Ex-Autoboss Carlos Ghosn sieht sich nach seiner spektakulären Flucht aus Japan in den Libanon weiterhin als "Geisel" des japanischen Justizsystems. Japan weigere sich auch nach zwei Jahren, die Anklageschrift gegen ihn an den Libanon zu überreichen, damit er sich dort einem fairen Verfahren stellen könne, sagte der online aus Beirut zugeschaltete Ghosn am Montag Mitgliedern des Clubs der Auslandskorrespondenten in Tokio. Indem Japan das Fahndungsersuchen über die internationale Polizeibehörde Interpol aufrechterhalte, versuche das Land, seine "Geisel-Justiz über Japans Grenzen hinaus zu verlängern". Es gehe Japan nicht um Gerechtigkeit.
Ghosn hatte einst den japanischen Autokonzern Nissan vor der nahen Pleite gerettet und die Allianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi geschmiedet. Am 19. November 2018 waren er und seine frühere rechte Hand, der Amerikaner Greg Kelly, in Tokio unter anderem wegen Verstoßes gegen Börsenauflagen festgenommen und angeklagt worden. Während Kelly in Japan blieb, floh Ghosn unter Verstoß gegen strenge Kautionsauflagen in einem Privatjet über die Türkei nach Beirut. Er war dabei in einer Kiste für Musikinstrumente versteckt gewesen.
Zwei nach Japan ausgelieferte Amerikaner, die ihm zur Flucht verholfen hatten, waren kürzlich von einem Gericht in Tokio zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Für Kelly hatte der Prozess in Japan rund zwei Jahre nach seiner Festnahme ohne seinen früheren Chef begonnen. Er erklärte sich für unschuldig. Ein Urteil wird im März erwartet. Auch Ghosn hat die Vorwürfe gegen ihn in Japan mehrmals zurückgewiesen. Er sieht sich als Opfer einer Verschwörung in Japan, um eine engere Anbindung von Nissan an Renault zu verhindern.
Japan bemühte sich um seine Auslieferung - doch hat es mit dem Libanon kein Auslieferungsabkommen. Auch die französische Justiz untersucht eine mutmaßliche Veruntreuung von Geldern bei Renault durch Ghosn. Ghosn hatte mit einem französischen Journalisten ein Buch darüber geschrieben. Anlässlich der Veröffentlichung der japanischsprachigen Ausgabe meldete sich Ghosn nun vor Reportern in Tokio erneut zu Wort und beteuerte seine Unschuld.
"Jämmerliche" Geschäftszahlen
Die derzeitigen Geschäftsergebnisse von Renault, Mitsubishi und Nissan bezeichnete Ghosn als "jämmerlich". Alle drei Konzerne haben erhebliche Verluste erlitten. Nissan war zwar in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahres in die Gewinnzone zurückgekehrt. Doch an der Börse haben sich die Konzerne bis heute nicht erholt.
Trotz eines 43-prozentigen Anteils an Nissan habe Renault inzwischen praktisch keinen Einfluss mehr auf den japanischen Autobauer, sagte Ghosn. Nissan habe "keine Vision" für die Zukunft. Doch der Autobauer, den er vor der Pleite gerettet und zu Erfolg geführt hatte, interessiere ihn heute nicht mehr. Er verlange lediglich, dass man ihm seinen Rentenanspruch und Schadenersatz zahle, forderte Ghosn.