Ausgabe 04/2012: Wie viel darf es sein?

Wie viel darf es sein?Tachomanipulation E An 30 Prozent der deutschen Gebrauchtwagen soll „gedreht“ worden sein. Was heißt das für die Branche? Von doris PlateBei bundesweit rund einem Drittel aller Gebrauchtwagen, so hat die Münchner Polizei berechnet, sind die Tachos manipuliert. Schaden pro Fahrzeug ca. 3.000 Euro. Die Hochrechnung der Polizei basiert auf einer Razzia, die mehr als 500 Beamte in über 150 Wohnungen und Firmen in Deutschland, Österreich, Bulgarien und der Schweiz im März 2011 vorgenommen haben. Dabei wurden unter anderem 70 Kfz-Händler überprüft und über 300 Pkw, bei denen ein Verdacht der Manipulation bestand, sichergestellt.Die Schlagzeilen, die in Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen diese „Tacho-Mafia“ entstanden sind, haben für Unruhe in der Branche gesorgt. ZDK-Hauptgeschäftsführer Dr. Axel Koblitz sieht das aber eher gelassen: „Aus Sicht des ZDK hat die Brisanz der Thematik in den letzten Jahren eher nachgelassen, nicht zuletzt deshalb, weil auch auf Initiative des Kfz-Gewerbes die Tachomanipulation seit 2005 in Deutschland als Straftat gilt.“ Auswirkungen auf die Geschäfte der Autohäuser sieht Koblitz nicht: „Die kriminellen Machenschaften einzelner schwarzer Schafe sind auf das Schärfste zu verurteilen. Dem guten Ruf unserer seriösen Kfz-Innungsbetriebe werden sie dauerhaft jedoch nicht schaden, da bin ich mir sicher.“Die Zahl kann nicht stimmenAuch Ansgar Klein vom Bundesverband Freier Kfz-Händler (BVFK) glaubt nicht daran, dass seriöse Händler an solchen Machenschaften beteiligt sind. Darüber hinaus hält er die geschätzte Zahl rundheraus für falsch: „Sie kann gar nicht stimmen“, meint er. Die illegalen Anbieter könnten gar nicht diese Menge von Fahrzeugen abarbeiten. Immerhin wären das bei den zirka sechs Millionen Besitzumschreibungen pro Jahr zwei Millionen Fahrzeuge. Auch die Dekra, deren Name in Zusammenhang mit dem geschätzten Drittel immer wieder fällt, hat weder eine Statistik noch eine repräsentative Stichprobe, erklärt ein Sprecher. „Die Zahl ist bei einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa im Jahr 2005 einmal gefallen“, heißt es aus Stuttgart, „und seitdem geistert sie durch die Presse.“Kurzum: Es gibt keine belastbare Quelle für die Zahl der betroffenen Fahrzeuge. Ebenso wenig wie für die Auftraggeber – was bei einer kriminellen Handlung nicht außergewöhnlich ist. Aber: Sogar der ADAC räumt ein, dass Tacho-Manipulationen auch dazu dienen, „ein Auto unter die beim Leasing vereinbarte Laufleistung zu drücken und somit Abzüge beim Restwert zu sparen oder zu Unrecht eine Garantie- beziehungsweise Kulanzleistung kostenlos in Anspruch zu nehmen.“ Autohändler können also durchaus auch Opfer solcher Manipulationen werden und müssen keineswegs die Täter sein.Sachmangelhaftung bleibtTrotzdem: Wenn ein Autohändler ein Fahrzeug hereinnimmt, dessen Tacho manipuliert wurde, und es im Anschluss im guten Glauben weiterverkauft, greift die Gewährleistung. „Wenn sich die Kilometerangabe als falsch herausstellt, haftet der Händler in der Regel“, erläutert ZDK-Geschäftsführer Ulrich Dilchert. „Die Sachmängelhaftung gilt unabhängig vom Verschulden. Der Kunde hätte in diesem Fall das Recht, vom Kaufvertrag zurückzutreten oder den Kaufpreis zu mindern.“ Erst beim Schadenersatzanspruch müsse Verschulden nachgewiesen werden.Und das dürfte nicht so einfach sein, auch wenn auf Anfrage von AUTOHAUS sowohl von Volkswagen als auch von Ford bestätigt wurde, dass die Händler keine Möglichkeit haben, mit einem üblicherweise von ihnen eingesetzten Tester Tachomanipulationen festzustellen. Schwer festzustellenAuch Hans-Ulrich Sander, Kfz-Experte beim TÜV Rheinland, bestätigt: „Manipulationen am Tacho festzustellen ist oftmals so kompliziert, dass sich auch Vertragswerkstätten der jeweiligen Marke damit schwertun. Deswegen raten wir Kunden stets dazu, nur aus vertrauter Quelle zu kaufen.“ Wenn nämlich Gutachter nachträglich tätig werden müssen, kann das teuer werden: „Es ist von Fall zu Fall und je nach Fahrzeugmodell und Baujahr sehr verschieden, wie Manipulationen durchgeführt und entsprechend auch erkannt werden können“, sagt der Leiter Entwicklung und Technik Hans-Jürgen Mäurer von der Dekra. „Ein Gutachten kann deshalb schnell ein paar Hundert Euro kosten.“Hersteller gefordertDer ADAC fordert deswegen von den Herstellern: „Das Manipulieren eines Tachos muss so aufwändig und teuer sein, dass es sich nicht mehr lohnt.“ Aber wie so oft bei solchen kriminellen Machenschaften ist die Bekämpfung ein Wettlauf zwischen Hase und Igel. „Es werden hohe Aufwendungen seitens Volkswagen erbracht, um einen wirkungsvollen Schutz gegen Manipulationen zu erreichen“, erklärt zum Beispiel Arno Kalmbach, Servicechef bei Volkswagen. Aber: „Die Manipulations-‚Branche‘ verfügt neben hoher krimineller Energie auch über einen überaus hohen technischen Sachverstand, entweder durch modernere Angriffswerkzeuge oder neue, bis dahin unbekannte Sicherheitslücken/Informationslecks, zum Beispiel in der Organisation oder beim Lieferanten.“Also bleibt Kunden und Händlern derzeit nichts anderes übrig, als „beim Kauf die Stimmigkeit des Tachostandes mit den Angaben in Serviceheft, Prüfberichten und Reparaturrechnungen zu überprüfen und ggf. auf den Abnutzungsgrad des Fahrzeuges zu beziehen“, rät die Dekra. TÜV, Dekra und ZDK empfehlen zudem entsprechende Plausibilitäts-Checks durch die Prüforganisationen bzw. Fachleute in den Autohäusern. Hohes RisikoTatsächlich wird in der Praxis wohl doch viel seltener manipuliert als von ADAC und Polizei befürchtet. „Im Zuge einer Schadenbearbeitung prüfen wir die Wartungshistorie. Sind die Kilometerstände nicht mehr plausibel, so greifen wir ein und lassen uns die Wartungsrechnungen zeigen. Manipulierte Kilometerstände würden insoweit auffallen“, erläutert Klaus Herzog. Der Leiter Garantie/Recht der CarGarantie fügt hinzu: „Das Risiko steht eigentlich in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Ich kann mich auch nach zirka 19-jähriger Mitarbeit bei CarGarantie nicht erinnern, dass wir in einem Fall schon einmal juristisch hinterhergehen mussten.“ zKurzfassungDass bei rund einem Drittel der bundesweit verkauften Gebrauchtwagen die Tachostände manipuliert sein sollen, ist eine Schätzung, für die es keine fundierte Grundlage gibt. Ebenso wenig ist klar, wer solche Manipulationen eigentlich vornimmt. Aber auch seriöse Autohändler können zum Opfer werden, denn die Sachmängelhaftung greift unabhängig vom Verschulden.

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