Ausgabe 12/2009: Dauer im Wechsel

100 Jahre Kfz-GewerbeDauer im WechselMercedes-Benz E 100 Jahre Handel am Beispiel der Fahrzeug-Werke LuegVoN Stefan Prott und Dirk GlücksbergDie Fahrzeuge-Werke Lueg AG ist seit fast einem Jahrhundert eng mit dem Stern verbunden und gilt heute als größter Mercedes-Benz-Vertreter Europas. Ebenso eng sind die Verbindungen zum ZDK: Von der Gründung bis in die Gegenwart engagierten sich Lueg-Führungskräfte immer wieder auf verschiedensten Ebenen des Verbandes.Anfang des 20. Jahrhunderts, mitten im Ruhrgebiet: Schon seit Jahrzehnten hatte sich die Firma Lueg mit dem Bau von Fahrzeugen beschäftigt. Genauer gesagt: mit Kutschen, die von Bochum bis nach Südamerika exportiert wurden und vom Firmengründer Friedrich Lueg für viel zuverlässiger gehalten wurden als die neumodischen Personenwagen mit Verbrennungsmotor. Aber sein Sohn Friedrich Oskar Lueg erkannte die Zeichen der Zeit und setzte auf Automobile – zunächst von Oldsmobile, Adler oder Mercedes, die im Bochumer Werk mit eigenen Karosserien versehen wurden.Schon bei der ersten Automobilausstellung 1908 in Berlin war Lueg als Aussteller vertreten. Als am 17. November 1909 der „Deutsche Automobilhändler-Verband“ im Westminster-Hotel in Köln gegründet wurde, war Friedrich Oskar Lueg als Aktiver der ersten Stunde maßgeblich beteiligt. Der Bochumer wurde in den ersten Vorstand des neuen Verbandes gewählt. Vom Hersteller zum Händler Lueg entwickelte sich fortan immer stärker vom Hersteller zum Händler. 1914 dann der historische Wendepunkt: In diesem Jahr kam es zum Vertragsabschluss mit der Firma Benz. Lueg kehrte dem Kutschengeschäft endgültig den Rücken und wandte sich dem Automobilhandel zu. Weitere Marken folgten: 1923 AGA, 1926 Wanderer, 1929 Dixi – und 1930 BMW. Die Ausstellung im Bochumer Lueg-Hochhaus war bei ihrer Eröffnung 1925 mit über 30 Fahrzeugen die größte Deutschlands, und im Parkhotel Essen präsentierte Lueg Fahrzeuge von Mercedes-Benz und Wanderer in edelstem Ambiente.Benz bittet Lueg um Hilfe Die Zeiten waren dennoch schwer. Bis Mitte der zwanziger Jahre lähmte die Inflation die Wirtschaft. Selbst die schwäbischen Automobil-Pioniere um Carl Benz steckten in einer schweren Absatzkrise – und wandten sich an einen ihrer wichtigsten Händler: „Ohne Ihnen durch all zu viele Briefe lästig fallen zu wollen, können wir trotzdem nicht umhin, Sie erneut freundlich zu bitten, alles dafür einzusetzen, uns Aufträge zu verschaffen“, schrieb die Benz-Direktion im August 1925 an Friedrich Oskar Lueg.Rückgrat zeigen in Verhandlungen Nach der Fusion von Daimler und Benz im Jahr 1926 gestärkt, plante der Hersteller, den Verkauf von Mercedes-Benz stärker selbst in die Hand zu nehmen. Doch die selbstbewussten Händler ließen sich nicht einschüchtern: „Ich habe trotz allen Säbelklirrens der M.B. Leute herausgefunden, dass man unsere Arbeit außerordentlich schätzt und sich sehr wohl darüber klar ist, dass man nicht ohne weiteres an unsere Stelle Filialen setzen kann, ohne erhebliche Einbußen zu erleiden“, schrieb ein Thüringer Kollege 1927 an Friedrich Oskar Lueg. Er empfahl daher, „bei all diesen Verhandlungen von vornherein Rückgrat zu haben, sonst kommt man später nicht wieder hoch“.Friedrich Oskar Lueg zeigte Rückgrat – und stritt in Vertragsverhandlungen mit MB beharrlich um Rabatte und andere Konditionen: „Mindestens 15 Prozent“ sollten es sein, bei Pkw ab 25 PS sogar 25 Prozent, dazu ein Bonus von fünf Prozent ab 300 verkauften Wagen. In der Wirtschaftskrise brach der Verkauf fast vollständig ein. Im März 1932 wurde laut Firmenchronik „nur ein einziger Wagen verkauft“. Voller Selbstbewusstsein trat Friedrich Oskar Lueg 1934 dennoch mit einem „Wunschzettel“ der MB-Vertreter vor die Daimler-Direktion, um den Bau komfortablerer und attraktiverer Fahrzeuge zu fordern: „Wir Menschen, die draußen im täglichen Verkaufskampf stehen, wissen genau, wo der Schuh drückt“, klagte Lueg. Der Kleinwagen MB 130 habe beim Publikum versagt. Statt solcher „Modetorheiten“ solle sich Mercedes besser ganz auf Repräsentationswagen und geräumige Familienautomobile konzentrieren. Mercedes macht sich rar Tatsächlich war die Krise wenig später überwunden: Schon 1937 gab es bei Lueg ernsthafte Lieferschwierigkeiten, weil das Stuttgarter Werk immer mehr exportierte. Mercedes-Benz wurden zu einem knappen Gut, auf das man trotz hoher Preise lange warten musste – ein Zustand, der in den nächsten Jahrzehnten andauern sollte. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde das Kfz-Gewerbe in die Aufrüstungsmaschinerie des Nationalsozialismus eingespannt. Der freie Handel kam praktisch zum Stillstand. Auch Lueg mit seinen Werkstätten in Bochum, Essen, Langendreer, Recklinghausen und Velbert konzentrierte sich gezwungenermaßen wieder auf seine Rolle als Hersteller von Aufbauten und Karosserien. Ganz zum Erliegen kam die Geschäftstätigkeit am 4. November 1944: Das Hauptwerk in Bochum wurde bei einem schweren Luftangriff komplett zerstört.WiederbeginnNach dem Krieg eröffnete sich auch für Lueg schon bald die Perspektive auf einen Wiederbeginn mit Automobilen und mit dem Stern. Das Unternehmen wurde seit 1943 von Dr. Paul Mahnert geführt, der 1931 Leni Lueg geheiratet hatte. Mit großem Geschick wehrte er die Enteignungsbestrebungen der Alliierten ab und reaktivierte die Geschäftsbeziehung zur Daimler-Benz AG. 1947 war das Neuwagengeschäft bereits wieder voll angelaufen: Allein die Bergbau-Zentrale in Essen bestellte 50 Krankenwagen und 350 Pkw.Noch vor dem Tode seines Schwiegervaters Friedrich Oskar Lueg im November 1947 führte Dr. Paul Mahnert auch auf Verbandsebene eine Familientradition weiter: Er wurde am 30. September stellvertretender Vorsitzender des „Verbandes des Kraftfahrzeughandels und -gewerbes“, des späteren ZDK. Auch im nordrhein-westfälischen Landesverband mit Sitz in Essen übernahm Mahnert den Vorsitz. Das Bekenntnis zum Stern Spätestens seit der Währungsreform erlebte der Kfz-Handel einen massiven Boom – aber viele Marken der Vorkriegszeit waren verschwunden oder unbedeutend geworden. Besonders stark vom Wirtschaftswunder profitierte die Marke Mercedes-Benz: Sie wurde zum Statussymbol und Inbegriff des Luxusfahrzeugs. Davon profitierte auch Lueg: „Jedes Mal, wenn eine neue Halle, eine neue Werkstatt in Benutzung genommen wurden, war der Raum schon wieder zu klein“, berichtete die Essener Allgemeine Zeitung 1951.Der Erfolg konzentrierte sich allerdings ganz auf den Stern: Auf Druck von Daimler-Benz wurde 1950 der Vertretungsvertrag mit BMW gelöst. War es noch in den Vorkriegsjahren üblich gewesen, dass große Händler wie Lueg vier oder fünf Marken gleichzeitig vertrieben, so pochte die Daimler-Benz AG jetzt auf Exklusivität. Im Gegenzug kam die Fahrzeug-Werke Lueg GmbH in den Genuss eines privilegierten Status. An der Spitze des VertriebssystemsDenn in den 1950er Jahren bildete sich das Vertriebssystem von Mercedes-Benz heraus, das für mehrere Jahrzehnte Bestand haben sollte: An der Spitze standen wenige A-Vertreter, zu denen neben Lueg nur knapp ein Dutzend weiterer großer Händler in Deutschland gehörten. Ausschließlich die A-Vertreter hatten das Recht, in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Neuwagen mit Stern zu fakturieren und selbst die Fahrzeuge zu disponieren. Sie standen innerhalb der Vertriebspyramide auf einer Ebene mit den Niederlassungen des Herstellers. Das Gros der Vertriebspartner stellten die B-Vertreter, während die Vertragswerkstätten vorrangig Serviceleistungen und auch Vermittlungsaufträge für Neufahrzeuge erbrachten. Vertragswerkstätten sind heute im Lueg’schen Gebiet die Firmen Schulte-Oversohl im Essener Süden, Köpper in Dorsten, Henning in Herne, Sinzel in Bochum und Kryst in Hattingen. Zum Teil sind diese Partner mit Lueg seit den 1950er Jahren verbunden.Auch bei anderen Marken zeichnete sich eine immer stärkere Verflechtung zwischen Händlern und Herstellern ab: „Während man vor 20 Jahren noch sagen konnte, dass der Händler ein Kunde des Lieferwerkes war, … ist er heute in vollem Umfang in die Produktions- und Vertriebsplanung seines Werkes eingeschaltet“, berichtet Dr. Mahnert 1956 vor der Hauptversammlung des Kfz-Gewerbes NRW. „So entsteht im Laufe der Jahre eine feste Bindung, die man beinahe als gegenseitige Abhängigkeit bezeichnen könnte.“ Keine Nachlässe, lange Lieferzeiten Für Lueg wurde der Status des A-Vertreters 1958 vertraglich erneuert – und der Vertrag zeigt alle Besonderheiten des Mercedes-Benz-Systems: So hatte Lueg künftig ein fest definiertes Vertragsgebiet, über das hinaus nicht verkauft werden durfte. Die Verkaufspreise sollten absolut bindend sein, Nachlässe gingen stets zu Lasten des Händlers. „Diese Regelung hat das strikte Nachlassverhalten begründet, das der Marke Mercedes-Benz zusammen mit langen Lieferzeiten eine Alleinstellung verlieh“, erinnert sich der langjährige Lueg-Geschäftsführer Bernhard Wirtz.Als Provision musste sich Lueg allerdings mit zunächst 15, dann 16 Prozent begnügen, während andere Hersteller ihren Händlern bereits 20 oder mehr Prozent gewährten.Massive Expansion im RuhrgebietDennoch war der Vertrag Grundlage einer massiven Expansion seit den 1960er Jahren: Neben den großen Standorten Essen und Bochum entstanden Lueg-Betriebe in Gladbeck, Witten, Recklinghausen, Velbert, Castrop-Rauxel sowie Bottrop, außerdem 1968 das größte Nutzfahrzeug-Reparaturwerk der Bundesrepublik in Wattenscheid. Lueg wurde zum Synonym für Mercedes-Benz im Ruhrgebiet. Noch immer verkauften sich die Fahrzeuge mit Stern mit geringstem Repräsentationsaufwand. „Bis zum Ende der 1970er Jahre unterhielten wir alle Zweigstellen ohne Verkauf – als reine Kundendienststationen“, so Wirtz. Und Lueg engagierte sich weiter in den Gremien des Kfz-Gewerbes: in den Innungen und Prüfungsausschüssen, in der Tarifpolitik auf Landesebene und beim ZDK. So war Lueg-Geschäftsführer Hermann Mallow bis 1984 Vizepräsident des ZDK. Ihm folgte 1987 Bernhard Wirtz, der bis heute im Präsidium des ZDK und als Vorsitzender eines Arbeitskreises des europäischen Kfz-Verbandes Cecra in Brüssel tätig ist. Neue Ära für Mercedes-Benz Eine neue Ära im Vertrieb von Mercedes-Benz brach erst in den 1980er Jahren an. Auch Lueg verdichtete sein Netz durch massive Investitionen. Die früheren Servicestandorte wurden schrittweise zu vollwertigen Mercedes-Benz-Centern ausgebaut. Allein acht neue Verkaufshäuser entstanden so bis 1992.Dabei beschränkte sich Lueg auf das angestammte Gebiet: „Das Mercedes-Netz ist in der Summe ein relativ friedliches, es herrscht eine große Übereinstimmung zwischen Handel und Hersteller – und das führt dazu, dass unser Netz nicht dazu angetan ist, sich gegenseitig die Augen auszukratzen, sondern alle Kraft dafür einzusetzen, den Kunden optimal zu betreuen“, erklärt Jürgen Tauscher, Vorstandsvorsitzender der Lueg AG, der zuvor 30 Jahre für Mercedes-Benz Niederlassungen tätig war. Expansion in neuen Bundesländern Die Chance zur Expansion innerhalb des Mercedes-Benz-Vertriebssystems war damit nur selten gegeben, bis auf den historischen Moment nach der Wiedervereinigung. Auch Lueg nutzte diese Chance. Im sächsischen Zwickau übernahm das Unternehmen 1990 einen ehemaligen VEB-Kraftverkehr und baute auf dieser Basis die Autohaus Lueg GmbH mit heute drei Centern auf. Neue Marken Weitere Bewegung in den Kfz-Markt sollte um die Jahrtausendwende die neue GVO bringen, die prinzipiell auch die traditionelle Gebietsaufteilung in der Mercedes-Welt aufbrach. „Die neue GVO führte zu größeren Überschneidungen im Gebiet, aber auf keinen Fall zu einer Auflösung der Gebietsverantwortung. Auch heute betreibt jeder 95 Prozent seines Geschäftes in seinem Marktverantwortungsgebiet“, erklärt Jürgen Tauscher. Nach fast einem Jahrhundert mit dem Stern hat sich auch Lueg seit 1999 für neue Marken geöffnet: „Unser strategisches Ziel ist es, in den eigenen Marken weiter zu wachsen, aber die Marken in den Autohäusern sauber zu trennen. Angesichts der geringen Umsatzrenditen im klassischen Geschäft werden wir außerdem dafür sorgen, dass die gesamte Wertschöpfungskette rund um das Automobil genutzt wird und wir somit unsere Gesamtrendite auf andere Füße stellen““, sagt Jürgen Tauscher mit Blick in die Zukunft. zLesen SIe hier...... wie die Fahrzeugwerke Lueg sich vom Kutschenbauer zum größten Mercedes-Benz-Vertreter Europas entwickelten.KurzfassungDas Mercedes-Benz-Vertriebssystem ist etwas Besonderes. Wie es sich in zehn Jahrzehnten gewandelt hat, zeigt dieser Beitrag. 100 Jahre Kfz-Gewerbe100 Jahre Kfz-Gewerbe

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