Ausgabe 14-15/2013: Erfolgsmodell Komplexität

Mit Arno Kalmbach, Leiter Volkswagen Service Deutschland, sprachen wir über die vielen Erfolgsstationen und Baustellen in seinem Verantwortungsbereich, vom verstärkten Engagement im Karosserie- und Lackbereich über Themen wie Direkt Express und elektronische Dialogannahme bis hin zum Spezial-Serviceberater für Unfallschäden und zur zweiten Teileschiene.AH: Herr Kalmbach, wie ist das erste Halbjahr im Service gelaufen?A. Kalmbach: Trotz der Witterungsverhältnisse hatten wir speziell im Vergleich zum Vorjahr ein starkes erstes Quartal. Das Wetter zu Jahresbeginn kam uns dann im zweiten Quartal beispielsweise im Karosseriebereich und beim Reifenwechsel zugute. Insgesamt haben wir eine deutliche Umsatzsteigerung, und auch bei den verkauften Stunden können wir ein Plus verbuchen.Steigende LohnumsätzeAH: Welche Tendenzen zeichnen sich ab?A. Kalmbach: Durch die Technifizierung der Fahrzeuge geht die Entwicklung wieder in Richtung steigender Lohnumsätze. Das hatte sich in den vergangenen Jahren anders entwickelt. So werden beispielsweise Steuergeräte nicht mehr getauscht, sondern "geflasht". Als langfristiger Trend zeichnet sich ab, dass wir im Karosserie- und Lackbereich stärker werden. Das hängt mit unseren Maßnahmen zur Forcierung dieses Geschäfts zusammen. Rückgänge bei Verschleiß- und Wartungsreparaturen werden dadurch mehr als kompensiert. Wir wollen und werden weiter wachsen.Volkswagen Service wächst weiterAH: Der Servicemarkt ist in Summe also nicht rückläufig?A. Kalmbach: Der Gesamtmarkt ist im Durchschnitt der vergangenen Jahre stagniert. Festzustellen ist in der Tat ein rückläufiges Reparaturvolumen. Zum einen aufgrund steigender Fahrzeugqualität, zum anderen aufgrund deutlich sinkender Jahresfahrleistungen - bei Letzterem gehen wir von einem 30-prozentigen Rückgang in den letzten sechs Jahren aus. Die Branche rechnet daher beispielsweise beim Reifengeschäft mit einem Ersatzbedarf, der deutlich zu hoch ist. Volkswagen konnte in den letzten fünf Jahren vier bis sechs Prozent pro Jahr wachsen. Dazu trägt neben den genannten Maßnahmen die Spezialisierung in der Werkstatt bei. Die Technik wird für die Mitbewerber immer schwerer beherrschbar. Das ist auch eine Herausforderung für uns. Wir brauchen immer mehr Spezialisten in unseren Werkstätten.Freie WerkstättenAH: Sind demnach die freien Werkstätten die Verlierer?A. Kalmbach: So würde ich das nicht sagen. Wir sind bei der Datenvergabe sehr offen. Es gab nur ein technisches Zugangsproblem zu Beginn des Jahres bei unserer neuen Diagnosesoftware. Für uns und unsere Werkstätten sind die freien Werkstätten Kunden bzw. mit unserem NORA-Konzept ein wichtiger Absatzkanal. Ein Viertel des Teilegeschäftes wird mit den freien Werkstätten gemacht. Wir haben und hatten immer eine andere Form der Zusammenarbeit. Es gibt vielfältige Kooperationen, zum Beispiel ergänzend zur Teilelieferung die Bereitstellung von technischer Literatur. Das hilft auch der freien Werkstatt im Zuge der Technifizierung der Fahrzeuge. Die freien Karosseriebetriebe werden sich in Zukunft allerdings aufgrund der Technifizierung schwerer tun.AH: Haben Sie die Elektronik im Griff?A. Kalmbach: Wir haben die Elektronik gegenüber unseren Kunden im Griff. Um das zu gewährleisten, unterstützen wir unsere Partner hinter den Kulissen sehr intensiv, beispielsweise bei technischen Anfragen oder auch bei der Qualifizierung der Mitarbeiter.AH: Sorgt die Elektronik für Kundenunzufriedenheit?A. Kalmbach: Eine solche Tendenz können wir nicht registrieren. Die größte Unzufriedenheit stellen wir bei Gewährleistungskunden fest. Also bei denjenigen, die nichts bezahlen. Wer mit einem neuen Auto in die Werkstatt kommt, ist nicht begeistert. Hier benötigen wir deshalb eine richtige Auftragserklärung.Direkt Express ausbauenAH: Aufgrund der Engpässe bei den Kapazitäten wurde das Servicevertriebsformat Direkt Express quasi als Werkstattsatellit installiert. Wie ist der aktuelle Stand?A. Kalmbach: Ein Direkt Express Betrieb soll dann entstehen, wenn es am bestehenden Standort keine Möglichkeit zur Erweiterung mehr gibt und sich auch ein Mehrschicht-Modell in der Werkstatt nicht umsetzen lässt. Bisher wurde der Direkt Express an 45 Standorten installiert. Der Großteil davon wurde neu gebaut. Bis Ende nächsten Jahres rechne ich mit weiteren Werkstattbetrieben, die sich im Schwerpunkt auf Fahrzeuge des Segments 3 konzentrieren. Wir betreiben dieses Thema allerdings nicht mit Hochdruck. Unser Vertrag lässt jeweils einen Direkt Express zu. Dort sind auch die Standards definiert.Zwei-Schicht-Modell klappt oft nichtAH: Warum wird ein Zwei-Schichten-Modell nicht häufiger umgesetzt?A. Kalmbach: Dieses Thema lässt sich nicht pauschal beantworten. Während solche Systeme im Nutzfahrzeugbereich durchaus gut funktionieren, scheitern sie oft im Privatkundensektor. In der Regel sind Übergabeprobleme die Ursache, die zu Lasten der Reparaturqualität gehen.Elektronische DialogannahmeAH: Wie bewerten Sie die elektronische Dialogannahme?A. Kalmbach: Wir konnten hier bisher noch keine Empfehlung geben. Derzeit können wir die Daten bei der Achsvermessung nicht nachvollziehen. Das Thema Annahme-Roboter ist als ein Zukunftsthema für die Markenwerkstatt allerdings relevant. Der Handel kann damit seine Kompetenz zeigen. Der Serviceberater kann mehr Zeit gewinnen für das Gespräch mit dem Kunden. Wir müssen dann aber über das Geschäftsmodell sprechen und über die Verknüpfung mit unseren Systemen sowie die Integration in das DMS.Servicekomplexität nimmt zuAH: Nun hört man immer Klagen, dass das Geschäftsmodell Service ständig komplexer wird, auch durch die Anforderungen des Herstellers. Wie soll man damit umgehen?A. Kalmbach: Eine der Herausforderungen der Zukunft ist sicher, die Beteiligten im Geschäftsmodell immer auf dem aktuellen Stand zu halten. Wir haben allerdings unsere Systeme in den vergangenen fünf Jahren erheblich optimiert und den Aufwand reduziert. Das Geschäftsmodell ist aber unabhängig davon komplexer geworden. Denken Sie nur an die Rechnungsadressaten pro Auftrag im Vergleich zu vor zehn Jahren. Ich bin sicher, dies hat sich im Faktor drei erhöht. Wir hatten damals eine Quote bei der Anschlussgarantie von kleiner fünf Prozent. Heute sind wir bei 60 Prozent im Privatkundenbereich! Es gibt eventuell weitere Auftragsbestandteile, die mit der Versicherung abgewickelt werden, die Gewährleistung und Kulanz betreffen. Das sind dann die unterschiedlichen Rechnungsadressaten. Diese Komplexität ist allerdings unser Erfolgsmodell im Volkswagen Konzern, weil wir alles anbieten können und weil es der Kunde annimmt. Leider stellen wir aber auch fest, dass nicht alle Führungskräfte und Serviceberater im Betrieb mit der Komplexität des Geschäftsmodells Service mitgewachsen sind. Wir bilden deshalb z. B. spezielle Serviceberater für den Unfallschaden-Bereich aus.ServiceentlohnungAH: Stimmt dann die Bezahlung?A. Kalmbach: Man muss in Zukunft aufgrund des demographischen Wandels hier sicher etwas tun. Fakt ist aber auch, dass das obere Drittel unserer erfolgreichen Betriebe ordentlich bezahlt. Diejenigen, die ihre Serviceberater am besten bezahlen, sind im Ertrag nicht die schlechtesten.GW-Kunden und ZubehörAH: Wo liegen die Aftersales-Geschäftsfelder der Zukunft?A. Kalmbach: Wir sehen unsere Gebrauchtwagenkunden als ein Zukunftspotenzial. Hier geht es um spezielle Pakete für Verschleiß und Reparatur. Bei der Versicherung geht es um die Abwehr von Risiken und die Schadensteuerung. Eine weitere Baustelle ist das Zubehörgeschäft im Autohaus. Hier ist noch viel möglich. Zudem müssen wir es künftig noch besser verstehen, das Auto über den gesamten Lebenszyklus an das Autohaus zu binden. Es gibt beispielsweise seit zwei Jahren ein von Volkswagen getragenes Kundenbindungsprogramm über vier Jahre als Komplettpaket für Neuwagen. Dazu gehören unter anderem ein Willkommensgeschenk, ein Fahrzeugcheck, ein Brief zur HU-Erinnerung und das Angebot einer Anschlussgarantie.Economy PaketeAH: Was bringt Ihre zweite Teileschiene?A. Kalmbach: Es geht nur um Verschleißteile für Fahrzeuge älter als fünf Jahre. Die anfängliche Skepsis im Handel weicht mehr und mehr der Erkenntnis, dass Economy langfristig richtig ist. Wichtig ist uns dabei, dem Kunden die Wahl bieten zu können. Wir stellen heute fest, dass sich viele Kunden trotzdem für ein Original Teil entscheiden. Es gibt allerdings Kunden und Fahrzeuge, für die ein Economy-Angebot eher passt. Die Edelstahlauspuffanlage hält mindestens acht Jahre. Wenn das Auto bereits zwölf Jahre alt ist, stellt sich einfach die Frage des Nutzens. Das können Sie auch auf eine Hochleistungsbatterie anwenden.AH: Herr Kalmbach, herzlichen Dank für das Gespräch.

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