Ausgabe 16/2009: Der Mann für die Krise

Der Mann für die KriseVDA E Präsident Matthias Wissmann über die Lage der deutschen Automobilindustrie, Opel, Kreditklemme, die GVO 2010 sowie die Konzeption der IAA 2009. von Prof. Hannes BrachatBis zum 1. Juni 2007 war das Leben von Matthias Wissmann das des Berufspolitikers, vom langjährigen Vorsitz der Jungen Union über den Bundestag bis zum Bundesministeramt in verschiedenen Aufgaben, vor allem als Verkehrsminister. Dann übernahm er das Amt des VDA-Präsidenten. Hier die Politik – dort die Wirtschaft. Ein Rückblick, eine Bestandsaufnahme und eine Vorausschau.AH: Herr Wissmann, worin liegen für Ihren neuen Aufgabenbereich die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede zu Ihrem politischen Wirken?M. Wissmann: Ich war über Jahrzehnte in meinem gesamten Wirken immer ein Grenzgänger. Außer in den Ministerjahren war ich mit etwa 25 Prozent meiner Zeit in Stuttgart als Wirtschaftsanwalt tätig. Ich habe immer etwas darunter gelitten, dass es zu wenige Leute in der Wirtschaft gibt, die etwas von Politik verstehen, und zu wenig Leute in der Politik, die sich für Wirtschaft interessieren. Die Faszination der neuen Aufgabe ist, dass ich jetzt genau an dieser Grenze für wechselseitiges Verständnis werbe. In der Politik für die Sichtweise der Automobilwirtschaft und in der Wirtschaft für das, was sich in der Politik gestaltet. Und so sehe ich meine neue Aufgabe als Fortsetzung meiner Lebenslinie. Die deutsche AutomobilindustrieAH: Wie charakterisieren Sie als VDA-Präsident die gegenwärtige Situation der Automobilindustrie?M. Wissmann: Die deutsche Automobilindustrie ist wie alle sehr schwer von der Automobilkrise betroffen. Aber erfreulicherweise, was man an den Marktanteilen in den USA oder in China selbst in der Krise sieht, ist die deutsche Automobilindustrie trotz aller Schwierigkeiten dabei, Marktanteile zu gewinnen. Produktseitig steht die deutsche Industrie besser als viele ihrer Wettbewerber da. Das ist die gute Seite.OpelAH: Als VDA-Präsident vertreten Sie die Interessen aller Automobilhersteller und Zulieferer. Opel stand am Abgrund und wird möglicherweise gerettet. Volkswagen würde sich freuen, wenn Opel die Tore schließen müsste. Wie sehen Sie das als Marktwirtschaftler, wie als VDA-Präsident?M. Wissmann: Wir müssen die betroffene Wertschöpfungskette in Gänze vor uns sehen. Von einer funktionierenden Wertschöpfungskette beispielsweise der Zulieferer zu den Herstellern profitieren alle, so dass ich auch immer für die gesamte Automobilindustrie sage, der Fall Opel ist zweifelsohne ein kritischer Grenzfall und man wird erst abschließend beurteilen können, ob sich diese gesamte Treuhandbrücke als wirtschaftlich und strategisch richtig herausgestellt hat. Es ist so, dass an Opel viele hundert Zulieferer hängen. Und deren Interessen habe ich im VDA mit zu vertreten.AH: Wir haben in Deutschland 1.000 Opel-Händler. Dahinter stehen 36.000 Mitarbeiter. Also mehr als der Hersteller an Mitarbeitern hat. Über diese redet in der Öffentlichkeit niemand.M. Wissmann: Den Handel muss man in der Tat mit ins Blickfeld nehmen. Wenn ich von der Automobilwirtschaft rede, sind die Automobilhändler selbstredend mit einbezogen. Sie leben nicht wie die Hersteller oder Zulieferer vom Weltmarkt, sondern von der Situation am Inlandsmarkt. Und hier treffen wir auf eine seit langen Jahren schwierige Situation. Die Automobilhändler gehören also unbedingt in die Gesamtbetrachtung einbezogen.BankenkritikAH: Sie haben mit erstaunlicher Öffentlichkeitswirkung massive Bankenkritik geübt. Woraus resultiert Ihr klares Wort?M. Wissmann: Ich habe da keine Pauschalkritik geäußert. Ich bin schon immer gegen Pauschalurteile gewesen. Was mir Sorgen macht, ist, dass die Zahl der Einzelfälle in erschreckendem Umfang zugenommen hat, in denen Banken und Kreditinstitute den Automobilsektor generell runtergraden und sich den Einzelfall manchmal gar nicht mehr genau genug ansehen. Was wir erwarten, ist angesichts der Hilfe der öffentlichen Hand von über 400 Milliarden Euro im Rahmen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, dass Banken und Kreditinstitute diese Hilfen so gut sie können an die Realwirtschaft weitergeben. Und dass Zinssenkungen und Liquiditätsverstärkungen der Zentralbank sich ebenfalls am Markt ausdrücken. Ich verstehe sehr wohl, dass die Banken ihr Eigenkapital stärken müssen. Aber ich erwarte auch, dass gesunde Unternehmen aus der Automobilwirtschaft, die nur durch die Finanzkrise getroffen sind, nicht in eine Liquiditätsklemme geraten, die ihnen den Garaus macht. Banken und Kreditinstitute müssen schließlich auch eine langfristige Sicht der Dinge haben und diese heißt, dass die deutsche Automobilindustrie, Hersteller und Zulieferer, ganz überwiegend nach der Krise stärker sein werden als der Wettbewerb. GVO 2010AH: Was ist der aktuelle Stand der GVO 2010 aus der Sicht des VDA?M. Wissmann: Der jetzt vorliegende Vorschlag kam sicher in Anbetracht der automobilen Krisensituation zustande. Er schafft für den Vertrieb für die nächsten drei Jahre klare Rahmenbedingungen. Zur Servicepolitik werden wir uns bis zum 25. September in Brüssel noch äußern.IAA 2009AH: Wie sieht vom VDA als Veranstalter die Konzeption zur IAA 2009 aus?M. Wissmann: Das Motto der IAA lautet „Erleben, was bewegt!“ Damit wollen wir deutlich machen, dass man die neuen, spannenden, umweltfreundlichen und effizienten Autos heute schon kaufen kann. Ich glaube, die IAA wird eine Parade beeindruckendster Innovationen der Automobilindustrie. Sie wird spannender als je zuvor, weil wir auch in der Krise Licht am Ende des Tunnels sehen werden.AH: Erwarten Sie, dass die Hersteller aufgrund der Krise in ihrem Auftritt nicht zurückhaltender auf der IAA auftreten werden?M. Wissmann: Nein. Es werden alle großen Hersteller vertreten sein. Wir werden mit der neuen Hallenkonzeption der Frankfurter Messe zum Teil neue Standorte haben. BMW geht in die neue Halle. Andere sind an ihren traditionellen Standorten geblieben. Wir werden auch mit wenigen Ausnahmen die bedeutendsten Hersteller der Welt vertreten haben. Auch hinsichtlich der Zulieferer. Allerdings nicht die gleiche Zahl wie vor zwei Jahren. Das ist der Krise geschuldet. Wer aber etwas über die Automobilindustrie wissen möchte, der muss zur IAA! zKurzfassungKernaussagen von Matthias Wissmann:1. Trotz der Krise gewinne die deutsche Automobilindustrie Marktanteile und stehe besser da als viele Wettbewerber.2. Opel sei ein kritischer Fall. Es werde erst abschließend zu beurteilen sein, ob die Treuhandlösung richtig war.3. Der Handel sei fester Bestandteil der Gesamtbetrachtung des VDA.4. Banken sollen die Hilfen der Öffentlichen Hand so gut sie können an die Realwirtschaft weitergeben.4. Die IAA werde spannender als je zuvor.

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