IT-Infrastruktur: Verflixte Vernetzung

VW-Konzernchef Martin Winterkorn brachte die Entwicklung in der automobilen Welt in einem Beitrag in der Wirtschaftswoche in einem Satz auf den Punkt: "In den vergangenen sieben Jahren hat sich unsere Branche schneller und stärker verändert als in den Jahren zuvor." Besonders deutlich wird diese Entwicklung, wenn man den Fortschritt in der Digitalisierung vor Augen führt. Man braucht nur kurz zu überlegen, wie sich die eigene private und berufliche Welt seit dem Einzug des Smartphones und Tablets verändert hat. Die Kommunikation zwischen Geschäftspartnern läuft schneller, Big Data verwandelt sich zunehmend in smart Data, also in nutzbare Kennzahlen, welche aus dem Einsatz intelligenter Systeme im Automobilhandel gewonnen werden und den Arbeitsalltag vereinfachen können. Vorausgesetzt, die Vernetzung funktioniert. Dass sich dies schwierig gestalten kann, wird an einer weiteren einschneidenden Entwicklung im Markt deutlich. Sie hat mit dem Konsolidierungsprozess zu tun. Gemäß Berechnungen des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Geislingen wird die Zahl der wirtschaftlich und rechtlich selbständigen Automobilhändler in diesem Jahr auf 7.400 Unternehmen sinken (im Vorjahr: 7.800). Treiber dieser Entwicklung sind nach Aussage des Instituts vor allem die großen Automobilhandelsgruppen, die durch Übernahmen stark expandieren. Beispiele dafür sind die Emil Frey Gruppe in Stuttgart, die AVAG in Augsburg sowie die Dello-Gruppe in Hamburg oder auch die Herbrand-Gruppe. Wie sehr die Vernetzung auf der einen Seite und die Hinzunahme neuer Marken und die Übernahme von Betrieben durch große Handelsgruppen auf der anderen Seite zusammenhängen und welche IT-Herausforderungen sich aus den Übernahmen ergeben, das weiß Stefan Schmeink, IT-Leiter bei der Herbrand-Gruppe und Geschäftsführer der IT-Firma Evosec. In den letzten Jahren hat sich die Markenvielfalt der Herbrand-Gruppe stark erweitert. War früher nur die Kernmarke Mercedes vorhanden, sind es jetzt Toyota, Peugeot, Fiat, Nissan, Seat, DAF. Hinzu kamen auch einige Übernahmen von bestehenden Betrieben. Herausforderungen bei Übernahmen "EDV-seitig gibt es zwei Ebenen, die bei Firmenzusammenführungen unterschieden werden müssen", erklärt Schmeink. Zum einen sei das die IT-Infrastruktur, die beim Einbinden der Betriebe in die bestehende Systemlandschaft angepasst werden muss, also z. B. Server, PC/Thin Clients, das Dealer Management System und weitere Satellitensysteme wie das Bank-, CRM- oder Leadmanagementsysteme. Zum anderen - und das ist für uns und viele meiner Kollegen in der ähnlichen Situation noch viel schwieriger umzusetzen - ist es der Wust an Intranetanwendungen, wie Garantiesysteme oder elektronische Teilekataloge, die jede Marke mit sich bringt. Da wir ein zentrales Rechenzentrum betreiben, gilt es diese auf eine einheitliche Plattform zu bringen. Ziel ist es, dass die Mitarbeiter im Autohaus neben den normalen Anwendungen auch die Hersteller-Intranet-Anwendungen jeweils je nach Benutzerrechten ungehindert nutzen können", erklärt der IT-Leiter. Für Mehrmarkengruppen stelle sich grundsätzlich die Herausforderung, den Mitarbeitern die vielen Anwendungen auf möglichst einer einheitlichen Plattform zur Verfügung zu stellen, um die Arbeit damit einfach zu machen. "Aber weil es je nach Hersteller schon einmal über 20 Anwendungen pro Marke sein können, die dem Handel unterschiedlich angetragen werden, bringt das Probleme mit sich", führt er anhand von Beispielen weiter aus. Passwörter und Sicherheitslücken "Jede Anwendung hat meist ein eigenes Passwort und eine eigene Maske. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wie viel Zeit alleine einem Mitarbeiter für das Passwortmanagement verloren geht. Zeit, die eigentlich dem Kontakt zum Kunden dienen und nicht für solche administrativen Arbeiten verwendet werden sollte. Es kommt daher des Öfteren vor, auch wenn es eigentlich nicht sein darf, dass Mitarbeiter mit einem Schreibblock voller Passwörter in Besprechungen kamen. Schließlich sollte ja das richtige Passwort dabei sein, falls es etwas im System zu zeigen gegeben hätte." Nicht nur die Fülle an Passwörtern mache zu schaffen, hinzukomme, dass jede Marke laut Stefan Schmeink eine eigene Passwortphilosophie habe. "Bei Fiat zum Beispiel müssen einige der im Passwort verwendeten Buchstaben unterschiedlich sein und das Passwort darf nicht identisch sein mit einem der sechs zuletzt verwendeten. Hinzu kommen noch Groß- und Kleinschreibung, Sonderzeichen usw. Und jetzt muss man sich mal vorstellen, dass das bei jeder Marke ähnlich ist - das ist doch absurd", macht er deutlich. Zwar gäbe es Systeme, sog. Passwortmanager, bei denen sich der Mitarbeiter mit einem Masterpasswort bzw. per Login anmeldet. Das System loggt sich dann automatisch in die jeweiligen Intranetanwendungen ein. Allerdings ist das laut Schmeink auch nicht immer eine pragmatische Lösung, denn jede Anwendung hat unterschiedliche Passwortdialoge, die auch zunächst eingepflegt werden müssten. Gemeint ist damit, dass genau die Art und Weise, wie ein Passwort eingegeben bzw. geändert wird, hinterlegt werden muss. Außerdem müssen Händler die jeweiligen Zugänge dezentral beim Hersteller in den verschiedenen Fachbereichen beantragen. Das heißt, dass der jeweilige Betrieb nur mit sehr großem Aufwand die einzelnen Zugänge einheitlich pro Mitarbeiter verwalten bzw. protokollieren kann. "Wenn ein neuer Mitarbeiter in ein Unternehmen eintritt oder die Abteilung wechselt, haben wir zwar genaue Profile pro Marke und Sparte erarbeitet. Trotzdem kann nicht immer sichergestellt werden, dass ein Mitarbeiter zeitnah seine Zugänge erhält. Genauso ist es, wenn ein Mitarbeiter die Firma verlässt. Es sind oft beim Hersteller einfach zu viele unterschiedliche Abteilungen für die unterschiedlichen Anwendungen zuständig. Bei jeder weiteren neueren Marke muss dieses Wissen, wo was beantragt werden muss, erst erarbeitet werden", sagt Schmeink. "Ich denke, ich spreche vielen IT-Kollegen aus der Seele, wenn ich sage, dass die Hersteller dafür sorgen sollten, dass Zugänge einheitlich am besten bei einer zentralen Instanz beantragt werden könnten. Es wäre schon gut, wenn Hersteller abteilungsübergreifend denken würden", gibt der IT-Experte zu bedenken. Aber die Realität sehe oft anders aus. Laut Schmeink sollte es allein schon aus Sicherheitsgründen im Interesse des Herstellers sein, das Problem zu lösen. "Das Intranet besteht ja immer öfter aus webbasierten Anwendungen, die von extern aufgerufen werden können. Verlässt ein Mitarbeiter das Unternehmen, könnte es vorkommen, dass er noch einige Zeit von außen auf die Systeme zugreifen kann. Das dürfte kaum im Interesse des Herstellers sein." Browserinkompatibilitäten Ein ähnliches Problem gäbe es bei der Verwendung von Internetbrowsern. "Teilweise wird selbst innerhalb einer Marke beispielsweise für das Garantiesystem Internetexplorer 11 vorausgesetzt, während das Ersatzteilesystem sich nur mit dem Browser Firefox und das Logistiksystem wiederum mit dem Internet Explorer 9 öffnen lässt. Den EDV-Abteilungen in den Autohäusern bleibt dann nur die Möglichkeit eines "Notbehelfs". "Dadurch, dass wir bei uns Terminalserver im Einsatz haben, können wir verschiedene Browserversionen durch sog. Veröffentlichte Anwendungen anbieten und umschiffen sozusagen das Problem teilweise. Aber auf Dauer ist das auch keine vernünftige Lösung", betont der IT-Experte. Aber auch das Thema "Java" berge einige Probleme. Immer wieder komme es vor, dass die verschiedenen Abteilungen eines Herstellers nicht richtig miteinander kommunizieren. So setzen einige Intranetanwendungen spezielle Java-Versionen oder die Version 1.7 und andere wieder 1.8 voraus. "Dieses zusammen auf einem System zu installieren, bringt immer wieder neue Herausforderungen mit sich", erklärt Stefan Schmeink. Vereinheitlichung immer wichtiger Gerade in größeren Mehrmarkenbetrieben wird das Thema Vereinheitlichung der IT-Infrastruktur immer wichtiger. Trotzdem kommt es auch noch heute vor, dass es Anwendungen von Herstellern gibt, die immer noch nicht vernünftig per Rechenzentrum betrieben werden können. So gibt es heute immer noch Anwendungen, die nicht terminalserverfähig sind, wie z. B. der Teilekatalog ETKA von VW. Es kommt selbst bei Neuentwicklungen immer wieder vor, dass diese nicht für einen Betrieb in einer modernen Infrastruktur getestet wurden. Und anders als bei Schnittstellen gäbe es bei den Intranetproblemen keinen Interessenverband, der sich für eine praktikable Umsetzung einsetze. "Mit dem Verein STX3 und dem Schnittstellenverband des ASA-Network gibt es Gemeinschaften, die sich für eine Vereinheitlichung der Systemlandschaft einsetzen. Uns wäre schon sehr damit geholfen, wenn zunächst der Hersteller innerhalb seiner Fachabteilungen einheitliche Vorgaben wie z. B. Browser- und Java-Version für seine Intranetanwendungen mit einem spartenübergreifenden Login schafft. Allein das wäre schon ein großer Schritt und würde den Autohausmitarbeitern viel Zeit und Nerven sparen. Die EDV-Abteilungen könnten sich dann aufs Wesentliche konzentrieren und es könnten andere Dinge wie z. B. das Überprüfen, Ändern oder Verbessern von Prozessen und Workflows oder aber bessere Einbindung von Werkstattsystemen vorangebracht werden", sagt Stefan Schmeink abschließend. Kurzfassung Nehmen Autohäuser neue Marken hinzu oder werden andere Betriebe übernommen, stellt sich die große Herausforderung der Systemanpassung. Nicht nur auf Dealer-Management-System-Ebene kann das problematisch sein. Besonders schwierig ist es, die Intranetanwendungen der einzelnen Hersteller zu synchronisieren.

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