Ausgabe 12/2009: Mut und Fortüne

100 jahre kfz-gewerbeMut und FortüneGottfried Schultz und Volkswagen E Dem Sohn eines Duisburger Anwalts und Notars bietet sich 1924 die Gelegenheit, zwei Dutzend amerikanische Importwagen mit Profit an den Mann zu bringen. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte. von Robert RademacherZwar ist die Firma Gottfried Schultz nicht ganz so alt wie der Verband, aber mit 85 Jahren auch nicht sehr viel jünger. Wenn man auf diese 85 Jahre – derzeit wieder einmal zu einem für das Kfz-Gewerbe alles andere als einfachen Zeitpunkt – zurückblickt, dann bestätigt die Geschichte von Gottfried Schultz die alte chinesische Weisheit, dass Krise zugleich auch Chance bedeutet.1924: Start nach der InflationDenn die drei für die Firmenhistorie wichtigsten Weichenstellungen sind in Zeiten großer Krisen erfolgt: der Start als Autohändler 1924 unmittelbar nach der großen Inflation, der Schritt zum Markenhändler 1932 noch während der Weltwirtschaftskrise und der Neustart 1946 ein Jahr nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs.Beim Einstieg von Gottfried Schultz ins Automobilgewerbe stand allerdings der Zufall Pate. In der Kanzlei seines Vaters Julius Schultz, eines Anwalts und Notars in Duisburg, bekam Sohn Gottfried mit, wie sein Vater einen Mandanten beriet, der auf zwei Dutzend amerikanischer Importautos der Marke Nash sitzengeblieben war, weil sein Abnehmer nicht bezahlen konnte. Der geschäftstüchtige – gerade mal einundzwanzig Jahre alte – Filius bot sich an, die Partie zu übernehmen, fand im Vater eines Freundes auch einen Geldgeber und schaffte es, diese schicken Mittelklasse-Fahrzeuge mit gutem Profit zu verkaufen.‚Unseriöse‘ BerufswahlDamit hatte Gottfried Schultz den Reiz des Automobilgeschäfts für sich entdeckt und baute in Folge einen Handel mit Gebrauchtwagen auf. Sehr zum Missfallen seines Vaters, der für seinen Sohn einen seriöseren Berufsweg im Sinn gehabt hatte. Auch war der Handel mit Autos kein risikoloses Unterfangen, denn die Wirtschaft hatte sich 1924 noch nicht von den Folgen des Ersten Weltkriegs und der verheerenden Inflation erholt.Die zweite Hälfte der zwanziger Jahre brachte dann einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg, der aber abrupt mit dem Schwarzen Freitag im Oktober 1929 endete. Es folgte – auch damals ausgehend von den USA – die bisher größte Weltwirtschaftskrise mit besonders schweren Auswirkungen in Deutschland. Betroffen waren alle Branchen. So auch das Kfz-Gewerbe, aber noch mehr die Automobilhersteller. Von den damals rund 60 Herstellern von Personenwagen, Lastwagen und Motorrädern überlebten mehr als die Hälfte die Folgezeit nicht. Die maroden sächsischen Automobilhersteller DKW, Wanderer, Audi und Horch suchten ihr Heil in einer Fusion. Allerdings forderten die die Fusion begleitenden Banken, zuvor alle Verlustlöcher zu stopfen. So musste sich die Nobelmarke „Horch“ von ihren verlustbringenden Werksniederlassungen trennen. Als 1931 so auch die Essener Horch-Niederlassung zum Verkauf stand, griff Gottfried Schultz zu und verlegte auch gleich seinen Firmensitz von Duisburg in die Ruhrmetropole Essen.Der Volkswagen wird erfundenWenn man mehrere Kranke in ein Bett legt, kommt normalerweise kein Gesunder heraus. Im Falle der 1932 vollzogenen Fusion von DKW, Wanderer, Audi und Horch zur „Auto Union“ hat es dieses Wunder allerdings gegeben. Ausschlaggebend dafür war die bald nach 1933 einsetzende, von der Politik sehr forcierte Motorisierung breiterer Bevölkerungskreise. Das Interesse der Politik an einer Massenmotorisierung nach amerikanischem Vorbild war so groß, dass man selbst die Konstruktion eines „Volkswagens“ in Auftrag gab und dafür sogar – nachdem sich die deutsche Automobilindustrie außerstande erklärt hatte, einen solchen Wagen zu dem politisch vorgegebenen Preis von „unter tausend“ Reichsmark anbieten zu können – eine eigene Fabrik baute. Diese wurde allerdings erst nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fertig und produzierte dann keine Fahrzeuge mehr für private Kunden.Schultz wird MehrmarkenhändlerMit Übernahme der Horch-Niederlassung Essen war aus dem „freien“ Autohändler Gottfried Schultz ein Markenhändler geworden, der nun über einen repräsentativen Verkaufsraum in erstklassiger Lage und eine Werkstatt – stolz „Reparaturwerk“ genannt – verfügte. Da der Verkauf der Nobelmarke Horch zunächst noch – angesichts der fortbestehenden Krise – schleppend verlief, übernahm Gottfried Schultz auch noch Vertretungen der Marken DKW, Audi und Phänomen, einer ebenfalls in Sachsen beheimateten Lieferwagenmarke. Mehrmarkenhandel ist also keine Erfindung der Neuzeit.Aber bereits Mitte der dreißiger Jahre hatten sich die Geschäfte bei Gottfried Schultz so gut entwickelt, dass ein größerer Betrieb neu gebaut werden musste, der bis ins Jahr 2009 – bis zur Eröffnung des neuen Volkswagen Zentrums Essen in der Weststadt – der Hauptbetrieb von Gottfried Schultz in Essen geblieben ist. Gottfried Schultz hatte es damals tatsächlich geschafft, den Stahl- und Zechen-Managern im Ruhrgebiet fast doppelt so viele Horch-Wagen zu verkaufen wie die Konkurrenz Mercedes-Benz-Fahrzeuge abzusetzen vermochte.Erste Kontakte zu VWTrotz oder vielleicht auch wegen seiner Erfolge knüpfte Gottfried Schultz bereits 1937 erste Kontakte zur neu gegründeten Volkswagenwerk GmbH, die im November 1939 zum Abschluss eines so genannten Hauptwerkstätten-Vertrags für den „KdF-Wagen“ – wie der Volkswagen inzwischen umgetauft worden war – führten. Der Verkauf dieses von Ferdinand Porsche entwickelten Wagens sollte nicht über Händler, sondern über die Organisation „Kraft durch Freude“ („KdF“) erfolgen, während vorgesehen war, Service und Reparatur durch private Werkstätten durchführen zu lassen. Gottfried Schultz wäre für die Städte Essen und Mülheim sowie für das Gebiet des Niederrheins zuständig gewesen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verzögerte jedoch die Fertigstellung des Volkswagenwerks. Als 1941 die ersten Fahrzeuge vom Band liefen, handelte es sich nicht um Volks- oder KdF-Wagen für die Zivilbevölkerung, sondern fast ausschließlich um Kübel- und Schwimmwagen für die Deutsche Wehrmacht. Während des Krieges verließen lediglich 630 „normale“ KdF-Wagen die Fabrikhallen. Sie dienten als Probe- und Vorzeigewagen oder wurden an Prominente verschenkt. Eines dieser seltenen Exemplare befindet sich im Besitz der Firma Gottfried Schultz: ein KdF-Wagen, den Ferdinand Porsche 1943 dem Flugzeugkonstrukteur Willy Messerschmidt geschenkt hatte.Während des Zweiten Weltkrieges stellte Gottfried Schultz auch eine so genannte „K-Werkstatt“. Während man bisher nur in Duisburg und Essen tätigt gewesen war, gab es 1942 für einige Monate einen Gottfried-Schultz-Betrieb am Asow‘schen Meer tief in Russland. Aufgabe dieser Heeresreparaturwerkstätten war die Betreuung der bei der kämpfenden Truppe eingesetzten Kraftfahrzeuge. Solange diese Truppe auf dem Vormarsch war, galt es, möglichst nah hinter der Front mit vorzurücken. Als der Rückzug begann, wurde es für die etwa 30 Mitarbeiter von Gottfried Schultz ziemlich ungemütlich. Mehrere Male war man zwischen den Fronten, weil man nicht früh genug informiert worden war, den Rückwärtsgang einzulegen. Es kam einem wahren Wunder gleich, dass alle Gottfried-Schultz-Mitarbeiter aus dem Krieg zurückgekehrt sind. Schultz verliert HerstellerAm Ende des Krieges stand Gottfried Schultz nicht nur vor den Trümmern seines weitgehend zerbombten Betriebes, er hatte auch seine sächsischen Hersteller, deren Fahrzeuge er bis Kriegsbeginn verkauft hatte, verloren. Ihre Fabriken lagen alle im nun sowjetisch besetzten Osten Deutschlands, waren entweder zerstört oder wurden demontiert. Von dort wieder Autos zu beziehen, war aussichtslos. Der erste KäferGottfried Schultz versuchte nach Kriegs- ende zunächst, von den Borgward-Werken einen Händlervertrag für Essen zu bekommen. Nachdem er aus Bremen eine Absage erhalten hatte, fuhr er mit einem Englisch sprechenden Freund nach Wolfsburg, wo die Engländer die Käfer-Produktion – zur Deckung des eigenen Bedarfs – wieder in Gang gebracht hatten. Im Frühjahr 1946 schloss er mit der britischen Verwaltung der „Wolfsburg Motor Works“ einen Vertrag, der seine Firma zum Servicebetrieb für die bei der britischen Besatzung im Einsatz befindlichen Käfer machte. Im Sommer 1946 hatten die Engländer ihren Eigenbedarf gedeckt und entschieden, dass nun auch Fahrzeuge an Deutsche abgegeben werden könnten. So kam es, dass Gottfried Schultz im Juli 1946 den allerersten VW Käfer überhaupt an einen deutschen Privatkunden ausliefern konnte.Anschub für PorscheSehr bald lernte Gottfried Schultz auch Ferry Porsche kennen, den Sohn des Volkswagen-Konstrukteurs Ferdinand Porsche. Als dieser 1950 auf der Basis des Käfers einen aufregenden Sportwagen mit damals stolzen 35 PS entwickelt hatte und einige große VW-Händler um die Vorfinanzierung der Anlaufserie bat, zählte Gottfried Schultz zu denen, die sofort ja sagten. 1951 übernahm Gottfried Schultz – neben dem Volkswagen-Vertrieb – auch die Vertretung der neuen Marke Porsche.Schultz wächst mit VWBereits 1949 hatte Gottfried Schultz als Volkswagen-Großhändler eine Niederlassung in Düsseldorf und in den fünfziger Jahren Verkaufsbüros in Leverkusen, Mettmann, Moers und Neuss gegründet. Nach und nach entstanden im Großraum Rhein-Ruhr über dreißig Autohäuser für Volkswagen, seit 1965 auch wieder für die Marke Audi. So eröffnete Gottfried Schultz 1989 mit dem Audi Zentrum Essen den ersten reinrassigen Audi-Betrieb in Deutschland. Analog der Entwicklung auf der Volkswagen-Konzernebene verbreiterte sich auch das Markenspektrum bei Gottfried Schultz: 1993 kam Seat hinzu, es folgten 2002 Bentley und 2003 Skoda.Auch wenn es in 60 Jahren Volkswagen-Partnerschaft nicht nur Höhen gegeben hat, so haben dieselben die Tiefen bei weitem überwogen. Der entscheidende Unterschied für den Erfolg von Volkswagen, von Gottfried Schultz und von den meisten VW-Partnern war die Tatsache, dass Volkswagen stets mindestens ein Modell mit besonderem Charakter und Sogwirkung im Programm hatte – zunächst den klassenlosen Käfer und dann den ebensolchen Golf. Das nennt man Glück oder im Geschäftsleben „Fortüne“, welches bekanntlich dem Tüchtigen vorbehalten ist. zLesen SIe hier...... unter welchen Umständen und mit welchen Marken Gottfried Schultz sein Geschäft begann und wie sich das Unternehmen mit der Marke Volkswagen weiterentwickelte.KurzfassungGottfried Schultz ist schon GW-Händler, als es das Wort noch gar nicht gibt, und vertritt mehrere Fabrikate, lange bevor der Mehrmarkenhandel erfunden wurde. 13 Jahre nach seinem Marktstart (1924) knüpft er erste Kontakte zu Volkswagen, 1939 erhält er, was man heute einen Servicevertrag nennen würde. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Engländer den Käfer vom Band rollen lassen und zunächst ihren eigenen Bedarf decken, sichert sich Schultz die erste für Deutschland bestimmte Charge. In den nächsten Jahrzehnten wächst Gottfried Schultz zum Großhändler, hilft nebenbei Porsche auf die Beine und vertritt heute abermals mehrere Marken. 100 jahre kfz-gewerbe100 jahre kfz-gewerbe

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