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Mercedes-Händlerchef Peter Ritter: "Wir haben geliefert"

05.11.2021 17:06 Uhr | Lesezeit: 8 min
Mercedes-Händlerchef Peter Ritter: "Wir haben geliefert"
Dr. Peter Ritter, Präsident des Verbands der Mercedes-Benz Vertreter und Geschäftsführer der Torpedo-Gruppe.
© Foto: VMB

Mit der Lieferkrise und der Einführung des echten Agenturmodells stehen Deutschlands Mercedes-Händler derzeit vor gleich zwei gewaltigen Herausforderungen. AUTOHAUS hat mit Händlerverbandspräsident Dr. Peter Ritter über beides gesprochen.

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Seit August ist klar: Ab Mai 2023 gilt für alle deutschen Mercedes-Händler das echte Agenturmodell. Mehr als ein halbes Jahr haben die Geheim-Verhandlungen dazu gedauert. Ganz vorne dabei: Dr. Peter Ritter. Im Interview mit AUTOHAUS blickt der Händlerverbandspräsident nun auf die Verhandlungen zurück und erläutert, wie das Agenturmodell den Vertrieb künftig umkrempeln wird. Daneben schildert der Geschäftsführer der Torpedo-Gruppe, wie sich die Lieferkrise auf den Handel auswirkt und was die Mercedes-Vertreter jetzt vom Hersteller erwarten.

AH:  Herr Dr. Ritter, wie beurteilen Sie die aktuelle Liefersituation bei Mercedes-Benz?

Dr. Peter Ritter: Schwierig. Wir verfolgen das mit großer Sorge. Jedes nicht ausgelieferte Fahrzeug bedeutet einen verärgerten Kunden. Wir haben da im Augenblick erhebliche Probleme. Wenn ein Fahrzeug im April Liefertermin hatte und jetzt immer noch nicht da ist, ist der Kunde einfach sauer. Unsere Aufgabe ist dann, ihn mobil zu halten. Dabei hilft uns der Hersteller. Aber es ist klar: Derjenige, der an der Front steht und dem Kunden ins Auge blickt ist die Erklärung schuldig. Das macht keine Freude. Zugleich entgeht dem Handel Umsatz und Ertrag. Das Problem betrifft übrigens nicht nur Pkw, sondern auch Transporter und Lkw. Unsere Produkte sind derzeit sehr attraktiv. Deswegen hatten wir Mercedes-Vertreter auch ein sehr ordentliches erstes Halbjahr. Daher gab es die Erwartung, dass auch das Gesamtjahr gut ausfällt. Und jetzt haben wir diese Ausfälle… Leider nagt die Situation mittlerweile auch am Image der Marke.

AH: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass 2022 ein besseres Jahr wird als 2021?

P. Ritter: Es gibt da zwei Sprichwörter. Das erste ist: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das zweite: Hoffnung ist nicht die richtige Kalkulationsgrundlage für einen Kaufmann… Ich bin überzeugt, dass Mercedes-Benz im eigenen Interesse daran arbeitet, mehr Fahrzeuge zu liefern. Wie sich die Lieferfähigkeit dann tatsächlich entwickelt, können wir im Handel nur sehr kurzfristig beantworten. Der Mangel bei Halbleitern, Aluminium und ähnlichem wird jedenfalls noch weit bis ins nächste Jahr hineingehen.

AH: Befürchten Sie, dass die Ausfälle manche Betriebe in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser bringen könnten?

P. Ritter: Die Bilanzen meiner Händlerkollegen kenne ich natürlich nicht. Aber mit Blick auf das recht gute erste Halbjahr glaube ich sagen zu können, dass die Mercedes-Betriebe 2021 nicht in wirtschaftliche Schieflage geraten. Aber es wird wohl erhebliche Ertragsausfälle geben. Das ist für ein Unternehmen, das aus Gewinnen seine betriebliche Investitionen finanzieren muss, kritisch. Sie wissen ja, dass die Mercedes-Benz Vertreter inmitten einer großen Investitionswelle stehen, unter anderem mit neuen Showrooms.

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Mercedes-Benz führt 2023 in Deutschland das echte Agenturmodell ein. Dem waren harte Verhandlungen vorausgegangen.
© Foto: Auto-Scholz GmbH & Co. KG

AH: Manche Hersteller greifen ihren Händlern mit Hilfsmaßnahmen unter die Arme. VW zahlt beispielsweise einen pauschalen Flat-Bonus aus. Wie sieht es bei Ihnen aus?

P. Ritter: Wir wären ein schlechter Verband, wenn wir mit unserem Hersteller nicht in Gesprächen wären, wie man diese schwierige Situation bewältigen kann. Leider kann ich dazu im Moment noch keine detaillierten Aussagen machen.

AH: Dann verzichten wir auf die Details – wie sieht die grobe Marschrichtung aus?

P. Ritter: Wir versuchen, die einzelnen Punkte im Margensystem so anzupassen, dass dem Händler keine Schäden entstehen, die er nicht zu vertreten hat. Wenn Sie beispielsweise eine Zielvorgabe nicht erreichen können, darf sich daraus zum bereits fehlenden Fahrzeugertrag nicht auch noch eine Strafe ergeben.

AH: Lassen Sie uns über die neuen Händlerverträge sprechen: Diese mussten ja relativ schnell unterschrieben werden. Zu schnell?

P. Ritter: Der Eindruck, dass schnell unterschrieben werden musste, herrscht nur, weil die Öffentlichkeit so spät informiert wurde. Der Handel war sehr früh im Bilde. Die Verhandlungen für die neuen Verträge begannen bereits im November 2020 – unter strikter Wahrung der Vertraulichkeit. Es war wie man so schön auf Französisch sagt: "entre nous". Das habe ich sehr begrüßt. Denn dadurch wurden die Gespräche nicht von öffentlichem Gejohle begleitet und unsere Verhandlungskommission konnte ohne Störfeuer von außen arbeiten. Die Gespräche mit den Mercedes-Vertretern waren auch so schwer genug. Die Mercedes-Partner waren ab Februar in den Prozess mit eingebunden.

AH: Sind Ihre Mitglieder mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden?

P. Ritter: Ich will es mal so sagen: Wenn Geschäftsmodelle umgestellt werden, ist das nie einfach. Unsere Mitglieder haben schließlich ihre ganzen Unternehmen und Zukunftspläne auf das bestehende Modell ausgerichtet. Dass angesichts der erheblichen Veränderungen deshalb nicht alle... (weiter unten geht's zu Seite zwei)

vor Freude gejuchzt haben ist wohl verständlich. Zumal es im unechten Agentenmodell durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten gegeben hätte. Aber Daimler hat nun einmal anders entschieden. Unser Ziel war, eine Netzkündigung wie bei Stellantis oder anderen Mercedes-Benz-Märkten zu verhindern und wie 2002 zu einer einvernehmlichen Änderung der Verträge zu kommen. Dass uns das gelungen ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Vertreter beider Seiten sich teilweise seit Jahrzehnten kennen. Dass die Verhandlungen trotz dieser Vertrauensbasis nicht einfach waren und von beiden Seiten auch mit klaren Worten geführt wurden, sollte keinen wundern. Das gehört nun mal dazu. Nach Abschluss der Verhandlungen haben wir das Ergebnis dann unseren Mitgliedern vorgestellt und uns ausgesprochen. Und nehmen Sie zur Kenntnis: Das waren informierte Mitglieder, die lediglich das Endergebnis noch nicht im Detail kannten. Nach einigen durchaus kritischen Fragen wurde dieses Verhandlungsergebnis einstimmig gebilligt. Nachdem alle Kollegen die Verträge ratifiziert haben, müssen wir jetzt abwarten, was auf uns zukommt. Im Augenblick hat ohnehin kein Händler den Nerv, sich damit im Detail zu beschäftigen. Jeder muss zusehen, das laufende und das kommende Geschäftsjahr halbwegs über die Bühne zu bekommen.

AH: Wie muss man sich dieses Abwarten vorstellen?

P. Ritter: Es gibt aktuell drei Testmärkte: Südafrika, Schweden und Österreich. Vor allem der letztere ist wegen der räumlichen Nähe und der Sprache mit uns nah verwandt. Da können bis zum Roll Out in Deutschland viele Prozesse geübt werden. Es gibt einiges, bei dem erst die Erfahrung zeigt, ob und wie es praktikabel ist. Da stehen wir mit den österreichischen Händlern im Austausch.

AH: Was berichten diese?

P. Ritter: Darüber zu sprechen ist noch zu früh. Das neue Modell läuft in Österreich erst seit August. Nur so viel: Etliches muss sich erst einspielen. Das wird auch bei uns so sein. Ein Beispiel ist die Versorgung mit Vorführwagen, die ja künftig dem Hersteller gehören. Wie werden die zugelassen? Wie sieht der Prozess bei Probefahrten aus? Im Augenblick ist es ja so: Wenn Sie in den Händlerbetrieb gehen, suchen Sie einen Vorführwagen aus, zeigen Ihren Führerschein und fahren los. Fertig. Wie das in Zukunft ist, wenn die Vorführwagen einem controllingverliebten Hersteller gehören, das muss sich zeigen. Auch die Versorgung mit Vorführwagen in der entsprechenden Anzahl ist so ein Punkt. Das ist in einem Markt wie Deutschland, der um ein Vielfaches größer ist als der in Österreich oder Schweden, eine ganz andere Herausforderung. Da haben wir große Vorbehalte. Hier ist der Hersteller gefordert und muss liefern. Der Handel hat das mit seiner Unterschrift bereits getan.

AH: Die Autos sollen in Zukunft zentral online verkauft werden ohne finanzielle Nachteile für den Vertreter. Ist das der richtige Weg?

P. Ritter: Es steht außer Frage, dass auf uns eine Änderung im Kundenverhalten zukommt. Aus diesem Grund haben wir ausgehandelt, dass der Vertreter für einen online abgeschlossenen Vertrag dieselbe Provision erhält wie für einen herkömmlich abgeschlossenen. Damit haben wir vorgesorgt, wenn der Online-Anteil in Zukunft steigt. Und noch etwas: Was wäre, wenn der Vertreter für den Offline-Kauf mehr Provision bekäme? Jeder Kunde, der in den Showroom kommt, würde dazu gedrängt seinen Vertrag dort abzuschließen. Wäre das kundengerichtet?

AH: Wenn die Kunden künftig alles online erledigen können, stellt sich aber so mancher Händler vermutlich die Frage: Für was braucht mich der Hersteller noch?

P. Ritter: Es ist richtig, sich diese Frage zu stellen. Ich bin aber überzeugt: Die Hersteller wissen, dass sie ohne den physischen Handel, die persönliche Betreuung und die Präsentation vor Ort nicht auskommen. Die Daimler AG hat uns Händlern nicht umsonst erhebliche Investitionen in unsere Standorte auferlegt. Die Kunden wollen das Auto anfassen, die Farbe sehen und dann eine Probefahrt machen. Irgendjemand muss das Auto außerdem auch mal erklären. All das geht nur über den physischen Handel. Zudem ist es fraglich, ob ein Auto online beim Hersteller bestellt und ausgeliefert werden kann, ohne einen Händler einzuschalten.

AH: Glauben Sie, dass die Standorte dazu so groß sein müssen wie bisher? Einige jüngst eröffnete Leuchtturmbetriebe haben ja gigantische Ausmaße…

P. Ritter: Ich denke nicht, dass in Zukunft noch große Glaspaläste neu gebaut werden. Aber die Größenordnung vieler aktueller Bauprojekte ist ja vorgegeben. Denn in den meisten Fällen werden lediglich bestehende Betriebe auf die neue Markenarchitektur MAR2020 umgerüstet. Wenn in einem Gebiet ein alter Ausstellungsraum komplett durch einen neuen ersetzt wird, ist dieser im Neufahrzeugverkaufsbereich schon in vielen Fällen kleiner als zuvor. Künftig werden zudem insgesamt weniger Betriebe benötigt. Das Neuwagenangebot wird sich auf die großen Betriebe konzentrieren.

AH: Werden also kleine Standorte auf breiter Front verschwinden?

P. Ritter: Nein. Diese Zweigbetriebe haben ihre Bedeutung nicht verloren. Sie werden nur einen anderen Zweck erfüllen. Bisher hatten Zweigbetriebe fast immer einen Showroom. Im Agentensystem werden diese dann nicht mehr als Ausstellungsräume dienen, sondern als Übergabe-Standorte. Das ist eine sinnvolle Regelung. Wenn Sie heute auf dem Land einen Betrieb haben, ist es Standard, dass da sieben Fahrzeuge im Ausstellungsraum stehen. Wenn ein Kunde vorbeikommt, sind das natürlich bei über 30 Modellen trotzdem immer die falschen. Außerdem brauchen wir diese Standorte als Servicebetriebe. Ich habe Zweigbetriebe auf dem Land, die sind vom Hauptbetrieb 80 Kilometer entfernt. Kein Kunde fährt so weit. Diese Betriebe sind daher für die Kundenbindung unerlässlich. Unabhängig davon hat der Hersteller laut GVO keinerlei Einfluss darauf, welche Betriebe wir im Service führen.

AH: Vielen Dank für das Gespräch!

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