Die Zukunft des Autohandels in Europa: Wer die Daten hat ...

Matthias Müller will es, Dieter Zetsche, Harald Krüger und einige andere auch: die von ihnen geführten Automobilunternehmen zu Mobilitätsdienstleistern machen. Es ist das Zauberwort der Stunde. Angesichts der zunehmenden Verkehrsdichte gehen den Fahrzeugproduzenten hierzulande die Wachstumschancen aus. Wer nur im Stau steht und/oder sowieso keinen Parkplatz findet, kauft keine Autos mehr. Also heißt es landauf, landab: Wir müssen auch Alternativen anbieten. BMW, Mercedes und Ford sind schon länger im Carsharing aktiv, Toyota übernimmt den Taxidienst Uber, Audi, BMW und Daimler den Kartendienst Here, Citroen hat Multicity - Autohersteller investieren zunehmend auch in andere Herangehensweisen an Mobilität. Handel wartet noch ab Doch während die Hersteller schon eifrig an dieser Zukunft arbeiten, ist im Handel das Bewusstsein dafür noch nicht so richtig erwacht. Derzeit läuft der Markt viel zu gut, als dass ein Autohausbetreiber den Kopf dafür frei hat, sich um solche Zukunftsthemen zu kümmern. Dabei sind kleinere Unternehmen offenbar viel besser geeignet, sich etwas Neues zum Thema Mobilität einfallen zu lassen, als die großen Konzerne. Das haben die auch offenbar schon erkannt: Seit 2014 betreibt die Lufthansa einen "Innovation Hub", mit dem sie nach eigenen Angaben "die eigene Innovationsfähigkeit durch Zusammenarbeit mit Start-ups und Techbranche stärkt". Auch Axel Springer, die Telekom, die Commerzbank und die Post gehen so vor. Mittlerweile hat der Trend auch die Autobranche erfasst: Außer dass alle nach Silicon Valley reisen, um sich dort inspirieren zu lassen, hat BMW i-Ventures gegründet, Audi hat ein Electronics Venture, Volkswagen seit November 2015 einen Digitalisierungs-Chef namens Johann Jungwirth. Hersteller sammeln schon fleißig Egal wie die zukünftigen Digitalisierungs- und/oder Mobilitätskonzepte aussehen, alle basieren auf einer wichtigen Voraussetzung: der Nutzung und möglichst cleveren Auswertung von Daten. So entsteht Werbung, die genau auf den Nutzer eines Computers/Smartphones zugeschnitten ist, werden Servicekunden in die Werkstatt gesteuert, können Versicherungen günstige Tarife anbieten usw. Eine ADAC-Untersuchung machte schon 2015 darauf aufmerksam, dass BMW in vernetzten Autos Daten über das Fahrverhalten und Gewohnheiten ihrer Fahrer sammelt. Damit weiß der Hersteller genau, wo sich seine Autos befinden und welche Strecken sie fahren. Daten für die eigenen Zwecke nutzen Wer heute ein solches Auto kauft, unterzeichnet einen Vertrag zur Datennutzung. Mit diesem sichert sich der Hersteller das Recht, die Daten zu sammeln. Was er damit macht, sagt er nicht. Händler sind die Handlanger dafür: Verkäufer legen ihren Kunden diese Verträge vor. Wer nicht unterschreibt, kann das System nicht nutzen. Daten sind aber die Währung des 21. Jahrhunderts. Wer über sie verfügt, kann entscheiden, was damit gemacht wird, und sie für seine Zwecke nutzen. ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann gehört zu denen, die immer wieder versuchen, den Blick der Branche auf diese Vorgänge zu schärfen. Seit September 2015 ist sie Vorsitzende der europäischen Autohändler (European Car Dealers, kurz ECD) und Vizepräsidentin des europäischen Kfz-Gewerbeverbandes Cecra. Aber schon davor kämpfte die Verbandsvertreterin dafür, dass die Autohersteller nicht die Einzigen sind, die bestimmen, was mit den Daten aus den Fahrzeugen passiert. Denn derzeit ist es so: Moderne Autos können zu jeder Zeit auch während der Fahrt alle Daten aus den verschiedenen Systemen im Auto verarbeiten und anschließend "drahtlos" direkt an den jeweiligen Automobilhersteller senden. Selbstverständlich ist auch jederzeit der Empfang von Daten möglich. Der Datenaustausch erfolgt über ein Telematik-System. Dieses System ermöglicht eine direkte Kommunikation mit dem Fahrzeugnutzer über das zentrale Informationsdisplay des Fahrzeugs. Was die Autos schon können Zur Verarbeitung und zur Sendung von Daten verwendet der Automobilhersteller seine eigene Software (Apps). Mit diesen im Auto installierten Apps können verschiedene Serviceleistungen rund um das Auto, wie zum Beispiel Ferndiagnose und -wartung, dem Halter angeboten werden. Da der Fahrzeughersteller das Telematik-System selbst entwickelt und die volle Kontrolle darüber hat, bestimmt er allein, welche Apps installiert werden. Somit kann der Nutzer - obwohl es sich um sein Fahrzeug handelt - zunächst nur aus Apps des Automobilherstellers auswählen. Auf diese Weise wird der Hersteller in die Lage versetzt, den gesamten Markt rund um das Auto zu kontrollieren. Erst in jüngster Zeit sind einige Hersteller aufgrund der steigenden Kundenerwartungen dazu übergegangen, ihre Telematik-Systeme im Auto minimal zu öffnen: Google und Apple haben bei manchen einen vom Hersteller definierten, sehr eingeschränkten Datenzugang. Hersteller wollen Invest schützen Wie sich die Autohersteller den Umgang mit den Daten in Zukunft vorstellen, hat ihr europäischer Verband ACEA im April 2016 in einem Strategiepapier deutlich gemacht. "Connectivity" heißt das 13-seitige Pamphlet, in dem die Lobbyisten eingängig darlegen, dass die europäische Automobil- und Zulieferindustrie selbstverständlich bereit ist, mit Telekommunikations- und anderen Drittanbietern zu kooperieren, um den gesetzeskonformen Umgang mit den Daten zu garantieren. Fairer Wettbewerb, Datenschutz und -sicherheit, Verkehrssicherheit und Haftpflicht - all diesen Themen müsse Rechnung getragen werden, heißt es darin. Aber: Die EU müsse auch ein Regelwerk etablieren, das die großen Investitionen der Hersteller in Fahrzeugsicherheit und Datenschutz berücksichtige. Deshalb empfehle sie das "extended vehicle" Konzept, das den Zugriff auf die Fahrzeugdaten erlaube, wenn der Autohersteller vorher sichergestellt hat, dass der Zugriff den zuvor festgelegten Datenschutz- und Wettbewerbsregeln entspricht. Dieses "extended vehicle"-Konzept wurde ursprünglich entwickelt, um das digitale Serviceangebot des Autoherstellers zu erweitern. Dafür ist das Telematik System im Auto mit einem externen Server verbunden worden. Dieser Server dient unter anderem dazu, dem Nutzer des Autos über sein Mobiltelefon die Möglichkeit zu eröffnen, bestimmte Zustände, wie zum Beispiel den Ölstand oder den Reifenluftdruck seines Autos, auch von zu Hause einzusehen. Hierzu sendet das Auto nach einem vom Automobilhersteller festgelegten Rhythmus bestimmte Informationen zum Server des Herstellers. Der Halter kann nach einer Registrierung (Angabe aller personenbezogenen Daten des Halters) beim Automobilhersteller auf diese Informationen zugreifen. Anderen Marktteilnehmern wollen die europäischen Automobilhersteller nun auch auf diesem Weg Zugang zu den Daten verschaffen. Wie bereits erwähnt: Wenn der Autohersteller vorher sichergestellt hat, dass der Zugriff den zuvor festgelegten Datenschutz- und Wettbewerbsregeln entspricht. In der Praxis würde das bedeuten: Der Autohersteller entscheidet, wer was wann bekommt. Telematik-Plattform gefordert "Das kann nicht sein", sagt Woltermann dazu klar und deutlich. "Das oberste Prinzip muss sein, dass der Fahrzeugkäufer sagen kann, welche Daten an wen fließen." Der Verband fordert deshalb von der EU-Kommission, konkrete gesetzliche Anforderungen und Standards für eine interoperable, standardisierte, sichere und frei zugängliche Telematik-Plattform zu definieren. "Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die schon jetzt für alle Marktteilnehmer einen einheitlichen und uneingeschränkten Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten sicherstellen", so Woltermann. Grundsätzlich hat der europäische Gesetzgeber die Notwendigkeit für eine Telematik-Plattform nach den oben genannten Kriterien schon erkannt. Bis das Gesetzgebungsverfahren aber abgeschlossen ist, dauert es nach Einschätzung von Experten mehrere Jahre. Bis dahin hat die Autoindustrie längst Fakten geschaffen. "Deshalb brauchen wir jetzt eine Zwischenlösung, die auch anderen Marktteilnehmern den Zugriff sichert, um auch in diesem Bereich fairen Wettbewerb zu schaffen", fordert die Cecra-Vizepräsidentin. Es könne nicht angehen, dass der Hersteller entscheiden kann, welches Autohaus im Display des Fahrzeugs für den nächsten Servicetermin angegeben wird. Und: Die Daten dürfen nicht erst frei für die Nutzung anderer sein, wenn der Hersteller diese freigibt. Wer zum Beispiel Hilfe bei der Parkplatzsuche bieten will, muss dies sofort tun können. Allianzen geschmiedet Um dieser Position auf europäischer Ebene Nachdruck zu verleihen, hat Cecra Allianzen geschmiedet. Nicht nur gelang es die ewige Spaltung zwischen Fabrikatsvertretern und freien Werkstätten innerhalb des Verbandes zu überbrücken und beide bei den Forderungen nach einer Regulierung, die freien Zugang ermöglicht, zu vereinen. Auch der Dachverband der europäischen Autofahrerverbände FIA und andere Verbraucherverbände sowie die Verbände des freien Teilemarkts wollen ein Gegengewicht zur überaus starken Autoherstellerlobby in Brüssel bilden. Der Handlungsbedarf besteht jetzt, denn im Juni 2017 wird die EU-Kommission entscheiden, ob und wie sie das Thema Datenzugriff kurzfristig regeln will. Welche Auswirkungen das haben wird, kann man am Beispiel der GVO 2002 verdeutlichen: Die Möglichkeit, mehrere Marken in einem Gebäude zu vertreiben, hat den Handel nachhaltig verändert. Die Auswirkungen der Datenzugriffsregulierung dürften mindestens so groß sein. Die EU-Kommission ist jetzt gefordert, hier für fairen Wettbewerb zu sorgen. Kurzfassung Im Juni 2017 wird die EU-Kommission entscheiden, ob und wie sie das Thema Datenzugriff kurzfristig regeln will. Die Autohersteller wollen die Oberhoheit behalten. Das Kfz-Gewerbe fordert freien Wettbewerb.

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