Von Alexandra Felts/SP-X
Eigentlich kann man getrost das Navi ausschalten. Man muss nur der langen Opel-Schlange folgen, die sich wie von einem Magneten angezogen Richtung Oschersleben bewegt. Motorsportfans kennen die Arena - zumindest von den DTM-Rennen. Für andere mag die flache, beschauliche Magdeburger Börde ansonsten der Ort sein, wo sich Fuchsschwanz und Heckspoiler Gute Nacht sagen. Aber einmal im Jahr verwandelt sich das Areal um die Rennstrecke in einen Hexenkessel, wenn die Organisatoren zur großen Sause rund um den Blitz bitten. Opelaner sind ja gar nicht so: schließlich werden ausdrücklich auch Besitzer anderer Marken zur riesigen Party eingeladen, die in diesem Jahr bereits zum 20. Mal steigt. Neben Seat, Fiat, Skoda und einem durchaus mutigen Porsche Panamera wurden auch Produkte aus Wolfsburg freundlich durch die Zufahrten gewunken.
Statt mit nostalgischem Blick einem Opel Rekord A aus den sechziger Jahren zu folgen oder erstaunt einem neuerem Astra, der vor getunter Power kaum seine Räder auf der Strasse hält, kann sich der Oschersleben-Pilger auch einfach nur an den pechschwarzen Rauchschwaden orientieren. Denn sie signalisieren, dass der beliebte Burnout-Wettbewerb begonnen hat. Es geht hierbei darum, dank Motorkraft so intensiv um die eigenen Achsen zu tanzen, bis die Reifen zu qualmen beginnen und im Idealfall platzen. Ein aufgetürmtes Grabmal des geschredderten Gummis belegt eindrucksvoll, dass Pneus nach Oschersleben kommen, um wie Gladiatoren in der Arena zu sterben. Ein wenig Kindergeburtstag für Erwachsene ist auch ein anderes Ereignis: der Lautstärketest für Motoren, die so sicherlich nie eines der Opel-Werke verlassen haben. Gewonnen hat dieses Jahr ein 300 PS starker Corsa aus den Niederlanden, dessen Außenspiegel bei den über 154 Dezibel geflattert haben dürften.
Weibliche Beautys stellen sich der Wahl zur Miss Opel, für die Blechschönheiten hingegen winken die Pokale des Show&Shine-Wettbewerbs bei denen die Juroren neben Karosserie und Motorraum auch die Sauberkeit vermerken. Dass 2015 ein Opel Astra G Cabrio gewonnen hat, obwohl auch majestätische Ahnen wie Diplomat oder Admiral anwesend waren, belegt den demokratischen Charakter des Treffens. Hier mag es wie bei den feinen Concours d`Èlégance nicht darum gehen, das millionenschwere Prachtstück vorzuführen, aber die Liebe zum Sammeln und zum Fachsimpeln ist bei Opelanern genauso ausgeprägt. Marcel aus Jena, seit 20 Jahren dabei, hat seinen wunderbar gepflegten Kadett C Caravan von 1977 dabei, dessen 2,4-Liter-Motor mit 200 PS natürlich seinerzeit nicht serienmäßig eingebaut war, der aber seine Muskeln beim 18-Meilen-Rennen des Treffens zeigt. Ein Onkel aus dem Westen kam damals mit seinem Opel Senator - da war es um Marcel geschehen. Auch der Opel Vectra seines Freundes Gunnar mit einem 3,2-Liter-Sechszylinder aus dem Omega ist ein Juwel, das in liebevoller Heimarbeit immer wieder verfeinert und umgebaut worden ist. Maßarbeit in schwarz und beige, die als Besonderheit eine wie im Motorsport übliche nach vorne aufklappbare Front besitzt und in die Gunnar im Lauf der Jahre rund 25.000 Euro investiert hat.
Opel-City auf Zeit
Vor dem Eingang zur Rennstrecke gibt es neben Imbissbuden eine bunte Fanmeile mit Zubehör, Souvenirständen, Modellautos, Veredlern und Experten für die akustische Aufrüstung des Lieblings. Der Rundkurs selbst ist bekränzt von Zelten, Caravans und Wohnmobilen. In dieser kleinen Opel-City auf Zeit (die sogenannten Alt-Opelaner mit ihren Klassikern haben einen eigenen Übernachtungsplatz auf dem Gelände) begegnet man nicht nur den partybereiten jungen Wilden, die kommende Exzesse bereits auf dem T-Shirt ankündigen, sondern auch Familien mit Kindern, die im ganz normalen Serienmodell angereist sind.
Zum Beispiel Anja und Stefan Denk von den Opel-Freunden Bernburg, die von Anfang an bei diesen Opel-Festspielen dabei sind und sich in Wernigerode kennengelernt haben. Inzwischen packt das Paar seine beiden kleinen Töchter in den Astra Caravan und reist aus Donauwörth an. Stefans Coupé Calibra muss in dieser Zeit allein daheim ausharren. Auf diesem ruhigen Campingplatz fern des Tumults parkt ein Pappa-Kombi am anderen, während die Blitz-Fans unter den Zelt-Vordächern entspannt kühle Getränke zu sich nehmen. "Oschersleben ist wie ein Familientreffen" schwärmen die Denks. "Man trifft sich einmal im Jahr, freut sich auf Freunde und genießt die Tage unter Gleichgesinnten."
Mit dem berühmt-berüchtigten Wörthersee-Treffen der Golf GTI lässt sich Oschersleben kaum vergleichen. "Bei uns geht es tatsächlich familiär zu. Alle Modelle aus allen Epochen sind eingeladen, und alle Menschen sowieso", sagt Sven Glöckner. Der Mann, der im zivilen Leben Manager ist, gehört zu den Vätern dieses weltweit einmaligen Treffens der Opelfahrer, das erstmals 1996 auf einer Wiese bei Wernigerode im Harz mit über 900 Blitz-Mobilen stattfand. Das Jubiläum 2015 bescherte aber nicht nur hochsommerliche Temperaturen. Es strömten diesmal an die 70.000 Begeisterte verteilt auf mindestens 20.000 Autos herbei. Die weiteste Anreise hatten vermutlich die Finnen, Schotten und Norweger. Dr. Calibra dürfte sie alle kennen. Er ist so etwas wie der Ur-Blitz von Oschersleben. Der Pfälzer heißt so, weil er immer an seinem Coupé "herumdoktort" und wie jeder selbsternannte "Oschi" (nicht zu verwechseln mit: Ossi) Opel im Herzen trägt.
Opel als Urheber dieser Marken-Mania dürfte es freuen. Der offizielle Veranstalter ist zwar inzwischen die Motorsport Arena Oschersleben, aber Rüsselsheim ist geradezu dezent nur mit Gewinnspielen und jüngsten Sprösslingen wie Adam S und Karl vertreten. Gelassen betrachtete der ehemaliger Rennfahrer Jockel Winkelhock den Wahnsinn um ihn herum. "Oschersleben war immer eine ganz schwierige Strecke. Da gab es bis zum Schluss keine Ruhepausen." Was jeder Oschi so unterschreiben würde.
Gerd