Ausgabe 04/2014: Zarte Bande

Haben Sie auch schon einmal Streit mit Ihrer Frau gehabt und gewusst, dass Sie im Recht sind, aber trotzdem nachgegeben? Warum haben Sie das gemacht? Die Antwort ist klar. Erstens: Weil das cleverer ist. Zweitens: Weil Sie sowieso nicht gewinnen können. Und drittens: Weil Ihre Frau hinterher viel netter zu Ihnen ist.Hat Ihnen Ihre Frau auch schon öfter vorgeworfen, dass Sie nicht zuhören? Wenn ja, dann sollten Sie das ändern, denn nur wer zuhört, erkennt, was der andere von ihm erwartet. Und wissen Sie, wann die Gefahr am größten ist, verlassen zu werden? Dann, wenn man sich seiner Beziehung zu sicher ist.Was das mit dem Automobilservice zu tun hat? Kundenbeziehungen sind nicht technisch, sondern menschlich. Und deshalb lassen Sie mich die emotionale Beziehung zwischen Kunde und Autohaus mit der zwischen Mann und Frau vergleichen.Unsichtbares sichtbar machenDass Sie Autos reparieren können, imponiert niemandem. Das setzt man voraus, und damit können Sie auch keine Kunden gewinnen oder halten. Der Krieg um den Kunden wird an ganz anderer Stelle gewonnen - und verloren!Als technischer Laie kann Ihr Kunde die Arbeit Ihrer Monteure in der Regel gar nicht beurteilen. Und weil er während der Arbeit ja auch nicht dabei ist, kann er gar nicht sehen, wie gut oder wie schlecht gearbeitet wird. Was er aber beurteilen kann, sind alle Prozesse, an denen er persönlich beteiligt ist. Das reicht von der Terminvereinbarung über die Begrüßung bis zur Abholung des Fahrzeugs. Weitaus wichtiger für die Bestätigung der Entscheidung, zu Ihnen zu kommen, als die eigentliche technische Arbeit sind daher der freundliche Umgang mit dem Kunden und die Einhaltung aller Zusagen. Denn wenn hier alles stimmt, dann schließt der Kunde von dieser Prozessqualität auf die Qualität der eigentlichen Dienstleistung. Wenn sich aber innerhalb dieser sogenannten "Line of Visibility" eine Störung einstellt, dann tritt die vielleicht tadellose technische Dienstleistung sofort in den Hintergrund und der Kunde hinterfragt, ob er bei Ihnen richtig aufgehoben ist.Komme ich als Kunde zu Ihnen in den Service, so zahle ich erkleckliche Summen dafür, dass das Auto hinterher genauso fährt wie vorher. Das macht mir an sich keinen großen Spaß, und eigentlich könnten Sie sich die Anrufe oder schriftlichen Befragungen sparen, ob ich nach dem Serviceaufenthalt "begeistert" oder "sprachlos vor Glück" war - aber das ist ein anderes Thema. Sie müssen es also anders bewerkstelligen, dass ich etwas Positives in Ihrer Dienstleistung sehe. Ein Weg hierzu ist die Visualisierung Ihrer Leistung: Das können z. B. die abgefahrenen Bremsbeläge sein, die Sie mir bei Abholung des Fahrzeugs zeigen, oder aber die Fahrzeugwäsche.Es ist völlig egal, wer recht hat ...Das wissen Sie alles längst? Mag sein - aber wissen das auch Ihre Mitarbeiter? Hierzu ein Beispiel, das ich vor kurzem selbst erlebt habe: Meine Frau fährt ein Kompaktfahrzeug einer Premiummarke, das Auto ist vier Jahre alt, und den fälligen Service will sie unbedingt beim Vertragshändler durchführen lassen. Mein durch die Überschaubarkeit des Beamtengehaltes motivierter Einwurf, die freie Werkstatt sei möglicherweise preiswerter, wird damit vom Tisch gewischt, dass die beim Markenhändler besser Bescheid wissen, dass da alles schöner aussieht und dass das Auto hinterher auch sauber ist. Zwar ist die Diskussion hier zu Ende, aber als wir das Auto beim Vertragshändler abholen und ich insgesamt 1.200 Euro bezahle, ist das Auto nicht gewaschen. Das moniere ich, und ein Werkstattmitarbeiter, der an diesem Freitag kurz vor Feierabend am Kundentresen auf den Gongschlag zum Wochenende wartet, klärt mich darüber auf, dass das ja nicht selbstverständlich sei und dass man mir in der Vergangenheit die Wäsche großzügig geschenkt habe.So rechte Dankbarkeit will aber nach der Werkstattrechnung über 1.200 Euro bei mir nicht aufkommen und ich vergleiche die Wäsche mit dem "Ouzo aufs Haus" beim freundlichen Griechen ums Eck: Das sei mittlerweile Standard, und wenn ich den nicht bekäme, sei ich enttäuscht - auch wenn das Essen noch so gut gewesen sei. Der zunehmend genervte Kollege erwidert, die Waschanlage sei kaputt. Als ich darauf erwidere, dass mir das egal sei und die einzige Antwort auf meine Beschwerde nur sein könne, dass man die Wäsche natürlich nachholen werde, lenkt er endlich ein, und ich verlasse das Autohaus und einen Autohaus-Mitarbeiter, der anschließend vermutlich nicht die freundlichsten Worte über meinen Auftritt verlieren wird.Vielleicht hat er ja damit sogar recht. Aber eigentlich ist es völlig egal, wer recht hat, denn wenn Sie mit einem Kunden streiten, verliert einer immer: Sie. Der Kunde ist nicht mit Ihnen verheiratet, eine "Scheidung" daher sehr einfach für ihn. Und so unfair gegenüber dem Autohaus war das doch gar nicht. Seien Sie froh, wenn Ihnen Ihre Frau sagt, was ihr an Ihnen nicht passt, denn das ist besser, als wenn sie wortlos die Koffer packt, aber spätestens jetzt sollten Sie gut zuhören.Investitionen nicht fahrlässig aufs Spiel setzenDa kommt meine Frau als Kunde aufgrund eines Wettbewerbsvorteils, den das Autohaus mit hohen Kosten (Händlerstandards) aufgebaut hat, und diese Investition in die Kundenbeziehung wird fahrlässig aufs Spiel gesetzt, indem ein Mitarbeiter seine bezahlte Arbeitszeit dazu nutzt, ihr zu signalisieren, dass man es damit eigentlich gar nicht ernst meint. Es macht einen ja auch nicht begehrenswerter, wenn man zum zweiten Date unrasiert im Jogging-Anzug auftaucht und dies damit begründet, der gepflegte Aufzug beim ersten Date sei die Ausnahme und der Jogginganzug die Regel. Das ist zwar ehrlich, aber ziemlich dumm.Der "Ehering" der Kundenbindung in Form von Wartungsverträgen und Garantie ist eine trügerische Sicherheit, und schnell fällt der zukünftige Customer Lifetime Value (= Wert eines Kunden über sein gesamtes zukünftiges "Kundenleben" für das Unternehmen) in sich zusammen und Ihr Unternehmen wird zum ehemaligen Lebensabschnittsgefährten. Das ist besonders schade, da im Automobilservice die späteren Jahre der Beziehung ja die schönsten sind - denken Sie an die wesentlich höheren Werkstattumsätze mit älteren Fahrzeugen.Zum Abschluss muss ich den vielgescholtenen Mitarbeiter aber in Schutz nehmen. Der Fisch stinkt bekanntlich am Kopf zuerst, und wenn Mitarbeiter nicht wissen, was das Besondere am Autohaus ist, dann ist dies ein Kommunikationsproblem im Unternehmen: Das Management hat es offenbar nicht geschafft, eine (hoffentlich) vorhandene Philosophie zur gelebten Unternehmenskultur zu machen. Was aber hierdurch bewirkt wird, liegt auf der Hand: Wenn Ihre Mitarbeiter schon nicht wissen, warum der Kunde gerade in Ihr Autohaus kommen soll, woher soll es dann der Kunde wissen?Meine Frau hat die Zusage für die Autowäsche übrigens bisher nicht eingelöst. Die ist aber auch nachtragend ...* Prof. Dr. Ulrich Ermschel lehrt an der DHBW Mannheim und ist dort Studiengangsleiter Handel

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