Arbeitsvertrag: Neues Nachweisgesetz zum 1. August 2022

Aufgrund der EU-Richtlinie vom 14. Oktober 1991 (91/533/EWG) "Über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen" wurde am 20. Juli 1995 das deutsche "Nachweisgesetz" (NachwG) erlassen. Nach diesem Gesetz hat der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Das NachwG gilt für alle Arbeitnehmer, sofern sie nicht lediglich zur vorübergehenden Aushilfe von höchstens einem Monat eingestellt werden. Das NachwG gilt - mit den Einschränkungen des § 22 Mindestlohngesetz - sogar für Praktikanten. Das NachwG enthält einen recht umfangreichen Katalog der wichtigsten Vertragsbedingungen, die dem Arbeitnehmer verpflichtend mitzuteilen sind. Am 20. Juni 2019 erließ die EU die "Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen" (EU 2019/1152), die eine Frist zur Umsetzung in nationales Recht bis spätestens zum 1. August 2022 beinhaltet. Im Hinblick hierauf verabschiedete der Bundestag am 23. Juni 2022 nicht unerhebliche Neuerungen im Nachweisgesetz mit Inkrafttreten zum 1. August 2022. Nachweisgesetz: Verpflichtende Schriftform In Art. 3 der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen ist festgehalten, dass die erforderlichen Vertragsinformationen vom Arbeitgeber in Papierform oder - sofern die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können sowie ein Empfangsnachweis vorliegt - auch in elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden können, also beispielsweise auch per E-Mail. Dieser Vorgabe sind auch alle anderen EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der elektronischen Form in ihrem Pendant des NachwG gefolgt. Im Gegensatz hierzu wurde im neuen deutschen NachwG die bisherige Formulierung beibehalten, wonach die Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, vom Arbeitgeber zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen sind. Der Nachweis der Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist im NachwG ausdrücklich ausgeschlossen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für die wesentlichen Vertragsbedingungen auf die Schriftform versteift. Arbeitsverträge: Kein Schriftform- Erfordernis, aber ... Zwar werden Arbeitsverträge in aller Regel schriftlich vereinbart, allerdings können die "eigentlichen" Arbeitsverträge in Abweichung zum NachwG nach deutschem Recht auch weiterhin mündlich oder durch Mittel der Fernkommunikation, beispielsweise versehen mit digitalen Unterschriften, abgeschlossen werden. § 126 Abs. 3 BGB bestimmt: "Die schriftliche Form kann durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt." Für Arbeitsverträge ergibt sich solchermaßen nichts "anderes". Nun beinhaltet der erweiterte Katalog des neuen NachwG ohnehin die maßgeblichen Eckpunkte eines Arbeitsvertrags, sodass es wenig sinnvoll erscheint, einen Arbeitsvertrag mündlich, konkludent oder digital abzuschließen, um sodann nachfolgend ohnehin noch einmal die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsvertrags gemäß NachwG schriftlich niederlegen, unterzeichnen und dem Arbeitnehmer aushändigen zu müssen. Es wäre dies ein nicht sinnvoller doppelter Arbeitsaufwand. Unter dem Zwang des NachwG statuiert der Gesetzgeber damit letztlich das Schriftformerfordernis für Arbeitsverträge, ohne andere gesetzliche Bestimmungen anpassen zu müssen. Konsequenterweise bestimmt das NachwG, dass eine Verpflichtung zur separaten Unterrichtung des Arbeitnehmers dann entfällt, wenn dem Arbeitnehmer bereits ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit den entsprechenden Pflichtangaben gemäß NachwG ausgehändigt wurde. Pflichtangabenkatalog alt und neu Das NachwG enthält bisher einen Katalog von Pflichtangaben zu folgenden wesentlichen Vertragsbedingungen: - Namen und Anschrift der Vertragsparteien - Beginn und eventuelle Befristung des Arbeitsverhältnisses wie auch Kündigungsfristen - Arbeitsort, Arbeitszeit, Arbeitsentgelt und Urlaub - kurze Darstellung der vom Arbeitnehmer zu leistenden Tätigkeit - Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen Zum Pflichtangabenkatalog hinzu kommen mit der Gesetzesänderung ab 1. August 2022 insbesondere folgende weitere Angaben (Aufzählung nicht abschließend): - Dauer einer eventuell vereinbarten Probezeit - Vergütung von Überstunden, Zuschlägen, Zulagen, Prämien, Sonderzahlungen etc. wie auch deren Fälligkeit und Art der Auszahlung. Die Bestandteile des Arbeitsentgelts sind jeweils getrennt anzugeben. - Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei Schichtarbeit das Schichtsystem in den konkreten Einzelheiten - bei Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf: Detailangaben nach § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes - Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen - Anspruch auf vom Arbeitgeber eventuell bereitgestellte Fortbildung - Namen und Anschrift des Versorgungsträgers bei vorhandener betrieblicher Altersversorgung - einzuhaltendes Verfahren bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Kündigungsfristen, Frist für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage Wie aus dem Katalog der Pflichtangaben des NachwG zu entnehmen ist, wird hierdurch letztlich der vollständige Inhalt eines Arbeitsvertrags abgebildet. Dies sollte unter dem Aspekt des Arbeitnehmerschutzes wohl auch das gesetzgeberische Ziel gewesen sein. Arbeitsverträge alt und neu Der erweiterte Pflichtenkatalog des NachwG gilt für alle neuen Arbeitsverträge, die ab dem 1. August 2022 geschlossen werden. Die Frist für die Aushändigung der Pflichtangaben an den Arbeitnehmer ist folgendermaßen gestaffelt: - Spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung die Angaben zu den Vertragsparteien, zum Arbeitsentgelt und allen Lohnbestandteilen sowie zur Arbeitszeit samt Überstunden und Ruhepausen (Katalognummern 1,7 und 8 des § 2 Abs. 1 NachwG) - spätestens am siebten Kalendertag nach Beginn des Arbeitsverhältnisses die obenstehend aufgelisteten weiteren umfangreichen Pflichtangaben (Katalognummern 2 bis 6,9 und 10 des § 2 Abs. 1 NachwG) - spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses die restlichen Pflichtangaben In der Konsequenz bedeutet diese Fristen-Zersplitterung für die Praxis, dass den Arbeitnehmern die Pflichtangaben in Gänze bereits vor Arbeitsbeginn ausgehändigt werden sollten, sinnvollerweise nicht lediglich durch ein Informationsschreiben, sondern mittels eines beiderseits zu unterzeichnenden vollständigen Arbeitsvertrags. Alt-Arbeitsverträge, die vor dem 1. August 2022 abgeschlossen wurden, bleiben in ihrem Bestand unverändert. Allerdings haben die Arbeitgeber auf ausdrückliches Verlangen der bereits beschäftigten Mitarbeiter diesen innerhalb von sieben Tagen die Pflichtangaben gemäß Nachweisgesetz in der vorgeschriebenen Schriftform mitzuteilen. Unabhängig von Alt- oder Neu-Verträgen gilt, dass bei Änderung wesentlicher Arbeitsbedingungen der Arbeitgeber die Mitarbeiter aus eigener Initiative spätestens am Tag der Änderung schriftlich zu informieren hat. Bußgeld Mit § 4 NachwG wurde ein neuer Bußgeldtatbestand eingeführt. Hiernach handelt ordnungswidrig, wer entgegen der Maßgabe des NachwG wesentliche Vertragsbedingungen nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig mitteilt. Das Gleiche gilt für die Aushändigung der Niederschrift über die vorgeschriebenen Pflichtangaben. Das Gleiche gilt ebenfalls für die gemäß Nachweisgesetz dem Arbeitnehmer gegenüber zu machenden zusätzlichen Pflichtmitteilungen. Für jeden einzelnen Verstoß droht eine Geldbuße bis zu 2.000 Euro. Dies bedeutet unter anderem: Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen beschäftigt, umso höher kann eine Geldbuße bei gleich gelagerten Verstößen ausfallen. Die Arbeitgeber sind gehalten, sich auf das Nachweisgesetz einzustellen und ihre Arbeitsvertragsgestaltung zu überprüfen und anzupassen. Kurzfassung 1. Auf der Grundlage der EU-Richtlinie vom 20. Juni 2019 (Arbeitsbedingungen-Richtlinie) wurde ein neues Nachweisgesetz verabschiedet, das zum 1. August 2022 in Kraft tritt. Das neue NachwG enthält eine erhebliche Erweiterung der Verpflichtungen des Arbeitgebers, die Mitarbeiter über die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsvertrags zu informieren. Diese Information hat verpflichtend in Schriftform zu erfolgen, der Nachweis der Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist ausdrücklich ausgeschlossen.2. Arbeitsverträge dagegen können auch weiterhin mündlich abgeschlossen werden, ebenso durch Mittel der Fernkommunikation. Nachdem der erweiterte Pflichtenkatalog des NachwG ohnehin die vollständigen Eckpunkte eines Arbeitsvertrags enthält, ist es wenig sinnvoll, einen Arbeitsvertrag mündlich, konkludent oder digital abzuschließen, um zusätzlich ohnehin noch einmal die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsvertrags gegenüber den Mitarbeitern nach den Maßgaben des NachwG schriftlich niederlegen zu müssen.3. Das NachwG enthält in der Neufassung in etwa eine Verdoppelung der zu erteilenden Pflichtangaben. Der neue Pflichtenkatalog gilt für alle (neuen) Arbeitsverträge, die ab dem 1. August 2022 geschlossen werden. Vorher abgeschlossene Arbeitsverträge bleiben in ihrem Bestand unberührt. Allerdings kann ein bereits vor dem 1. August 2022 beschäftigter Mitarbeiter gegenüber dem Arbeitgeber ein ausdrückliches Verlangen stellen, die Pflichtangaben schriftlich mitzuteilen. Ohne Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverträgen hat der Arbeitgeber die Mitarbeiter bei Änderung wesentlicher Vertragsbedingungen spätestens am Tag der Änderung schriftlich zu informieren.4. Im neuen NachwG befindet sich nun ein Bußgeldtatbestand. Wer die vorgeschriebenen Pflichten aus dem NachwG nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erfüllt, muss mit einem Bußgeld bis zu 2.000 Euro für jeden Einzelfall rechnen. Kommentar Der EU-Rat, die EU-Kommission und das europäische Parlament beriefen in Göteborg für den 17. November 2017 einen Sozialgipfel zu den Themen "faire Arbeitsplätze und Wachstum" ein. Auf diesem Sozialgipfel wurde die "Europäische Säule sozialer Rechte" proklamiert und unterzeichnet. Ziel dieser Säule ist es, in Europa Arbeitslosigkeit, Armut und Diskriminierung zu bekämpfen und den jungen und sozial schwachen Menschen Chancengleichheit zu bieten. Die Proklamation enthält 20 Grundsätze und Rechte, die in drei Kategorien unterteilt sind. Eine Kategorie betrifft "dynamische Arbeitsmärkte und faire Arbeitsbedingungen". Die Arbeitsbedingungen-Richtlinie der EU und ihm folgend das im vorliegenden Beitrag besprochene Nachweisgesetz sind direkter Ausfluss der Proklamation zur Europäischen Säule sozialer Rechte. Gut gemeint ist allerdings - leider - nicht immer gut gemacht. Zum einen werden im Nachweisgesetz den Arbeitgebern wieder einmal überbordende Pflichten zugewiesen. Bei größeren Firmen mit spezialisierter HR-Abteilung mag dies noch mit vertretbarem Aufwand handhabbar sein, für kleinere Unternehmen ergeben sich hier allerdings absehbare Umsetzungsschwierigkeiten. Darüber hinaus wurde es mit der Festschreibung des (analogen) Schriftformerfordernisses im Nachweisgesetz erneut versäumt, Digitalisierungshürden abzubauen. Dabei ist dies doch eigentlich erklärtes Ziel der Bundesregierung.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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