Von Peter Weißenberg/SP-X
Günter Paar liebt seine Heimat. Der Kfz-Mechaniker ist nur ein paar Kilometer von der steirischen Hauptstadt Graz entfernt aufgewachsen - und hat dort seinen Traumberuf gefunden: "Ich wollte immer Testpilot bei Magna werden", sagt der 53-Jährige. Nur, dass der Job beim Auto-Zulieferer ihn regelmäßig für Monate in andere Winkel der Welt verbannt, das ist der Wermutstropfen im Lebenslauf.
Schön, dass Paar fast überall ein Stück Heimat erwartet. In der VW-Teststrecke in Ehra-Lessin, bei Porsche in Weissach, ja selbst auf Testparcours in Shanghai oder Peking - ein Hinweisschild vor der härtesten Gelände-Prüfung fehlt nie: "Schöckl". So heißt der Grazer Hausberg, den Paar besser als jeder andere Autofahrer der Welt kennt.
Der Schöckl ist die Mutter aller Berg-Teststrecken, seit 1906 der erste "Alpenwagen" von Puch über Felsen, Wurzeln, Schotter, Schlamm und Steine aus 680 Metern bis zum Gipfelkreuz auf 1445 Metern Höhe gekraxelt ist. Eine Pioniertat, die Paar auswendig aufsagen kann. Er vollbringt sie schließlich heute selbst, nicht selten mehrmals am Tag. Und das auf einer inzwischen noch viel anspruchsvolleren Route.
Direkt durch den Wald
Im Prinzip geht es einfach direkt durch den Wald bergauf - die normalen Schotter-Serpentinen kreuzen die Gerade alle paar Meter. Diese Auffahrt nutzt das SUV der Hüttenwirte oder des Grafen Stubenberg. Dem gehört der ganze Berg, die Teststrecke hat er an Magna verpachtet. Nur an Wochenenden und nach Einbruch der Dunkelheit bleibt die felsige Schussfahrt gut trainierten Wanderern, Gams und Wildschwein vorbehalten.
Die Schöckltherapie ist ein Schock für ungeübte Beifahrer. Denn Paar und seine vier Kollegen prügeln die Prototypen oder den dreiachsigen Geländeakrobaten "Pinzgauer" unbarmherzig Steigungen von bis zu 60 Prozent hoch - doppelt so steil wie der Anlauf mancher Skisprungschanze. Über der wild schaukelnden Motorhaube sind da nur Baumwipfel und blauer Himmel zu sehen. "Eine G-Klasse verträgt sogar 100 Prozent und 54 Prozent Seitenneigung", sagt Paar. Aber da gibt es ja am Schöckl noch Untergrund - und Abgrund: Wenn es durch Hexenkessel, Schlund oder Höllengraben geht, klafft die Tiefe direkt neben der Seitenscheibe. Und dabei windet sich der Wagen auf ein, zwei Reifen über kniehohe Felsen, ebenso tiefe Spurrillen oder Schlammlöcher.
"So muss es auch sein. Wir haben schließlich einen Ruf zu verteidigen", stellt Paar nüchtern fest. Die Augen blitzen lustig, seine Unterarme von Popeye-Format greifen ins Volant, routiniert wählt er aus den drei per Hand zuschaltbaren, mechanischen Differenzialsperren. Klar, dass hier nur ein kleiner Teil der Produktpalette aus den Grazer Werkshallen hochkommt. Der Fünfer-BMW etwa, den Magna in Graz baut, ist natürlich kein Typ für Schöckltherapie. Und auch das vollelektrische Jaguar-SUV iPace, für das die Steirer gerade die Fertigung fit machen, wird nur die zivile Schotterpiste auf den Schöckl nehmen. Das läuft bei Magna unter "Schlechtweg" - die 3,1 Kilometer Fels-Folter sind eine andere Liga.
Mit Mercedes auf dem Schöckl gereift
Aber auf der testet Magna ständig. Denn der Konzernentwickelt Allradantriebe für fast alle bedeutenden Fahrzeughersteller der Welt. Und die deutsche Ikone Mercedes G-Klasse wird sogar seit 1979 schon in den Hallen von Magna komplett für die Stuttgarter gebaut. Günter Paar ist sozusagen mit dem Mercedes auf dem Schöckl gemeinsam gereift. Der Tester mit dem wohlgestutzten Graubart hat ihn schon tausende Male auf die Marterstrecke geschickt. Allerdings ist dabei heute nicht immer Mercedes drunter, wo Mercedes draufsteht.
Denn was bei der G-Klasse auch heute noch mechanisch geschaltet wird, erledigen in den meisten neuen Kraxel-Künstlern Rechner. Sie schalten elektronisch Sperren dazu, entkoppeln bei Bedarf auch mal die zweite Achse zum Segeln oder wechseln die Kriechgänge für den harten Anstieg. So etwas lässt sich unauffällig in der G-Klasse montieren - und je nach Bedarf auf tieferem oder leichterem Geläuf im Alpenland testen.
Weil die Grazer aber auch ganze Fahrzeuge entwickeln, Antriebstechnik und Getriebe, geht es für Paar nicht einfach nur die Brutal-Kilometer am Schöckl rauf und runter. Der Fahrer hat alle drei Prototypen-Führerscheine, auch die höchste Qualifikation für die Rennstrecke. Dort jagt er im ganz normalen Test-Wahnsinn auch schon mal 15.000 Kilometer mit Höchstgeschwindigkeit über den Asphalt. "Das gehört bei uns zu den Zyklen - sowie 60.000 weitere Kilometer auf Normalstraßen." Bei den Geländewagen kommen dann noch 4.000 Schlechtwege-Martern dazu - und je nach Leistungskraft der Schöckl. 2.000 Kilometer muss ein Prototyp dort überstehen, also 323-mal rauf und runter.
Die Abfahrt spult Paar fast noch ehrfurchtgebietender ab: ein Höllenritt durch Hohlwege, über Felsvorsprünge, vorbei an Baumriesen und steilen Abgründen. Paar bringt nichts aus der Ruhe, sein Beifahrer krampft die Finger um den massiven Haltegriff am Armaturenbrett, bemüht, nicht an die Frontscheibe zu klatschen. "Hoppla, Reifenpanne", sagt Paar zwischendurch gelassen. Aussteigen, anpacken. In zehn Minuten sind die "All-Terrain"-Reifen gewechselt. Und weiter.
Am Fuß der Berge wartet dann das Kontrastprogramm: Testauswertung. Denn mit der harten Tour sollen ja die Haltbarkeiten von Getriebe, Stoßdämpfern oder Motoren geprüft werden - und natürlich der gesamten Karosse. "Zweimal am Tag gibt es da eine Durchsicht. Wir dokumentieren jede Abweichung genauestens", sagt Paar. Auch Abdeckungen nimmt er dazu ab. Aber niemals Aggregate auseinander. Das würde den Testaufbau verfälschen. Und abends werden über den Datenstecker Millionen Messwerte in Paars Laptop importiert und ausgewertet. Anders als auf einer Rennstrecke nimmt Paar nämlich die Datencomputer nicht auf den Schöckl mit. Die Stöße würden die Rechner wohl nicht unbeschadet überstehen. Die ausgiebige Tabellenarbeit im Büro hat so gesehen auch einen positiven Effekt für Paar und seine Kollegen: Ihre Bandscheiben, Arme und Muskeln können sich jetzt erholen. Dazu kommt Ausgleichstraining für die Bauchmuskeln und den Halteapparat. Die nächste Schöckltherapie wartet ja schon.