Bei der japanischen Automarke Nissan hat man das Thema Zeitenwende zur Chefsache gemacht und mit der Juristin Friederike Kienitz eine versierte Fachfrau in den Vorstand geholt. Ihr Titel: Senior Vice President für Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Recht, externe Angelegenheiten und Kommunikation. Wir haben mit der Spitzentmanagerin über die Schwerpunkte ihrer Arbeit gesprochen. Und darüber, wie Frauen im Vorstand ein Unternehmen verändern.
Wie weiblich ist die Autoindustrie?
Friederike Kienitz: Noch nicht weiblich genug. Ich denke, wir reden über lediglich 20 Prozent im Führungsbereich. Es gibt zwar Fortschritte, aber es ist auf keinen Fall genug. Mein Ziel ist 50:50. Das entspricht der Bevölkerung, und das sollte sich auch im Management widerspiegeln. Die Automobilindustrie ist ja so was von spannend, unabhängig ob Mann oder Frau. Es geht um Mobilität. Es geht um Technologie, Transformation. Es geht um die Energieindustrie. Es geht um autonom fahrende Autos und letztlich um Smartphones. Und das ist spannend für Männer und für Frauen.
Gehen Sie dieses Thema bei Nissan aktiv an?
F. Kienitz: Wenn wir nicht extra Aktionen machen, um das zu beschleunigen, wird es zu lange dauern. Deshalb sind wir an verschiedenen Stellen aktiv. Wir gehen in Schulen, damit der Ingenieurs-Job attraktiv wird. Wir führen neben vielen anderen Aktivitäten spezielle Programme durch, mit denen wir versuchen, das Interesse von Frauen und schon von Mädchen für diese Branche zu wecken – etwa mit dem Programm „Girls in Manufacturing“.
Macht es bei der Firmenpolitik und -strategie einen Unterschied, wenn der Vorstand im einigermaßen gleichen Verhältnis mit Männern und Frauen besetzt ist – oder eben nicht?
F. Kienitz: Was ich erlebt habe, wenn mehr Frauen im Management sitzen, ist, dass Frauen in der Regel offener sind und besser zuhören. Sie bringen Themen auf den Tisch, die sonst nicht auf den Tisch gekommen wären – insofern sind sie oft mutiger und kreativer.
Nissan Arizon Concept (2023)
BildergalerieDas Thema Nachhaltigkeit ist für die Autoindustrie von existenzieller Bedeutung. Nissan spricht in diesem Zusammenhang von einer 360-Grad-Strategie hin zur Elektromobilität. Wie viel Grad hat das Unternehmen aktuell bereits geschafft – und wann wird sich der Kreis schließen?
F. Kienitz: Das E-Auto steht zwar nach wie vor für uns im Zentrum. Aber wir haben gemerkt, wir müssen es anders behandeln, aus verschiedenen Gründen. Zum einen müssen wir schauen, wie das Auto noch anders genutzt werden kann. Wie kann man den Wert der Batterie über das Leben des Autos hinaus maximieren? Zum anderen wird der Bedarf an Strom immens steigen. Wir müssen sehen, wie wir das nachhaltig gestalten können. Wir haben für unser britisches Werk in Sunderland, das mit dem Nissan EV36Zero-Projekt unser erstes Vorzeige-EV-Zentrum werden soll, ein neues Crossover-EV angekündigt, das von einer Gigafabrik in der Nähe mit Zellen beliefert wird. EV36Zero ist ein Projekt, das die Produktion von Elektrofahrzeugen, erneuerbaren Energien und Batterien miteinander verbindet und eine Art Blaupause für die Zukunft der Automobilbranche darstellt. Da kommt noch mehr, aber ist jetzt der erste Schritt.
Ihr Titel bei Nissan klingt für Außenstehende ein bisschen wie eine Sisyphos-Aufgabe: Sie sind gleichzeitig für eine Fülle von Themen zuständig.
F. Kienitz: Meine Tätigkeiten sind gar nicht so separiert, wie man glauben könnte. Sie hängen sehr, sehr eng zusammen und werden strategisch für Unternehmen von immer größerer Bedeutung. Wenn Sie über Nachhaltigkeit sprechen, reden Sie gleichzeitig über Risiko-Management und über sehr komplexe Regularien, die kommen werden. Die Kundinnen und Kunden werden zukünftig viel mehr als bisher von einem Unternehmen erwarten, wie zum Beispiel Themen wie Nachhaltigkeit und Diversität. Und sie werden auch wissen wollen, was in den Produkten, die sie kaufen werden, drin ist.
Wo liegen Ihre schwierigsten Baustellen?
F. Kienitz: Wir reden alle über die Transformation, die gerade in der Autoindustrie passiert. Elektromobilität, das ist unser Ziel. Gleichzeitig ist aber auch enorm wichtig, wie diese Transformation insgesamt nachhaltiger gestaltet werden kann. Und die Frage, wie wir das alles in unsere Geschäftstätigkeit integrieren. Das sind die größten Themen, die in meinen Funktionen eine Rolle spielen.
Nissan Max-Out
BildergalerieSie sind bei Nissan für die AMIEO-Region zuständig. Was kann man sich darunter vorstellen?
F. Kienitz: AMIEO ist tatsächlich eine Nissan-Regionenaufteilung, sie reicht von Sunderland, unserer Fabrik in Nordost-England, bis nach Australien. A steht für Afrika, M für den Mittleren Osten, E für Europa, I für Indien O für Ozeanien. Ich spreche immer von einem Mini-Globus, der 140 Nationen mit absolut unterschiedlichen Kulturen oder Richtungen in Bezug auf Elektromobilität vereint. Aber die großen Trends sind gar nicht so unterschiedlich. Der Druck auf alle Länder in Bezug auf die CO2-Neutralität ist sehr groß. Für uns ist es ist ein Vorteil, dass wir Erfahrungen von einem Land auf ein anderes übertragen und von neuen Entwicklungen auch für Europa lernen können.
Geschlechter-Gerechtigkeit ist immer noch ein riesiges Thema. In Ihrem Mini-Globus gibt es sicher noch höchst unterschiedliche Ist-Zustände. Wie gehen Sie damit um, wie versuchen Sie, die Entwicklung im Sinnen der Firmenpolitik zu beeinflussen?
F. Kienitz: Was man grob für alle sagen kann: Gender ist noch nicht da, wo es sein sollte. Das ist Fakt, überall. Was aus unserer Sicht wichtig ist: Eine Maßnahme muss nicht für jede Region passend sein. Man muss ganz genau und sehr spezifisch schauen, was die Herausforderungen sind, um dann die richtigen Maßnahmen zu treffen.
Viele Aktivitäten unter dem Überbegriff ESG, übersetzt und ausgeschrieben Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, leiden nach wie vor oft unter dem Ruf, dass sie nur der Optik dienen, ein Unternehmen aber nicht nachhaltig verändern.
F. Kienitz: Die nächste Generation nimmt es sehr, sehr ernst. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir als Unternehmen auch sehr ernst damit umgehen. Wir arbeiten an der Antwort auf die Frage: Wie kann ich die Elemente Umwelt, Soziales und Unternehmensführung zu einem integralen Bestandteil unseres Business-Modells machen? Wir werden etwa in Zukunft im Bereich Elektromobilität daran gemessen werden, wie viele Produkte wir auf den Markt bringen und wieviel CO2 diese Produkte ausstoßen werden. Gleichzeitig spielt aber eine Rolle, woher die E-Autos ihren Strom bekommen. Wir arbeiten daran, wie man die Batterien in den Autos dazu nutzen kann, dass die Transformation zu erneuerbarer Energie besser läuft – Stichwort Vehicle to Grid. Wir arbeiten daran, wie man Batterien, die aus den Autos zurückkommen, für Speicherlösungen nutzen kann, um deren Lebensdauer so lange wie möglich zu verlängern.
Nissan X-Trail Fahrbericht (2023)
BildergalerieWelche Ansätze gibt es in dieser Richtung noch?
F. Kienitz: Wir planen gerade, wie wir zu nachhaltigen Materialien in den Autos kommen, wann erreichen wir 30, 40, 50, bis zu 100 Prozent? Die Ressourcen sind limitiert, die Preise werden steigen, das ist auch eine Kostenfrage. Wie bauen wir heute ein System auf, das in einen geschlossenen Kreislauf übergeht, um auch Abhängigkeiten zu vermeiden und ein funktionierendes Geschäftsmodell zu schaffen? Die Welt dreht sich gerade sehr schnell mit unglaublich Risiken und Herausforderungen wie der Halbleiterkrise oder Logistik-Problemen. Wir sind immer noch ein Unternehmen, das Profit machen muss. Das heißt: Wir müssen diesbezüglich Wege finden und jetzt schon Systeme aufsetzen, die fit für die Zukunft sind. Es geht darum, eine glaubwürdige Roadmap zu haben.
Wie verändert Ihrer Meinung nach eine klare Diversity- und Inklusions-Strategie ein Unternehmen – am Beispiel von Nissan?
F. Kienitz: Wir können es uns überhaupt nicht mehr leisten, so weiterzumachen, wie wir die letzten 50 Jahre gearbeitet haben. Wir müssen alle Aspekte auf den Tisch bringen, um relativ zügig handeln und Veränderungen erreichen zu können. Wir versuchen, in unserem Management so schnell wie möglich die Frauenquote zu erhöhen. Aber nicht nur die, wir wollen auch verschiedene Kulturen und Nationalitäten integrieren. Denn dies bringt mehr Dynamik und mehr Offenheit in eine Diskussion. Man respektiert andere Meinungen und kommt letztendlich zu einer fundierteren Entscheidung.