VEACT: "Aus der Denke herauskommen"

AH: Herr Posselt, wie digital tickt der Automobilhandel? Ph. Posselt: Das kommt auf die Menschen an, die im Autohaus arbeiten. Mancher Eigentümer denkt möglicherweise noch sehr traditionell. Aber es kommen ja auch viele junge Mitarbeiter in die Unternehmen, die ein ganz anderes Mindset mitbringen und offen sind für alles, was digital funktioniert. Diese jungen Kollegen organisieren ihr Leben über das Smartphone und tragen neue Ideen in die Branche. Sie löchern den Chef dann schon, wenn es ihnen Vorteile bei ihrer Arbeit bringt: Sie drängen auf Lösungen, die die Komplexität im Alltag reduzieren und helfen, Prozesse effizienter zu gestalten. Wobei man auch sagen muss: Ich treffe immer wieder auf Leute in den Autohäusern, die jenseits der 60 sind und komplett offen für alles, was sich digital abbilden lässt. Grundsätzlich ist diese Offenheit gegenüber neuen Technologien also keine Frage des Alters. AH: Wie sieht dieses digitale "Mindset" aus? Ph. Posselt: Die Betriebe im Automobilhandel müssen sich vernetzen und eine Fehlerkultur zulassen. Dazu gehört auch, dass man sich austauscht, wenn mal was nicht geklappt hat. Hier hinkt der Handel deutlich hinter anderen Branchen hinterher. Noch wichtiger ist es, aus der Denke herauszukommen "Ich bin ein Mercedes-Händler und du bist ein VW-Händler". Auf der Handelsebene haben am Ende doch alle die gleiche Herausforderung. Nehmen Sie mal nur als Beispiel das Thema DMS-Schnittstellen. Wieso gibt es da keine markenübergreifenden Schnittstellen? Im Werkstattbereich gibt es eine ASA-Schnittstelle, mit der alle Werkstattgeräte miteinander kommunizieren können. Das ist sinnvoll und bringt einen Zugewinn für alle Gerätehersteller und vor allem für den Anwender. Warum muss jeder Automobilhersteller seine eigene Schnittstelle haben? Heute ist es so, dass jedes Autohaus viele Mitarbeiter mit der Systempflege beschäftigen muss, da es keine standardisierten Schnittstellen zwischen Handel und Hersteller gibt. Viel besser wäre doch eine neutrale Plattform, auf der Kundendaten, Rechnungen und Fahrzeugdaten liegen. Genau das versuchen wir. Wir wollen kein DMS und kein CRM-System sein. Wir wollen einfach nur eine Plattform sein, auf der ich datenbasierte Prozesse markenunabhängig abwickeln kann. AH: Wo setzen Sie mit Ihrer Lösung an? Ph. Posselt: Wir arbeiten primär mit Markenbetrieben und sind jetzt in knapp 700 Autohäusern aktiv. Wir haben alles zusammen mit Händlern entwickelt. Unser Ziel ist es, dem Handel Arbeit abzunehmen. Wenn wir das Marketing für ein Autohaus übernehmen, dann wickeln wir das komplett ab. Dazu gehört nicht nur die Datenselektion. Wir steuern dahinter die Dienstleister für Telefonie, E-Mail und Webseite. Am Ende bekommt der Chef eine Auswertung mit klaren Handlungsempfehlungen. Wenn wir zeigen, dass man statt jetzt 170.000 Euro Umsatz auch 200.000 Euro rausholen könnte, weckt das automatisch Interesse an unserer Lösung. AH: Geraten Sie nicht in Konflikt mit den Herstellersystemen? Ph. Posselt: Ein ganz wichtiger Punkt: Automobilhersteller können uns nicht kaufen, sie können uns nur customizen, also auf ihre Bedürfnisse maßschneidern. Sie können auf Basis unserer Lösung ein Marketing-Programm für den Handel stricken und dem Kind einen eigenen Namen geben. Mit Unterstützung des Herstellers können wir dann sogar Connected Car-Daten einbinden oder Leasing- und Finanzierungsverträge und alle anderen Daten, die wir noch brauchen. Große Unsicherheit vorhanden AH: Was sind die größten Baustellen im Autohandel? Ph. Posselt: Der Autohandel ist derzeit mit einer großen Unsicherheit konfrontiert. Alle fragen sich: Sind wir der nächste Buchhandel? Kommt ein unbekannter Dritter und macht uns das Geschäft kaputt, so wie Amazon es im Buchhandel und mittlerweile in vielen andern Branchen getan hat? Derzeit versuchen die Hersteller, sich gegenüber ihrem Händlernetz für alle Optionen zu rüsten. Daher kommen die erbitterten Kämpfe um Händlerverträge, die sich ganz klar die Option für mehr Direktverkäufe offenhalten. Gleichzeitig sollen die Händler aber in analoge Maßnahmen wie CI- und Showroom- Konzepte investieren, ohne die Sicherheit zu haben, dass sich das je refinanziert. AH: Wie kann es die Branche schaffen, nicht Opfer der Disruption zu werden? Ph. Posselt: Was ich mir da einfach wünschen würde ist, dass wir zehn oder 15 Händler an einen Tisch bringen und die unterschiedlichen Abteilungen beim Hersteller. Wir bieten eine neutrale Plattform, eine Art "Schweiz für Apps" und digitale Projekte. Der Handel behält seine Daten und der Hersteller behält seine Daten. Daraus muss man Lösungen entwickeln, die dem Kunden das Leben leichter machen. Kein Kunde will heute noch unnötig lange auf einen Termin warten, weil ein System im Autohaus nicht mit dem anderen spricht. Wir brauchen eine einfache One-Click-Lösung, wie sie Amazon bietet. Dazu muss ich auch die Softwarehersteller an einen Tisch holen. Unsere Probleme lösen wir nur gemeinsam und nicht indem der eine versucht, sich auf Kosten des andere zu optimieren. Da können wir von den Amerikanern lernen. Facebook und Google sind per se erst mal Konkurrenten. Trotzdem schaffen sie es, dass sie sich zusammentun, um im Silicon Valley eine Kultur zu schaffen, die Mitarbeiter anlockt, und das notwendige Kapital, um Dinge auch politisch durchzusetzen. AH: Die Automobilbranche bastelt selbst an digitalen Ecosystemen, in denen der Kunde in einer digitalen Welt alle möglichen Services und Produkte kaufen kann. Der richtige Weg? Ph. Posselt: Was ich bisher von den Herstellern gesehen habe, sind tolle Präsentationen. Aber die Umsetzung scheitert ja an den einfachsten Dingen. Versuchen Sie doch mal, online einen Termin zu vereinbaren. Hersteller haben teilweise Systeme, die im Handel nur müdes Lächeln erzeugen. Es lohnt sich, mal zu sehen, was die eigenen Händler teilweise schon geschaffen haben. Der Handel ist an vielen Stellen viel weiter, nur hat er nicht die Ressourcen und nicht den Zugriff auf Daten, die er vom Hersteller braucht. Wenn die zwei sich zusammentun, wird ein Schuh draus. Wenn der Handel dem Kunden bessere Lösungen bietet als irgend ein Dritter, dann sind wir in der Tat auf dem richtigen Weg! Kundendaten AH: Wem gehören die Kundendaten? Ph. Posselt: Es besteht im Handel die Angst, Geschäft zu verlieren. Deshalb hütet man ja auch seine Kundenkontakte. Aber die Antwort ist ganz einfach: Der Kunde entscheidet, wer die Daten hat. AH: Dennoch wird es einen Konflikt um den Zugriff auf die Daten geben. Ph. Posselt: Die Lösung ist: Man gibt die Daten einem Dritten. Verschiedene Hersteller haben das erkannt und nutzen eine Dritte Partei als Verwalter der Daten. Dort werden Daten zusammengeführt. AH: Wie erreicht man den Kunden überhaupt heute noch? Ph. Posselt: Es gibt nicht die eine richtige Antwort, jeder Kunde tickt anders. Mancher möchte angerufen werden, ein anderer will einen formalen Brief bekommen. Dazu muss man den Kunden verstehen. Das versuchen wir zum Beispiel, indem wir Profile bilden. Man schickt einen Brief und wertet aus, ob der Kunde reagiert. Man schickt ihm eine E-Mail - öffnet er sie? Oder nutzt der Kunde lieber eine App zur Terminvereinbarung? Gerade machen wir einen Versuch mit einem digitalen Chatbot. Das funktioniert mit künstlicher Intelligenz, daher kann der Kunde Tag und Nacht anrufen. Der Chatbot erkennt die Nummer und verknüpft diese mit der zugehörigen Fahrgestellnummer, dem Kennzeichen und so weiter. Das funktioniert bereits sehr verlässlich. Analyse und Planung AH: Wie funktioniert Ihr System? Ph. Posselt: Wir ziehen uns aus dem DMS alle Kundendaten, die im Autohaus vorhanden sind. Zusätzlich schauen wir uns alle Rechnungen an. Wir gehen dann im Idealfall zum Hersteller und holen uns zum Beispiel Connected Car-Daten, falls vorhanden. Zusätzlich holen wir uns die Finanzierungsdaten, Informationen über Wartungspakete. Der erste Schritt ist die Kundenvitalitätsanalyse: Wir sehen beispielsweise, dass in der letzten Woche 20 Kunden reingekommen sind, von denen das Autohaus aber nur von zehn eine Datenschutzerklärung bekommen hat. Wir können auch sagen, welcher Kunde regelmäßig da ist und welche Produkte oder Services er kauft. Oft sehen wir: Kunden kommen zwar zum Service, aber die HU machen sie woanders - und vielleicht auch den Reifenwechsel. Der zweite Schritt ist die Planung von gezielten Marketingkampagnen und die Vorhersage, wie viel jeder eingesetzte Euro an Umsatz bringt. In der Planung sind wir da inzwischen so weit, dass wir das Ergebnis ziemlich treffsicher vorhersagen können. AH: Wie treffsicher? Ph. Posselt: Wir sind hier sehr treffsicher, vor allem, wenn ein Kunde schon ein, zwei Jahre mit uns arbeitet. Die Abweichung liegt irgendwo zwischen drei und 17 Prozent. Die Vorhersage basiert auf der großen Datenmenge, die wir bereits analysiert haben, ist also erfahrungsbasiert, letztlich eine Big-Data-Analyse. Wenn ich fünf bis zehn Prozent aller Fahrzeugnutzer und aller Händler in meiner Datenbank habe, kann ich für die anderen 90 Prozent sehr zuverlässig prognostizieren. Interview: Dietmar Winkler

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