Von Andreas Hoenig, dpa
Steiler Aufstieg und tiefer Fall: Selten in der deutschen Wirtschaft hat ein Arbeitsdirektor eine solch schillernde Karriere hingelegt wie Peter Hartz. Mit innovativen Tarifmodellen bewahrte er Volkswagen vor Massentlassungen, bevor ihn die Verwicklung in die VW-Affäre den Job kostete. Sein Name aber bleibt vor allem mit einer Reform verbunden: Hartz IV. An diesem Dienstag (9. August) wird Hartz 75 Jahre alt.
Wegen der Hartz-Gesetze gingen Hunderttausende auf die Straße, die SPD schlitterte in eine schwere parteiinterne Krise. Der Name "Hartz" steht inzwischen im Duden, 2009 wählte eine Jury das Verb "hartzen" zum Jugendwort des Jahres – für "rumhängen oder arbeitslos sein". Hartz selbst sagte 2014 der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Hieße ich zum Beispiel Leutheusser-Schnarrenberger, hätten Kommission und Gesetze einen anderen Namen bekommen."
Im Sommer 2002 legte Hartz als Leiter einer Experten-Kommission der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen Katalog von Vorschlägen für eine "arbeitsmarktpolitische Radikalkur" vor. Diese wurden in vier Reformgesetze gegossen – von denen das letzte unter dem Namen "Hartz IV" bekannt wurde.
Innerhalb von drei Jahren lasse sich die Arbeitslosigkeit halbieren, das war die Botschaft von Hartz. Als er seine Reformen damals vorschlug, gab es 3,8 Millionen Arbeitslose – heute sind es 2,66 Millionen. Nach wie vor sind die Reformen aber umstritten.
"Unterm Strich ein Erfolg"
Hartz selbst meint im Rückblick: "Die Arbeitsmarktreformen waren unterm Strich insgesamt ein Erfolg. Hätten die Politiker die Vorschläge der Fachleute alle umgesetzt, wären sie noch besser geworden." Dies sei der Preis der parlamentarischen Demokratie, sagte er der dpa. "Große Gesetze werden nie so verabschiedet, wie sie ins Parlament eingebracht werden." Die Kommission wollte etwa einen Hartz-IV-Regelsatz von 511 Euro – die Politik entschied sich damals für das Niveau der Sozialhilfe, der Regelsatz landete bei 345 Euro.
Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit – für Hartz ist es ein Lebensthema. Geboren wird er am 9. August 1941 im saarländischen St. Ingbert als Sohn eines Drahtziehers und Hüttenarbeiters. "Das war ein typischer Arbeiterhaushalt", erzählte Hartz 2013 der "Süddeutschen Zeitung". "Wir drei Buben mussten in der Landwirtschaft mitarbeiten. Heute sagt man Kinderarbeit dazu." Später dann wird der Vater krank. "Er wurde dann überall herumgeschubst. Na ja. Ich wollte die Dinge anders machen."
Dazu bekommt er in seiner Karriere mehrfach Gelegenheit. Zunächst macht Hartz nach der mittleren Reife eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Er wird Mitglied der IG Metall und der SPD, holt auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studiert Betriebswirtschaftslehre. Ab 1976 arbeitet er als Arbeitsdirektor in der saarländischen Stahlindustrie, ab 1979 bei den Dillinger Hüttenwerken. Es sind die Zeiten der großen Branchenkrise.
Hartz schafft es mit innovativen Modellen und guten Kontakten in die Politik, den Personalabbau ohne Entlassungen zu bewerkstelligen. Heute meint er: "Ein Erfolg war sicherlich, dass ich in meinen 29 Jahren als Personalchef in der Stahl- und Automobilindustrie es immer wieder schaffte, bei großen Strukturreformen und Wettbewerbsmaßnahmen betriebsbedingte Kündigungen mit ausschließen zu können."
Erfinder der Vier-Tage-Woche
1993 holt ihn der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch als Personalvorstand zum Wolfsburger Autobauer, der sich in einer schweren Krise befindet. Volkswagen produziert zu teuer, es droht die Entlassung von bis zu 30.000 Beschäftigten. Hartz erfindet die Vier-Tage-Woche, eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich – aber kein VW-Mitarbeiter landet auf der Straße. Mit dem Tarifmodell "5000 x 5000" schafft er Langzeitarbeitslosen eine Perspektive.
Hartz gilt als Modernisierer und geschickter Mittler zwischen Management und Arbeitnehmervertreten, als Arbeitsmarktreformer ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Dann aber bringt ihn seine Verwicklung in die VW-Affäre zu Fall. 2005 tritt er zurück, eine Ära bei Volkswagen endet jäh. 2007 wird er wegen Untreue und Begünstigung von Betriebsräten zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt.
"Im Rückblick würde ich in meinem Stab einen Juristen beschäftigen, der alle meine Entscheidungen darauf hin abklopfen müsste, ob sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen", sagt Hartz heute. "Vieles wäre mir erspart geblieben."
Seinen Geburtstag feiert er zu Hause im Saarland mit seiner Familie. Er ist noch immer aktiv: Mit der Stiftung SHS hat Hartz unterschiedliche Projekte auf den Weg gebracht. "Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit ist lösbar", glaubt er. "Drei bis vier Tage in der Woche arbeite ich mit an den Lösungen."
Kurbelwellenfan