politiker. "Wir brauchen jetzt also nicht davon ausgehen, dass die Menschen pauschal von ihrem Dieselfahrzeug getrennt werden." Es sei richtig, dass eine blaue Plakette nicht notwendig sei.
Die Kommunen seien nun aufgerufen, zu handeln, sagte Kauder. Nun werde man vielleicht auch die Bedeutung neuer Straßen und Ortsumfahrungen in einem neuen Licht sehen. In Stuttgart etwa könne man durch bauliche Maßnahmen "für eine bessere Durchlüftung der Stadt" sorgen. Jetzt gehe es darum, nach differenzierten Lösungen zu suchen. Messstationen müssten differenzierter sein, Kommunen müssten entsprechende Fahrzeuge für den Nahverkehr zur Verfügung stellen.
Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt äußerte sich ähnlich. Er begrüßte, dass ein generelles Fahrverbot nicht notwendig sei, sagte der CSU-Landesgruppenchef vor der Unionsfraktionssitzung. Jetzt brauche es intelligente Erststeuerungsmaßnahmen in den Städten. Spezifische Maßnahmen müsste in den Regionen nun ergriffen werden. "Die Konzepte müssen in der Stadt vorgenommen werden."
"Historisches" Urteil
Umweltschützer begrüßten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: "Jede Stadt kann nun das Recht ihrer Bürger auf saubere Luft selbst durchsetzen", sagte Greenpeace-Sprecher Niklas Schinerl am Dienstag. Die Umsetzung des Urteils werde aber bald zeigen, dass nur eine bundesweit einheitliche Regelung mit einer 'blauen Plakette' einen Flickenteppich unterschiedlicher Regeln verhindern könne. "Die Bundesregierung muss mit einer Plakette verhindern, dass bald niemand mehr weiß, welcher Diesel noch in welche Stadt fahren kann", forderte er.
Der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert, nannte das Urteil der Leipziger Richter einen "Gewinn für die Gesundheit der Bürger" und "historisch". "Die Gerichte zwingen nun den Gesetzgeber zu handeln", sagte er. Es brauche nun einen starken und günstigen öffentlichen Nahverkehr, eine 'blaue Plakette' für relativ saubere Autos und verpflichtende Nachrüstungen von Dieselautos auf Kosten der Autobauer.
"Die Autoindustrie hat sich böse verzockt", sagte Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Damit wachse der Druck auf Politik und Hersteller, die Schadstoffbelastung der Luft durch den Straßenverkehr zu reduzieren. Besonders betroffene Städte müssten nun schnellstmöglich zu Vorreitern der Verkehrswende gemacht werden.
Einheitliche Regelung muss folgen
Der Chef der klagenden Deutschen Umwelthilfe wertete das Leipziger Urteil zu Fahrverboten als klares Signal an die Bundesregierung. "Ich glaube, wir haben heute einen ganz großen Tag für die saubere Luft in Deutschland erreicht", sagte Jürgen Resch. Der Bund muss Resch zufolge nun verstehen, was das bedeute: "Ganz schnell für eine einheitliche Regelung mit einer 'Blauen Plakette' sorgen und die betrügerische Autoindustrie dazu bringen, die neun Millionen Euro-5- und Euro-6-Diesel auf Einhaltung der Abgaswerte auf der Straße nachzurüsten."
Indes warnen Handwerk und Einzelhandel nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor einer breiten Einführung von Fahrverboten. Dies sei "keinesfalls ein Freifahrtschein, um in ganz Deutschland Dieselfahrzeuge aus den Städten auszuschließen", sagte der Präsident des Handwerksverbandes ZDH, Hans Peter Wollseifer, am Dienstag. Kommunen sollten alles tun, um solche Verbote zu vermeiden und andere Möglichkeiten zur Reduzierung von Schadstoffen ausschöpfen. In erster Linie seien nun die Autobauer in der Pflicht, über Software-Updates hinaus endlich auch technische Nachrüstungen älterer Diesel vorzunehmen und die Kosten zu tragen.
Der Präsident des Handelsverbands, Josef Sanktjohanser, sagte: "Attraktive Innenstädte brauchen saubere Luft. Aber mit Fahrverboten macht man kaputt, was vielerorts über die letzten Jahre aufgebaut wurde." Kunden könnten sich auf Geschäfte auf der "grünen Wiese" oder den Online-Handel umorientieren. Die Politik müsse nun Weichen für eine Verkehrswende stellen und etwa neue Antriebsformen stärker fördern. Vorgaben für Belieferungen in der Nacht sollten gelockert werden, um den Verkehr am Tag entzerren zu können.
"Ultima Ratio" gegen Luftverschmutzung
Die kommunalen Unternehmen sehen in Fahrverboten nur das letzte Mittel gegen Luftverschmutzung durch Diesel-Autos. "Fahrverbote sind nur ein Werkzeug unter vielen und für uns die 'ultima ratio'", teilte der Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen, der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), am Dienstag mit.
Das Bundesverwaltungsgericht habe den Städten einen großen Werkzeugkasten mitgegeben. Es gehe um geeignete und verhältnismäßige Mittel. Auch die Autohersteller seien in der Pflicht zu Nachrüstungen. Die Städte hätten unter anderem bereits Busflotten im öffentlichen Nahverkehr umgerüstet. Ebling verwies auch die Pläne von Union und SPD, Elektrobusse und Elektrotaxis zu fördern.
Das Fahrverbots-Urteil ist nach Ansicht von Grünen-Politiker Cem Özdemir Folge einer falschen Verkehrspolitik. "Dass es überhaupt so weit kommen konnte, geht auf die Kappe der zuständigen CSU-Minister im Verkehrsministerium", sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag. Ex-Minister Alexander Dobrindt habe Entscheidungen "auf Gerichte abgewälzt" und "auf Kuschelkurs mit den Autobossen" gesetzt. Dafür zahlten nun Autobesitzer und alle, die giftige Stickoxide einatmen müssten. Özdemir rief die Bundesregierung und die Autoindustrie auf, ihrer Verantwortung für Verbraucherschutz und Menschen in den betroffenen Städten nachzukommen. "Es braucht endlich ein ernst gemeintes, wirksames und verbindliches Nachrüstprogramm der Hersteller, das seinen Namen auch verdient", forderte er. Zudem drohe bei der Umsetzung des Urteils ein "unübersichtlicher Wirrwarr".
Merkel rechnet mit begrenzten Folgen
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet dagegen nur mit begrenzten Folgen. "Es geht um einzelne Städte, in denen muss noch mehr gehandelt werden", sagte sie in Berlin. "Aber es geht wirklich nicht um die gesamte Fläche und alle Autobesitzer in Deutschland." Merkel verwies darauf, dass viele von zu schmutziger Luft betroffene Städte "nicht so sehr große Überschreitungen der Grenzwerte haben". Das Thema der Verhältnismäßigkeit spiele im Urteil auch eine große Rolle: "Das heißt, wir können hier vielleicht sehr schnell auch die notwendigen Grenzwerte einhalten."
Die Kanzlerin betonte, dass Luftreinhaltepläne auf jeden Fall umgesetzt werden müssten - auch mit Hilfe des Bundes. Sie hob unter anderem ein bereits laufendes Milliardenprogramm zur Förderung von kommunalen Maßnahmen hervor. Städte mit besonderen Problemen sollten noch einmal gesondert angeschaut werden. Wer nach dem Urteil der Leipziger Richter "jetzt die rechtlichen Handlungsoptionen hat, das müssen wir prüfen", sagte Merkel. Hierüber solle auch mit Kommunen und Ländern gesprochen werden. Die Kanzlerin äußerte sich in einer Pressekonferenz mit Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vucic.
ADAC erwartet lokale Einschränkungen
Der ADAC erwartet nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts keine pauschalen Fahrverbote, hält aber lokale Einschränkungen als letztes Mittel für möglich. Um Fahrverbote zu verhindern, forderte der ADAC am Dienstag, "schnell Euro-5-Diesel nachzurüsten, alle Verkehre sinnvoll miteinander zu vernetzen und den ÖPNV verlässlicher zu machen".
Mit Anreizen und Fördermitteln solle der Bund alternative Maßnahmen für eine bessere Luft maßgeblich unterstützen. Außerdem müsse der Bund zügig die rechtlichen Voraussetzungen für Hardware-Nachrüstungen von Euro-5-Dieselautos schaffen.
Auch ohne rechtliche Verpflichtung sollten die Autohersteller die Autos nachrüsten - ohne die Kosten dafür den Kunden in Rechnung zu stellen, sagte ADAC-Vizepräsident Ulrich Klaus Becker.
"Schlag gegen Freiheit und Eigentum"
FDP-Chef Christian Lindner übte scharfe Kritik an der Enscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Er nannte es einen "Schlag gegen Freiheit und Eigentum, weil wir uns zu Gefangenen menschengemachter Grenzwerte machen". Es müsse alles getan werden, damit es nicht zu einer "kalten Enteignung" von Besitzern von Dieselautos komme und die Mobilität nicht eingeschränkt werde, sagte Lindner am Dienstag in Berlin.
Die Politik sei nun in der Pflicht, die Luftverschmutzung an besonders belasteten Punkten zu senken, etwa durch intelligente Verkehrsführung und die Elektrisierung des Nahverkehrs, sagte Lindner. Die Autohersteller müssten nun Fahrzeuge - falls nötig - auf eigene Kosten nachrüsten. Dies sei "eine Frage der Ehre der deutschen Automobilindustrie", um rigide Eingriffe zu vermeiden.
"Für die Zukunft müssen wir lernen, dass Grenzwerte auch tatsächlich auf der Basis solider wissenschaftlicher Debatten festgelegt werden", verlangte Lindner. Er zweifelte an, ob die Grenzwerte "in dieser Rigorosität" angebracht seien. Schon wenige Meter hinter den Grenzwerten sinke die Belastung erheblich. Es handle sich um politisch festgelegte Werte.
Politik ist nun am Zug
Der Deutsche Städtetag sieht nach dem Urteil die Politik am Zug. "Wir appellieren eindringlich an den Bund, seine Zurückhaltung gegenüber der Automobilindustrie aufzugeben", sagte Präsident Markus Lewe am Dienstag. Die Hersteller seien Hauptverursacher und müssten nun endlich liefern. Es müsse Klarheit her, was Software-Updates bei älteren Fahrzeugen bringen. Wenn das nicht reiche, müsse die Branche zu Nachrüstungen an Motoren verpflichtet werden und auch zahlen.
"Wir rechnen nach dem Urteil nicht mit kurzfristigen Fahrverboten in den Städten, zumal diese nur stufenweise eingeführt werden dürfen", sagte Lewe, der Oberbürgermeister in Münster ist. Die Länder müssten Luftreinhaltepläne anpassen und beantworten, welche Maßnahmen für die Einhaltung der Grenzwerte erforderlich seien.
Der Städte- und Gemeindebund betonte, die Richter hätten deutlich gemacht, dass Verbote nur die letzte Möglichkeit seien, wenn alle anderen Maßnahmen für saubere Luft nicht helfen. Die Kommunen seien derzeit nicht in der Lage, kurzfristig Fahrverbote umzusetzen, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Radioprogramm SWR Aktuell. Um die Anforderungen zu erfüllen, müssten etwa Schilder aufgestellt und Ausnahmegenehmigungen geregelt werden. (dpa/rp)
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