Als Ende der Nullerjahre erste Carsharing-Anbieter mit Free-Floating-Flotten wie Daimlers Car2Go oder 2011 BMWs DriveNow an den Start gingen, war die Verkehrswende-Euphorie in Deutschland groß. Dass man ein am Wegesrand geparktes Auto mit Chipkarte oder Smartphone spontan anmieten und für relativ kleines Geld nutzen konnte, war für sich gesehen bereits eine kleine Sensation. Damals wurde von den Start-ups groß in die Zukunft gedacht, verbunden mit der Hoffnung, Großstädter würden bald massenhaft ihre Autos abschaffen und nur noch im Bedarfsfall eines nehmen. Doch die „Nutzen statt besitzen“-Revolution blieb aus. Seit einiger Zeit macht sich bei Verkehrswende-Apologeten sowie in einigen Bereichen des Carsharings Ernüchterung breit. Ganz so leicht fällt es den deutschen Autofahrern wohl nicht, auf ein eigenes Auto zu verzichten.
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Die Entwicklung des Kfz-Bestands in Deutschland scheint dafür ein eindeutiger Beleg. Laut einer Auswertung vom Umweltbundesamt auf Grundlage von Zahlen des KBA gab es 2008, also dem Gründungsjahr von Car2Go, landesweit 41,2 Millionen Pkw. Seither ist ihre Zahl Jahr für Jahr gestiegen. 2023 werden 48,8 Millionen für den Verkehr zugelassene Pkw gezählt. Dabei steigt die Autodichte auch in den Städten, wo Carsharing ja eigentlich für weniger Autos sorgen sollte.
Speziell in einigen Carsharing-Hochburgen vor einigen Jahren durchgeführte Analysen zeigen, dass Carsharing als zusätzliches Angebot zwar durchaus angenommen wird, der erhoffte Autoverzicht-Effekt in der Statistik-Bilanz aber ausbleibt. Obwohl seit Jahren sich auch andere alternative Mobilitätsangebote vielerorts mehren, bilanzierte ein Artikel im Spiegel im Jahr 2020: "Dennoch trennen sich viele Innenstädter ungern vom eigenen Auto."
Das Carsharing-Geschäft scheint also nicht in allen Facetten erfolgreich zu sein. Zumindest bei den reinen Free-Floating-Anbietern sah man in den vergangenen Jahren eine deutliche Konsolidierung. Den Carsharing-Töchtern von VW, Mercedes und BMW gelang es jedenfalls nicht, mit ihren Angeboten tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das zunächst von BMW und Mercedes zusammengeführte und auch danach weiter verlustreiche ShareNow wurde mittlerweile an den Konkurrenten Stellantis verkauft. VWs Verlustbringer WeShare ging an Miles Mobility.
Endzeitstimmung hat sich in der Carsharing-Branche allerdings nicht breit gemacht. Im Gegenteil. Während ShareNow und WeShare vor allem in der Corona-Zeit enorme Verluste einfuhren, behauptet das 2016 in Berlin gegründete Start-up Miles, seit 2021 schwarze Zahlen zu schreiben. Und Miles expandiert. Dieses Jahr ist das Unternehmen unter anderem neu in Stuttgart, Augsburg und Wuppertal gestartet. Auch Stellantis will mit seinem paneuropäischen Angebot Free2Move kräftig wachsen.
Mehr Fahrzeuge, mehr Standorte
Andere Player investieren ebenfalls in den Ausbau ihrer Sharing-Angebote, wie die jüngsten Zahlen des Bundesverbands Carsharing belegen. Demnach wuchs 2022 die Zahl der Fahrzeuge stationsbasierter Anbieter um 1.060 auf 15.360 sowie der Free-Floating-Anbieter um 2.670 auf 18.570. Das dürfte auch an der Expansion in der Fläche liegen, denn die Zahl der Städte und Gemeinden mit Sharing-Angeboten wuchs vergangenes Jahr um 147 auf 1.082. Die jüngsten Wachstumszahlen bestätigen einen Langfristtrend: Wurden 2009 deutschlandweit noch 3.200 Carsharing-Autos gezählt, hat sich ihre Zahl auf mittlerweile fast 34.000 erhöht und also mehr als verzehnfacht.
Vorläufig weiter in der Bedeutungslosigkeit scheint sich hingegen der private Carsharing-Markt zu bewegen. Ähnlich wie Airbnb, eine Vermittlungsplattform für Privatunterkünfte, finden sich im Netz Peer-to-peer-Angebote fürs Carsharing wie Getaround oder Snappcar. Doch wer stichprobenartig nach den stets nur regional verfügbaren Fahrzeugangeboten schaut, wird nur wenige und auch angesichts der oft hohen Preise zumeist wenig attraktive Mietautos finden. Die Idee klingt eigentlich gut, zumal es mit der Allianz auch einen starken Versicherungspartner gibt. Doch auf Bewertungsplattformen wie Trustpilot veröffentlichte Erfahrungsberichte von Vermietern und Mietern deuten auch eine Reihe von Problemen an. So schildern Vermieter, wie schwierig es sein kann, den Selbstbehalt im Schadensfall vom Mieter einzutreiben. Auch berichten sie, Schäden am Fahrzeug erst nach der protokollierten Übergabe entdeckt zu haben. Bei der Lektüre verschiedener Beiträge zeigt sich zudem, dass speziell die Abwicklung von Schadensfällen oft komplex ist. Und auch der Umgang mit Strafzetteln bei Verkehrsdelikten sorgt für Frust. Für nicht wenige Autonutzer dürfen solche und ähnliche Probleme ein Argument sein, auf ein eigenes Fahrzeug nicht zu verzichten.