Ausgabe 05/2012: Ein Gespenst geht um in Europa

Ein Gespenst geht um in EuropaGVO E Über die Rechtslage und was die Hersteller aktuell daraus machen. Von Rechtsanwalt Uwe Brossette*Schaut man sich aktuell um in der Branche, könnte man den Eindruck bekommen, dass schon wieder ein Gespenst umgeht in Europa – diesmal aber das Gespenst der GVO. Hektische Betriebsamkeit allerorten, Kündigungen ganzer Vertriebsnetze, einvernehmlich erzwungene Vertragsanpassungen. Da stellt sich die Frage: Warum ist das eigentlich so?Vertragsanpassungen?Denn Fakt ist: Anders als bei der GVO-Reform im Jahr 2002 besteht nach der jetzigen Neuregelung überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit, die bestehenden Verträge anzupassen. Sämtliche Verträge, die der Alt-GVO entsprechen, sind auch nach der neuen Rechtslage ab Juni 2013 freigestellt und können bedenkenlos fortgesetzt werden. Jedenfalls gilt dies einschränkungslos für diejenigen Hersteller, die die neue Marktanteilsschwelle von 30 Prozent nicht überschreiten. Nur für diejenigen Hersteller, die in Deutschland oder anderen Ländern der EU mit ihren Konzernmarken einen höheren Marktanteil haben, ist die GVO aber nicht mehr anwendbar. Wenn aber die neue GVO eine Überarbeitung der Händlerverträge nicht bedingt, muss es denjenigen Herrschaften, die derzeit ganze Netze aufmischen, offenbar um etwas ganz anderes gehen. Bei näherer Betrachtung der Unterschiede zwischen Alt- und Neu-GVO lässt sich auch schnell erkennen, in welche Richtung die Verträge angepasst werden. Alles das, was bislang zur Stärkung der Unabhängigkeit der Händler geführt hat, hat die Kommission ja bekanntlich gestrichen. Doch bringt es die Hersteller wirklich weiter, wenn sie ihren Händlern die bislang eingeräumten vertraglichen Rechte nehmen? Zwischenzeitlich sollte sich doch herumgesprochen haben, dass nur ein finanziell leistungsfähiges Händlernetz auch in der Lage ist, den Hersteller wirksam beim Absatz seiner Fahrzeuge zu unterstützen.Es geht um Macht und GeldWorum geht es also wirklich? Ich meine, es geht nur um Macht und um Geld. Ohne eine Änderung der bisherigen Verträge bliebe es bei dem, was seinerzeit vereinbart wurde. Dann bleibt festgeschrieben, dass Händlerverträge nur mit zweijähriger Frist gekündigt werden können, dass ein Händler seinen Händlervertrag auf einen Händlerkollegen übertragen kann, dass nur 30 Prozent der gehandelten Fahrzeuge von einer Marke stammen müssen. Vergeblich sucht man im „Code of Conduct“ (siehe Beitrag auf Seite 20) nach einer Verpflichtung der Hersteller, die Investitionen der Händler zu achten und aufgebaute Firmenwerte nicht anzutasten. Die Verlockungen von Macht und Einflussnahme sind einfach zu groß. In den jetzt vorgelegten neuen Händlerverträgen ist die Übertragung des Händlervertrages wieder zustimmungspflichtig. Will ein Händler dann seinen Betrieb, meist also sein Lebenswerk, einem Interessenten verkaufen, muss er auf die gnädige Zustimmung des Herstellers hoffen. Bekommt er die nicht, kann er seinen Betrieb nur ohne Händlervertrag und zu einem Bruchteil des sonst realistischen Kaufpreises veräußern. Zeigt sich der Hersteller vielleicht doch gnädig, indem er dem Händler einen Interessenten nach seinem Gusto benennt, wird sich dies bestimmt auch nicht kaufpreiserhöhend auswirken, aber den Einfluss des Herstellers auf jeden Fall sichern. Genau um diesen Punkt geht es bei den jetzt anstehenden Vertragsneuauflagen, und nicht um die GVO.Das Gleiche gilt im Übrigen in finanzieller Hinsicht. Viele Vertragsänderungen gehen Hand in Hand mit Margenkürzungen, was sich ebenso wenig auf die GVO zurückführen lässt wie der Ausbau an Hersteller-Einfluss. Dem Händler mit Hinweis auf die neue GVO ins Portemonnaie zu greifen, ist unseriös. Und auch der vergebliche Versuch, Konditionen gesondert und ausdrücklich neben dem Händlervertrag zu vereinbaren, bringt nichts. Denn zivilrechtlich stellt die Marge die vom Hersteller geschuldete Gegenleistung für die Vertriebsanstrengungen des Händlers dar. Beides sind zwei Seiten einer Medaille, egal ob in einem Vertrag geregelt oder in zweien. Recht auf Serviceverträge bleibtDie neue GVO muss aber noch für weitere Auswüchse herhalten. Kolportiert werden Äußerungen von Herstellervertretern, dass es ab Juni 2013 keine Möglichkeit mehr gebe, dass sich ein Betrieb auf den Service beschränkt. Das ist mit Verlaub blanker Unsinn. Im Service bleibt alles beim Wohlbekannten. Ein Hersteller hat jedem Betrieb, der die qualitativen Standards erfüllt, Zutritt zum Service-Netz zu gewähren, um nicht in Konflikt mit dem Kartellrecht zu geraten. Die Kommission schreibt hierzu in ihren Leitlinien, dass die Anwendung quantitativer Kriterien im Servicebereich nicht freistellungsfähig ist. Wenn also qualifizierten Betrieben der Servicevertrag verweigert wird, weil diese nicht gleichzeitig auch Neuwagen verkaufen wollen, verhält sich der Hersteller kartellrechtswidrig und setzt sich der Gefahr aus, mit einem empfindlichen Bußgeld belegt zu werden.Aber auch bei der Händlerauswahl, also bei der quantitativen Selektion, scheint es ein Umdenken zu geben. Auch insoweit muss die Auswahl „anhand festgelegter Kriterien“ erfolgen, möchte ein Hersteller den Vorteil der GVO für sich in Anspruch nehmen. Wie das hierzulande gehandhabt wird, ist bekannt: Möchte ein Hersteller einem Bewerber keinen Vertrag vergeben, erfolgt meist eine lapidare Ablehnung mit Hinweis auf die Netzstrategie. Mehr TransparenzSo erging es auch einem französischen Händler, der von Jaguar Landrover France eine Ablehnung erhielt, da sein Standort nicht der Idealnetzplanung entspreche. Dies ließ sich der Händler nicht gefallen und klagte. Das höchste Gericht in Frankreich hat nun aber Zweifel, ob dies der GVO-Maßgabe „Auswahl anhand festgelegter Merkmale“ entspricht, und hat diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Die Richter müssen nun entscheiden, ob auch die quantitative Selektion nach definierten, objektiven Kriterien einschließlich der geschuldeten Dokumentation und Transparenz erfolgen muss, wofür vieles spricht. Eine Entscheidung wird noch für dieses Jahr erwartet.Wirtschaftliche Vernunft?Was aber vor allem Not tut, ist, den Verantwortlichen in Brüssel fortwährend vor Augen zu führen, dass ihr Glaube an die wirtschaftliche Vernunft in der Hersteller-Händler-Beziehung schon im ersten Anlauf enttäuscht wurde. Zu unterschiedlich sind einfach die Größenverhältnisse, zu markenspezifisch die Investitionen, zu zersplittert die verschiedenen zivilrechtlichen Ordnungen. Es war ein großer Fehler, die Händlerschutzbestimmungen aus der Kfz-GVO aufzugeben und nicht gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass dies auf der zivilrechtlichen Seite aufgefangen wird. Auch wenn sich in kartellrechtlicher Sicht nicht viel verändert hat und kein Anpassungsbedarf besteht, sind doch schon 14 Händlernetze von Vertragsänderungen betroffen. Dass diese Veränderungen nicht im Interesse des Verbrauchers, sondern im Interesse der Hersteller erfolgen, liegt auf der Hand. Dabei vermögen nur aktive und unabhängige Händler, den Binnenmarkt zum Vorteil des Verbrauchers nutzbar zu machen. Das war jedenfalls noch die Überzeugung der Kommission bei Verabschiedung der Vorgänger-GVO im Jahr 2002. Auch wenn die Kommission dies heute anders sieht, an der Richtigkeit dieser Prämisse hat sich bis heute nichts geändert. z

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