Nullzinspolitik: Geld ohne Zinsen - Fluch oder Segen?

Geld als Anlage bringt (fast) keine Zinsen und Geld in Form von Kredit kostet auch (fast) keine Zinsen. Da stellen sich gleich mehrere Fragen: Verändert sich die Funktion des Geldes, wenn es weder Zinsen kostet noch Zinsen bringt? Gibt es noch (gute) Gründe, Geld zu "sparen"? Braucht man Geld nur noch als Verrechnungseinheit? Sind im betrieblichen Bereich bei zukünftigen Investitionsrechnungen keine Zinsen mehr anzusetzen? Was wird ohne Zinsen aus der Altersversorgung künftiger Generationen? Verliert Geld seinen Wert? Müssen wir vollständig umdenken? Oder wird vielleicht alles wieder, wie es war? Von allem, was wir jemals über Zinsen gelernt haben, stimmt heutzutage kaum noch etwas. Seit Menschengedenken ist Zins der Preis für Geld. Aus dem alten Griechenland und dem römischen Reich sind uns Zinssätze von 6 bis 10 Prozent überliefert, was nicht einmal außerhalb unserer bisherigen Vorstellungskraft liegt. Betrachten wir die jüngere Zeit: Aus 50 Jahren DM kennen wir einen (fast regelmäßigen) Wechsel zwischen Niedrig- und Hochzinsphasen in überschaubaren Bandbreiten. Was die EZB mit ihrer Nullzinspolitik bisher erreicht hat Was will die EZB mit der Nullzinspolitik erreichen? Was verursacht, was bewirkt sie? Erreichen will die EZB 2 Prozent Inflationsrate und mehr Kreditaufnahmen für Investitionen. Die bisherigen Auswirkungen: Außer einer Bilanzsummensteigerung der EZB auf - unvorstellbare - mehr als 3 Billionen Euro hat sie noch nichts Nennenswertes bewirkt. Merke: Die EZB kann zwar (noch so billiges) Geld zur Verfügung stellen, aber investieren müssen die Unternehmen selbst, und das tun sie nur, wenn sich die Investition lohnt. Kein Autohaus wird einen Kredit aufnehmen, nur weil die Zinsen günstig sind. Übrigens: Hans-Werner Sinn, der frühere Ifo-Chef, hat berechnet, dass die Null-Zins-Politik deutsche Anleger/Sparer jährlich rund 70 Mrd. Euro Zinsverluste kostet. Auch der Ankauf von monatlich 80 Mrd. Euro Unternehmensanleihen - dies ist die Menge an Liquidität, die von der EZB monatlich in den Markt gepumpt wird - hat bis heute nicht dazu geführt, dass die Konjunktur nennenswert angesprungen ist, obwohl sich der Gesamtbetrag mittlerweile auf über 1 Billion Euro aufsummiert hat. Die Inflationsrate steigt auch nicht. Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Die richtigen Schwierigkeiten beginnen aber erst, wenn die EZB diese Mittel wieder vom Markt nehmen will. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob, wie und vor allem durch was diese wundersame Geldvermehrung gedeckt ist. Nur durch bedrucktes Papier? Selbst schwergewichtige Kritik - auch seitens der Deutschen Bundesbank - kann die EZB nicht von dieser Politik abbringen. Das sind keine guten Aussichten. Insbesondere für Anleger, aber auch für Kreditnehmer, wenn deren finanzierende Banken dadurch in Schwierigkeiten kommen. Gesetzlich vorgeschriebene Zinssätze Trotz allem müssen wir festhalten, dass sich die deutsche Wirtschaft derzeit (noch) in einem guten Zustand befindet. Also: es kann doch gar nicht so schlimm sein. Ist es auch (noch) nicht, sofern es sich "nur" um eine vorübergehende Phase handelt. Genau dies aber sind die Sorgen vieler, die vor den negativen Auswirkungen warnen, falls die Nullzinspolitik, die bereits seit rund 4 Jahren andauert und - wie Herr Draghi postuliert - auch weiterhin fortgesetzt wird. Die Ankündigungen des EZB-Präsidenten, unverändert weiter zu machen, tragen eher zu Befürchtungen als zur Beruhigung bei. Zugegeben, auch in der Vergangenheit hatten wir es praktisch schon mit Nullzinsen für Sparer zu tun, wenn man die Inflationsrate gegen die Zinsen aufrechnet. Der Unterschied: Die gezahlten Zinsen haben das Kapital erhöht, so dass zukünftig die Zinsen auf das höhere Kapital gezahlt werden, was bei Nullzinsen nicht der Fall ist. Ohne Zinseffekt wird eine ausreichende Altersvorsorge für breite Bevölkerungsschichten unmöglich. Dabei gibt es in der Bundesrepublik Deutschland sogar gesetzlich vorgeschriebene Zinssätze. § 288 BGB sagt: "(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. (2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. (3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen". Der Basiszinssatz beträgt seit dem 01.07.2016 (minus) - 0,88 Prozent, d. h. dass der Verzugszinssatz für Verbraucher bei 4,12 und für Nichtverbraucher bei 8,12 Prozent liegt. Der Zinssatz für Steuerzinsen beträgt gem. § 238 AO 0,5 Prozent pro Monat, also 6,0 Prozent pro Jahr. Für Guthabenzinsen gibt es keine gesetzlichen Vorschriften. Wie lange sind unsere Banken noch sicher? Tatsache ist, dass Anleger aktuell für Guthaben (so gut wie) keine Zinsen bekommen und Kredite so billig sind wie nie zuvor. Das kann auf Dauer für die Banken nicht gut sein. Wer bei der EZB Guthaben unterhält, muss seit dem 5. Juni 2014 Strafzinsen zahlen, aktuell 0,4 Prozent. Wir reden also nicht mehr nur von Nullzinsen, sondern sogar von Negativzinsen. Da Banken, wenn sie ihre Liquidität (also Geld) bei der EZB "parken", eben diese Negativzinsen zahlen müssen, sind etliche Institute bereits dazu übergegangen, ihre Kunden genauso zu behandeln, und belasten Strafzinsen. Bisher überwiegend nur bei großen Guthaben - meist über 100.000 Euro -, so dass die sog. Kleinanleger (noch) verschont bleiben. Allerdings mehren sich die Banken, die Negativzinsen für Geldanlagen fordern, sowohl im Sparkassen- als auch im VRBanken-Bereich. Fatal wäre, wenn man auf diesem Weg Deutschland den Vorsorge-Spar-Gedanken austreiben würde. Generell ist zu beobachten, dass jedoch von den Banken - als Ersatz für Zinsen - die Kontoführungsgebühren erhöht werden und etliche Institute eifrig dabei sind, vielfältige andere Gebühren zu "erfinden". Der Präsident der BAFIN, Felix Hufeld: "Richtig ist, dass sich die niedrigen Zinsen wie ein schleichendes Gift in die Bankbilanzen hineinfressen." Es ist den Banken kaum noch möglich eine auskömmliche Zinsmarge zu erwirtschaften. Gerät da eine ganze Branche in Schwierigkeiten? Mit welchen Folgen für unsere Volkswirtschaft? Rufen wir uns in diesem Zusammenhang einen alten Grundsatz in Erinnerung, der aktuell noch wichtiger wird, als er immer schon war und besonders für Autohäuser gilt: Kontoverbindung zu mehreren verschiedenen Banken zu unterhalten wird jetzt zum "muss". Vorbild Islam? Wirtschaft ohne Zinsen? Wie Wirtschaft ohne Zinsen funktioniert, zeigt der Islam, denn dort sind Zinsen aus Glaubensgründen verboten. Anschauungsunterricht gibt es mittlerweile bei der KT Bank AG - eine Tochter der türkischen Kuveyt Türk Katilim Bankasi S.A. - die als erste islamische Bank in Deutschland mit einer Volllizenz der Bafin ausgestattet ist. Dort funktioniert beispielsweise eine Immobilienfinanzierung folgendermaßen: Hat ein Muslim eine Immobilie gefunden, tritt die Bank als Käufer auf und verkauft das Objekt anschließend - zu einem höheren Preis - an ihren Kunden. Zinsen zahlt er keine. Die werden über den An- und Verkaufspreis gefunden. Da wird Kreativität gelebt. Eine Schlussbemerkung: Es ist zu hoffen, dass Geld in Zukunft (wieder) einen angemessenen Preis haben wird. Wir können im Interesse aller nur wünschen, dass Anleger und Kreditnehmer dann immer noch wohlauf sind und es weiterhin in vollem Umfang funktionsfähige Banken gibt. Leider wird genau dies immer fragwürdiger, je länger der Negativ- bzw. Nullzins-Zustand mit seinen Folgen andauert.

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