TÜV Rheinland: Strategische Schlagkraft am Markt

Neuerungen am Markt verlangen häufig eine Veränderung der bisherigen Vorgehensweise. AUTOHAUS sprach mit Prof. Dr.-Ing. Jürgen Brauckmann, Executive Vice President Mobilität, und Dr. Matthias Schubert, Geschäftsführer der TÜV Rheinland Kraftfahrt GmbH, über die Geschäftsentwicklung des TÜV Rheinland Konzerns, den aktuellen Stand des HU-Adapters und die Abgasuntersuchung der Zukunft. AH: Wie hat sich das Geschäft des TÜV Rheinland Konzerns 2016 entwickelt? J. Brauckmann: Wir sind gut aufgestellt und mit unserem Umsatzwachstum insgesamt können wir zufrieden sein. 2016 wollen wir als Gesamtgruppe deutlich über 1,9 Milliarden Euro Umsatz erreichen. Für die nächsten fünf Jahre streben wir ein durchschnittliches Wachstum von zehn Prozent pro Jahr an. AH: Wie wollen Sie das erreichen? J. Brauckmann: Dazu werden unsere zentralen Säulen unterschiedlich stark beitragen. Zum einen wollen wir im Geschäftsbereich der Mobilität weltweit weiter wachsen. Dieser macht rund 25 Prozent des Konzernumsatzes aus. Ein zusätzliches Wachstum erwarten wir im Bereich des Industrieservices, besonders im Öl- und Gassektor. Zudem werden wir den Bereich Produkte international weiter fördern. Die drei Säulen Mobilität, Industrie und Produkte tragen 75 Prozent zum Konzernumsatz bei. Um den Geschäftsbereichen eine noch größere Effizienz zu ermöglichen, haben wir die Organisation im April zudem an die aktuellen Erfordernisse angepasst und gestrafft. Neue Organisationsstruktur AH: Wie sieht die Neustrukturierung aus? J. Brauckmann: Wir haben die Führung des Konzerns verdichtet und die Verantwortung für das operative Geschäft mit Gewinn und Verlust den sechs Bereichsvorständen gegeben. Diese leiten als "Executive Vice Presidents" nunmehr weltweit das Geschäft des TÜV Rheinland und sind folglich auch für die Strategie und Investitionspläne verantwortlich. AH: Damit sind auch Sie von der geänderten Konzernaufstellung betroffen, Herr Brauckmann ... J. Brauckmann: Die Veränderung ist gut und sie war auch nötig. Wir sind in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen, haben heute doppelt so viele Mitarbeiter, doppelt so viel Umsatz. Da muss man irgendwann Strukturen anpassen, um nah am Kunden zu bleiben. Im Mobilitätsbereich können wir mit der geänderten Investitionspolitik unsere PS künftig besser auf die Straße bringen. AH: Was bedeutet das für Deutschland? J. Brauckmann: Deutschland und Europa sind starke, regionale Märkte. Gerade dem deutschen Markt kommt eine derart hohe Bedeutung zu, dass wir uns vor kurzem für die Einstellung eines regionalen Business Stream Manager für Mobilität entschieden haben. Dieser verantwortet das Geschäft der Mobilität für die Bereiche Fahrzeuguntersuchung, Führerschein, Autoservices & Gutachten in Deutschland nun in Eigenregie. Dienstleistungen für den Handel AH: Wer übt diese Aufgabe aus? J. Brauckmann: Im April dieses Jahres hat Dr. Matthias Schubert diese Position übernommen und koordiniert auf dem deutschen Markt nun das Mobilitätsgeschäft für die Autohäuser, Werkstätten, Leasinggesellschaften, Vermieter, Fuhrparks und Versicherungen. Eingeschlossen ist damit auch die Weiterentwicklung der Fahrzeug- sowie Abgasuntersuchung der Zukunft. Seit Juli hat Dr. Schubert zudem offiziell meinen Vorsitz der Geschäftsführung Kraftfahrt übernommen. AH: Herr Schubert, wie wollen Sie das deutsche Geschäftsfeld "Mobilität" für die Zukunft ausrichten? M. Schubert: Auch wir nehmen den zunehmenden Konzentrationsprozess am deutschen automobilen Markt wahr. Unsere Kunden richten sich verstärkt überregional aus. Damit spüren wir veränderte Erwartungen an unsere Dienstleistungen. Dieser Wandel wird gewaltige Auswirkungen haben und wir müssen stärker überregional agieren. AH: Was dürfen Autohäuser vom TÜV Rheinland künftig erwarten? M. Schubert: Wenn wir im Autohaus und der Werkstatt einen Mehrwert schaffen, dann geschieht das mit einer Vielzahl an Services um die standardisierte Dienstleistung "HU" herum - angefangen bei der Arbeitssicherheit bis hin zur Qualität der Werkstattprozesse. Denn am Ende geht es immer um das Kundenerlebnis im Autohaus, daran lassen wir uns messen. Wir haben das Know-how, das wir künftig für alle Bereiche sauber strukturiert anbieten wollen. Unser Dienstleistungspaket wandelt sich und hat sich in vielem schon gewandelt - von der Prüfung hin zur Beratung. Das ist das, was den Mehrwert stiftet. Status quo: HU-Adapter AH: Wie zufrieden sind Sie mit dem bisherigen Einsatz des HU-Adapters? J. Brauckmann: Dieser war erforderlich, um künftig auch in der Untersuchung von elektronischen Systemen weiter voranzuschreiten. Nach meiner Meinung ist er letztes Jahr besser und krisenfreier in Betrieb gegangen, als alle befürchtet haben. Das ist die positive Entwicklung. AH: Und die negative Entwicklung? M. Schubert: Wenn Unternehmen an ein Gebührensystem angebunden sind, in dem die Faktorkosten von Jahr zu Jahr steigen, ist Produktivität ein großes Thema. Die Verlängerung eines einzelnen Durchlaufs kann dann zu einer Herausforderung werden. Und Fakt ist, dass der HU-Adapter jeden einzelnen Prüfdurchlauf derzeit noch minimal verlängert hat. AH: Woran liegt das? M. Schubert: Einen entscheidenden Teil tragen die zur Funktion des HU-Adapters notwendigen Prüfdaten, die sogenannten Vorgaben, bei. Diese bereits im Vorfeld vollständig zu erhalten, darin liegt die zentrale Herausforderung. J. Brauckmann: Es muss sichergestellt werden, dass wir diese Prüfdaten der Zukunft auch erhalten - und zwar bereits vor der Untersuchung der jeweiligen Fahrzeuge. Über die Fahrzeug-System-Daten GmbH arbeiten wir mit den Herstellern daran, die Daten zur Prüfung sicherheitsrelevanter elektronischer Systeme von diesen bereits früher zu erhalten. In der heutigen Zeit ebenfalls sehr wichtig, auch die Daten der umweltrelevanten elektronischen Systeme müssen im Rahmen der HU zur Verfügung stehen. Und da kommen wir bereits zu einem Entwicklungsthema - dem Chip-Tuning -, das derzeit stark diskutiert wird. Rolle des Chip-Tuning AH: Welche Rolle spielt das Chip-Tuning? J. Brauckmann: Es zeigt, dass der "HU-Adapter" auch eine wichtige Rolle bei der Untersuchung des Abgasverhaltens von Fahrzeugen spielen kann und muss. Wichtig ist hier, bei Fahrzeugen mit einem Chip-Tuning muss zum Nachweis von Umwelt und Verkehrssicherheit eine Einzelabnahme durchgeführt werden. AH: Welche Auswirkungen hat das? J. Brauckmann: Chip-Tuning muss nicht, kann aber negative Auswirkungen auf das Abgasverhalten oder die Sicherheit von Pkw haben und wird im Rahmen der bisherigen HU und AU nicht sicher erkannt. Mit dem weiteren Voranschreiten von elektronischen Systemen in Fahrzeugen ist zu erwarten, dass auch andere Systeme zukünftig durch eine Beeinflussung der Steuergerätprogrammierung getunt werden. So wäre beispielsweise die Anpassung eines Fahrwerkes, bis hin zur Nutzung von Daten, die über eine Cloud im Internet zur Verfügung gestellt werden, möglich. Für uns stellen sich zwei Fragen: Erstens, bis zu welchem Grad ist dies rechtlich tatsächlich zulässig und gleichzeitig sinnvoll. Zweitens: Müsste dieser Prozess dann nicht von einer Prüforganisation in der Fahrzeugüberwachung testiert und anerkannt werden? AH: Was ist Ihr Fazit zum HU-Adapter? J. Brauckmann: Der HU-Adapter stellt nur so viel fest, wie er an Daten zur Verfügung bekommt. Das muss weiterentwickelt werden. M. Schubert: Auch ich sehe das Thema optimistisch. Wir stehen erst am Anfang. Mit dem HU-Adapter sind wir einen Riesenschritt von der mechanischen zur elektronischen Prüfung gegangen. Die Fahrzeuge werden intelligenter und mit ihnen auch die Prüftechnik. Bedeutung der AU AH: Welche Bedeutung hat die AU? M. Schubert: Die Durchführung der Abgasuntersuchung ist immer wieder dem technischen Fortschritt angepasst worden und damit auch teurer geworden. Viele Werkstätten können und wollen das nicht mehr mitmachen. J. Brauckmann: In Zukunft wird sie ernster genommen werden müssen - das sehen wir in der Diskussion über reale und unter Laborbedingungen geprüfte Abgasund Verbrauchswerte. Man beginnt jetzt, auch die Abgasgrenzwerte neu zu überdenken, für die Messverfahren zugelassen werden müssen. Das Thema kommt. AH: Das bedeutet, die AU wird künftig eine größere Rolle spielen? J. Brauckmann: Ja, aber nicht mit den aktuellen Grenzwerten und der aktuellen Messtechnik. Wir setzen uns deshalb für eine vollständige Wiedereinführung der Endrohrmessung ein. AH: Herr Brauckmann, Herr Schubert, herzlichen Dank für das Gespräch! Interview: Ralph M. Meunzel und Daniela Kohnen Kurzfassung Der TÜV Rheinland reagiert auf den zunehmenden Konzentrationsprozess in Deutschland und richtet sein Geschäft verstärkt überregional aus. Die Entwicklung des HU-Adapters sieht man positiv, auch wenn dieser einer Weiterentwicklung bedarf. Bei der AU setzt man sich für die Wiedereinführung der Endrohrmessung ein.

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