Hauptuntersuchung: Sicher im Autopilot-Modus

Die rasanten technologischen Entwicklungen in der Automobilindustrie - von Elektromobilität über autonome Fahrsysteme bis hin zur wachsenden Vernetzung der Fahrzeuge - stellen nicht nur Hersteller, sondern auch Prüforganisationen vor neue Herausforderungen. Im Interview spricht Marco Oehler, Technischer Leiter der GTÜ, über die aktuellen und künftigen Anforderungen an die Hauptuntersuchung (HU). AH: Gibt es derzeit einen "blinden Fleck" bei der Hauptuntersuchung? M. Oehler: Die Durchführung der Hauptuntersuchung sowie die Prüfinhalte sind in der StVZO geregelt. Die Anforderungen der HU-Richtlinie decken dabei die grundlegenden Untersuchungspunkte mit Blick auf die Prüfung der Verkehrssicherheit von Fahrzeugen ab. In Bezug auf die Prüfung von Fahrerassistenzsystemen, autonomen Fahrfunktionen oder bei der Prüfung der Eigensicherheit elektrischer Fahrzeuge muss sich der Prüfingenieur derzeit jedoch noch stark auf das Diagnosesystem des jeweiligen Fahrzeugs verlassen. Um die Kernaufgabe der unabhängigen Prüfung von Fahrzeugen vollständig zu gewährleisten, ist die Integration tiefergehender Prüfmöglichkeiten für die Prüfingenieure, in Bezug auf diese Systeme, vorgesehen. AH: Daten spielen bei der HU eine zunehmend wichtige Rolle. Wie will man an diese Daten kommen? M. Oehler: Heute sind Fahrzeuge mit On-Board-Diagnosesystemen (OBD II) ausgestattet, welche wichtige Informationen über den Zustand verschiedener Fahrzeugsysteme liefern. Während der HU können Prüfer diese Systeme nutzen, um Fehlercodes auszulesen und den Zustand des Fahrzeugs zu beurteilen. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, festzulegen, welche Daten für die Durchführung einer unabhängigen Fahrzeugprüfung herangezogen werden müssen, und für diesen Umfang eine Standardisierung herbeizuführen. Moderne Telematik-Systeme können Diagnosedaten direkt vom Fahrzeugdiagnosesystem (OBD-II) sammeln, um Informationen über den technischen Zustand des Fahrzeugs und eventuelle Fehler zu verifizieren. Die Datenlandschaft ist jedoch nach wie vor recht heterogen, was die Implementierung von standardisierten Prüfszenarien in die HU erschwert. Ebenfalls setzt der Zugriff auf solche Daten voraus, dass Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sind. Die Fahrzeughalter müssen über die Nutzung ihrer Daten informiert werden, Hersteller aber auch zur Freigabe bestimmter Daten verpflichtet werden. AH: Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen im Bereich der Elektromobilität auf die Prüfintervalle und -methoden der Hauptuntersuchung? M. Oehler: Die Prüfintervalle sind, bezogen auf die Antriebsart von Fahrzeugen, bisweilen untangiert. Zwar haben Elektrofahrzeuge weniger bewegliche Teile und auch einige der typischen Verschleißteile eines Verbrennungsmotors - wie Ölfilter, Auspuffsysteme oder Kupplungen - sind nicht vorhanden. Allerdings müssen andere Komponenten wie Batterien, Elektromotoren und Leistungselektronik geprüft werden. Methoden, welche dies auch fundiert und unabhängig sicherstellen, werden derzeit erarbeitet. Nach ersten Auswertungen zeigt sich auch, dass, bezogen auf den Verschleiß der Antriebs- und Bremskomponenten, teilweise ein höheres Aufkommen als bei vergleichbaren Verbrennern auftritt. Dies bestätigt die Beibehaltung der derzeit festgelegten Prüfintervalle auch bei Elektrofahrzeugen. AH: Welche technischen Herausforderungen ergeben sich bei der Überprüfung von Elektrofahrzeugen? M. Oehler: Elektrofahrzeuge arbeiten mit Hochvolt-Batteriesystemen, die potenzielle Gefahren wie elektrische Schläge oder thermische Ereignisse mit sich bringen können. Die sichere Handhabung und Überprüfung dieser Systeme erfordern spezielle Schulungen und Ausrüstungen für die Prüfingenieure. Die technischen Herausforderungen bestehen für den Prüfingenieur unter anderem bei der Bewertung des Thermomanagements. Die Überprüfung des Thermomanagementsystems ist entscheidend, da die Batterieleistung und -lebensdauer stark von der Temperaturkontrolle abhängen. Mängel in diesem Bereich können wiederum hohe Gefahren mit sich bringen. Die Überprüfung des Ladesystems, einschließlich des Ladeanschlusses und der zugehörigen Hardware, ist entscheidend, um sicherzustellen, dass das Fahrzeug effizient und sicher geladen werden kann. Die elektrische Isolation in EVs muss regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass keine Stromlecks oder -kurzschlüsse vorliegen, die die Sicherheit beeinträchtigen könnten. Diese Herausforderungen erfordern angepasste Schulungen, Ausrüstungen und Verfahren, um sicherzustellen, dass die Überprüfung von Elektrofahrzeugen effektiv und sicher durchgeführt werden kann. AH: Werden Prüfverfahren an die Entwicklungen im Bereich der Ladetechnologien für Elektrofahrzeuge angepasst? M. Oehler: Die Weiterentwicklung von Prüfverfahren für Elektrofahrzeuge ist ein wesentlicher Bestandteil der Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Branche. Die Sicherstellung der fehlerfreien Funktion der Ladehardware sowie der Schutz vor elektrischen Schlägen und die korrekte Funktion von Sicherheitsmechanismen in der Ladetechnologie sind dabei wesentliche Bestandteile der Projekte rund um die Prüfverfahren von Elektrofahrzeugen. AH: Wie beurteilt die GTÜ die Langzeitstabilität von Elektrofahrzeugen? M. Oehler: Die Langzeitstabilität von Elektrofahrzeugen ist ein Bereich, der zunehmend in den Fokus rückt, da immer mehr Elektrofahrzeuge auf die Straßen kommen und einige der früheren Modelle nun auch mehrere Hauptuntersuchungen hinter sich gebracht haben. Interne Auswertungen haben gezeigt, dass die Elektrofahrzeuge in den ersten Jahren eher weniger Mängel aufweisen als vergleichbare Verbrenner. Mit zunehmendem Alter steigt das Mangelaufkommen bei der HU jedoch deutlich an und übersteigt teilweise auch das der vergleichbaren Verbrenner. Bei den Elektrofahrzeugen wird vor allem die Lebensdauer der Batterie einen zentralen Faktor für die Langzeitstabilität darstellen. Frühe Erfahrungen zeigen, dass die Batterien in EVs länger halten, als ursprünglich erwartet, oft über die typische acht- bis zehnjährige Garantiezeit hinaus. Da die Degradation der Batterie jedoch von verschiedenen Faktoren abhängt, wie Ladeverhalten, Nutzungshäufigkeit, Temperaturbedingungen, Fahrzeugpflege usw., werden wir hier in den kommenden Jahren weiter Erkenntnisse bekommen. AH: Autonomes Fahren wird immer wichtiger, heute schon sind Level-3-Fahrzeuge auf den Straßen. Wie kann es gelingen, deren zuverlässige Funktion ein Fahrzeugleben lang sicherzustellen? M. Oehler: Dies wird eine der großen Herausforderungen der Branche und des Verordnungsgebers werden. Die Sicherstellung der zuverlässigen Funktion von autonomen Fahrzeugen bzw. autonomen Assistenzsystemen über die gesamte Lebensdauer eines Fahrzeugs erfordert einen umfassenden Ansatz, der bei der Typgenehmigung beginnt. Zum einen müssen bereits vor der Markteinführung umfangreiche Tests unter realen Bedingungen durchlaufen werden, um die Fähigkeit zur Bewältigung verschiedener Verkehrsszenarien und Umgebungsbedingungen sicherzustellen. Es wird aber auch erforderlich sein, dass seitens der Hersteller standardisierte Schnittstellen und eine standardisierte Datenbereitstellung geschaffen werden, um Fahrzeuge auch wiederkehrend bezüglich der Funktion der autonomen Systeme vollumfänglich überprüfen zu können. Fahrzeuge sollten kontinuierlich Leistungsdaten sammeln, die zur Überwachung des Systemzustands und zur frühzeitigen Erkennung potenzieller Probleme analysiert werden können. Des Weiteren muss es möglich sein, durch einen standardisierten Datenzugriff die Reaktion der Fahrzeuge anhand vorgegebener Testmethoden bewerten zu können. Dies erfordert jedoch zum einen Anpassungen der Typgenehmigungsvorschriften, zum anderen müssen Testmethoden, Prüfszenarien sowie verordnungsrechtliche Grundlagen zur einheitlichen Umsetzung und Bewertung geschaffen werden. AH: Welche Anpassungen sind hier im Hinblick auf die Hauptuntersuchung geplant, um auch zukünftig die Sicherheit von Fahrzeugen mit automatisierten Fahrfunktionen zu gewährleisten? M. Oehler: Autonome Fahrzeuge sind auf eine Vielzahl von Sensoren angewiesen, wie Kameras, Radar, Lidar und Ultraschall, um ihre Umgebung zu erfassen. Die HU muss sicherstellen, dass diese Sensoren korrekt funktionieren, richtig kalibriert sind und keine Schäden aufweisen. Da die Software eine entscheidende Rolle für die Funktionalität autonomer Fahrzeuge spielt, müssen Prüfverfahren entwickelt werden, um die Softwareintegrität und -aktualität zu bewerten. Angesichts der großen Datenmengen, die von autonomen Fahrzeugen verarbeitet und gespeichert werden, müssen Prüfverfahren sicherstellen, dass Datenschutzrichtlinien eingehalten werden und die Datensicherheit gewährleistet ist. Die HU muss die Funktionstüchtigkeit der automatisierten Fahrsysteme überprüfen, um sicherzustellen, dass sie korrekt auf ihre Umgebung reagieren und die vorgegebenen Fahraufgaben sicher ausführen können. Die rechtlichen Vorschriften für die HU müssen weiterentwickelt werden, um spezifische Anforderungen für autonome Fahrzeuge zu integrieren, was eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Prüforganisationen und Gesetzgebern erfordert. Dies erfolgt derzeit in verschiedenen Gremien auf nationaler und europäischer Ebene. Von den verschiedenen Branchenvertretern werden hierzu unterschiedliche Ansätze erarbeitet, um eine bestmögliche Lösung zur Integration der erforderlichen Anpassungen in das System der amtlichen Fahrzeugprüfung zu gewährleisten. AH: Welche Standards sind hier denkbar? M. Oehler: Wesentlich sind Standards für die Überprüfung der Sensorik, die für die Wahrnehmung der Umgebung durch das Fahrzeug notwendig ist. Dies schließt Kameras, Radar, Lidar und gegebenenfalls auch Ultraschallsensoren ein. Hierzu bedarf es wiederum Festlegungen zur Leistungsfähigkeit und Genauigkeit dieser Systeme. Um die Überprüfung durchführen zu können, müssen Standards für die Überprüfung der Funktionalität und Sicherheit dieser Kommunikationssysteme festgelegt werden. Quasi ein standardisierter Zugriff zum Fahrzeug, um die für eine neutrale Prüfung erforderlichen Informationen zu bekommen. AH: Welche Rolle spielt die GTÜ bei der Standardisierung von Prüfverfahren für Assistenzsysteme, um einheitliche Standards in der Branche zu etablieren? M. Oehler: Die GTÜ als amtlich anerkannte Überwachungsorganisation legt großen Wert auf einen flächendeckend einsetzbaren und verbraucherfreundlichen Ansatz zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit in Bezug auf moderne Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen. Daher arbeiten wir mit unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung gemeinsam mit Hochschulpartnern an einem Konzept für ein standardisiertes System zur Sensorprüfung im Rahmen der HU. Ziel soll sein, die Möglichkeit eines geeigneten Sensorprüfstandes in die bestehende Infrastruktur zu schaffen, um über einen standardisierten Datenzugang die Funktionalität der autonomen Systeme neutral im Regelablauf der HU überprüfen und bewerten zu können. AH: Wie will man diese effizient in die Hauptuntersuchung integrieren? Klappt das in einem wirtschaftlich sinnvollen Rahmen? M. Oehler: Unser Ansatz sieht vor, die bestehende Infrastruktur bestmöglich zu nutzen. Schon heute bestehen hohe Anforderungen an Aufstellflächen zur Scheinwerferprüfung. Wenn diese Möglichkeit genutzt werden kann, um sinnvolle Erweiterungen zur Sensorprüfung zu integrieren, kann die neutrale Überprüfung der Funktionalität auch in einem wirtschaftlich sinnvollen Rahmen stattfinden. AH: Inwiefern ist bei der Hauptuntersuchung der Faktor Cybersecurity im Zusammenhang mit vernetzten Fahrzeugen zu berücksichtigen? M. Oehler: Unter der Annahme, dass im Rahmen der Typgenehmigung die Sicherheit der Fahrzeuge gewährleistet werden kann, wird sich die HU künftig vor allem damit beschäftigen, zu überprüfen, ob der Sicherheitsstandard auch langfristig durch erforderliche Updates eingehalten wird. Genau wie bei Computern oder Smartphones ist die regelmäßige Aktualisierung der Software von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit. Over-the-Air-Updates ermöglichen es heute, Sicherheitspatches und Updates schnell und effizient auf die Fahrzeuge zu übertragen, um bekannte Sicherheitslücken zu schließen. Im Rahmen der HU wäre daher sicherzustellen, dass die als Vorgabe festgelegten Updates auch tatsächlich erfolgt sind. AH: Gibt es Überlegungen, die Hauptuntersuchung durch den Einsatz von fortschrittlichen Technologien wie Künstlicher Intelligenz oder Big Data zu optimieren? M. Oehler: Diese Technologien bieten sicherlich das Potenzial, die Effizienz, Genauigkeit und Wirksamkeit der Fahrzeugüberprüfungen zu steigern. Künstliche Intelligenz könnte beispielsweise dazu verwendet werden, den Informationsfluss zum Prüfingenieur zu verbessern. Zum einen, um anhand vorliegender Daten explizite Prüfhinweise zu generieren, KI-Systeme können aber auch große Datenmengen direkt aus Fahrzeugdiagnosetests analysieren, dabei Muster erkennen und präzisere Diagnosen ermöglichen. Sie könnten somit auch dabei helfen, die Ursachen von Problemen zu identifizieren. AH: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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