Ausgabe 21/2013: Der Handel von morgen

Aufbau und Struktur der Vertriebsorganisation des gesamten Distributionssystems folgten in den vergangenen Jahrzehnten in der Automobilbranche einem klassischen Modell. Der Hersteller führte die gesamte, hierarchisch aufgebaute Organisationskette von Importeuren und Händlern bis hin zum Kunden selbst. Er realisierte somit auch die Marketingführerschaft, das heißt sowohl in Ausrichtung wie auch in der Verantwortung für das Gesamtsystem wurde der Absatzkanal vom Hersteller geprägt. Koordination, aber auch Konflikte im Absatzkanal sind daher dort klassischerweise besonders relevante Themen für Forschung und Praxis.Eine solch klare Struktur des gesamten Absatzsystems ist so allerdings nur charakteristisch für die Automobilbranche. Andere Branchen weisen sehr viel größere Varianzen auf - man denke hier nur beispielsweise an die durch den Einzelhandel bestimmte Möbelbranche.System steht in FrageAllerdings steht auch das bisher recht friedliche Leben im "Naturschutzpark" dieses Automobilen Distributionssystems grundsätzlich infrage. In jüngster Zeit kann eine ausgeprägte Dynamik im Absatzkanal beobachtet werden. Händler-Gruppenbildung, neue Händler-Auftritte, geänderte Standards in der Kundenansprache als Hersteller-Vorgaben und eine neue Bedeutung des Aftersales-Bereichs sind hier einige der Stichworte. Eine übergroße Zahl der Händlerbetriebe, massiver Verdrängungswettbewerb und Rabattkämpfe bei niedrigen Erträgen kennzeichnen das aktuelle Bild vor allem im deutschen Markt. Neue Entwicklungen des Vertriebs sind nun auch verstärkt in der Automobilbranche, trotz der mehr oder weniger exklusiv fixierten Hersteller-Händlerverträge, zu beobachten:Mehrmarkenhändler erhöhen die Marktanteile, die Gebrauchtwagen-Internetplattformen bieten in großem Ausmaß Jungwagen und zum Teil nun auch Neuwagen an (meist allerdings im Händler-Auftrag), Neuwagen-Plattformen verstärken ihrerseits die Aktivitäten, in einem exklusiven Agentur-Vertrieb werden spezielle Automodelle vertrieben.Einzelne Marken liefern Testwagen direkt vor die Haustür, und auf der IAA 2013 wurde ein unmittelbarer Internet-Verkauf für eine ganz neue elektrische Modellreihe aus dem Bayerischen angekündigt.Der Vertrieb wird dynamischerFazit: Auch in der Automobilbranche entwickelt sich also ein Multi-Channel-Vertrieb und macht diesen Markt um einiges dynamischer und spannender. Auch im Bereich des Marketings, in der Autobranche weithin als spezieller Bereich aufgefasst, gibt es in den letzten Jahren sehr interessante, teilweise massive Veränderungen. Hier seien nur die Stichworte "CRM - Customer Relationship Management", Customer Lifetime Cycle, Kundenbindungssysteme, integrierte Kundenansprache und One-2-One-Kommunikation genannt. Vom mechanistischen Einsatz des Marketing-Instrumentariums geht die Entwicklung hin zum zweiseitigen Dialog mit den Kunden - zu einem Dialogmarketing, das durch den Einsatz "neuer Medien" - dies dazu in Echtzeit - geprägt ist.Es sind die sehr unterschiedlichen Kommunikationskanäle, die von Hersteller und Handel in einer Interaktion, dem Kernelement des Dialogmarketing, mit gegenwärtigen und prospektiven Kunden zu bespielen sind: Direkt-Briefe, Internet-Auftritte in allen Formaten, Konfigurationsangebote, Gebrauchtwagen- und Neuwagenplattformen, Mobilitätsofferten, Smartphone-Apps, Facebook-Auftritte, Markenclubs, Social-Media-Aktivitäten, Events, Road-Shows, Direkt-Gespräche per Telefon oder vor Ort - und alle vor dem Hintergrund einer klaren Markengestaltung - das sind Aktivitäten von Hersteller und z.T. vom Handel vor Ort.Mehr Dialog gefordertBetrachtet man nun diese beiden Entwicklungen, eben in Vertrieb und Marketing, im Zusammenhang, so lässt sich für die Zukunft eine äußerst spannende Neuausrichtung prognostizieren: Vertriebspolitik bedeutet nicht mehr nur den Absatzkanal über die Händler und ihre Aktivitäten zum Kunden zu gestalten, sondern der Hersteller muss das Gesamtsystem mit der Ansprache des Kunden über alle Kundenkontaktpunkte konzipieren, gestalten, aktivieren und im Wettbewerb optimal ausrichten. An erster Stelle steht hier eine entsprechende Ausformung der Internet-Aktivitäten.Die klassische Auffassung, dass zum Automobil-Kauf immer ein direkter Kontakt mit einem Händler-Betrieb, ein Gespräch mit einem Verkäufer, eine Probefahrt und eine Auslieferung durch die Werkstatt gehört, ist zum Teil veraltet. Auch die vielerorts formulierte These, das Internet sei im automobilen Kaufentscheidungsprozess nur ein Informationsmedium, ist nicht länger aufrechtzuerhalten.Die "Customer Journey" verfolgenVielmehr müssen der vertriebsbestimmte Absatzkanal und der zeitgemäße Kommunikationskanal in einer Neuausrichtung zusammengeführt werden. Dies sollte sowohl im ganzheitlichen, marktbezogenen Vorgehen wie auch in den Organisationen und in den Aufgabenstellungen der verschiedenen beteiligten Wertschöpfungs-Agenten und -akteure geschehen. Es gilt, die Kundenreise im Kaufentscheidungs- und Markenprozess - die "Customer Journey" - zu verfolgen und aktiv mit zu gestalten.Und das bedeutet in der Zusammenführung, eine dialogorientierte Vertriebsarbeit beziehungsweise eine distributionsorientierte Kommunikations-Politik, die in Einklang gebracht werden müssen. Dies ist an erster Stelle eine Herausforderung für die gut ausgebildeten und handelnden Manager der Automobilbranche. Aus vertrieblichem Multi-Channel-Management und mehrkanaligem, kommunikativem Dialogmarketing entsteht eine inhaltlich neu bestimmte Disziplin: Automotive Relationship Management. Es wird herausfordernd und zugleich spannend, diese Disziplin in internationaler Praxis und Forschung zu gestalten, das AIM wird mit seiner Expertise dieses Thema in Forschung, Management-Empfehlungen und entsprechender Ausbildung adressieren.-> *Prof. Dr. H. Dieter Dahlhoff ist Honorarprofessor für Automobilmanagement des Automotive Institute for Management (AIM) an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, WiesbadenKurzfassungProf. Dieter Dahlhoff teilt in seinem Beitrag seine Auffassung zu den Themen Vertrieb sowie Dialogmarketing in der Automobilbranche. Beide Themenfelder sind in seinem Augen sowohl in der Praxis wie in der wissenschaftlichen Forschung eigenständige, wichtige Gebiete des Automobilmanagements. Vertrieb und Marketing, in der Marketing-Theorie schon immer verknüpft, wachsen auch in der Automobilbranche stärker zusammen, durchdringen sich wechselseitig und bilden eben in der Zusammenführung von Multi-Channel-Management und mehrkanaligem Dialogmarketing eine inhaltlich neu bestimmte Disziplin: das Automotive Relationship Management.

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