HB ohne Filter vom 12. Juni 2009
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12.06.2009Heute: Überlegungen zum Automobilhandel der Zukunft.
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Risse im Fundament
Letzte Woche ging der weltgrößte Automobilhersteller in Konkurs: GM! Diese Woche brach das Kartell eines Handelsriesen zusammen: Karstadt-Quelle! Wie viele Mittelstandsbetriebe hat dieser Riese auf dem Gewissen? Der Retter von Karstadt soll nun dessen größter Konkurrent sein: Metro! Das Metro-Monopol entwickelt sich zum Monster! Dessen Töchter Real, Mediamarkt und Saturn sorgen für noch mehr Machtmusik. Und Porsche stellt den Antrag auf indirekte Staatsknete! Beinahe hätte Porsche den VW-Konzern komplett geschluckt. Jetzt sucht Porsche bei der Förderbank KfW nach Kredit nach, obwohl für Wendelin Wiedeking Luxusautos und staatliche Subventionen nicht zusammenpassen und die Porscheeigner, die Familien Porsche und Piëch locker die Milliarden hätten, um dem nachzukommen, was in unserem Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet! Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Politiker freuen, wie nun namhafte große Manager als Bettler in Berlin vorfahren müssen, um zum großen Beutezug Richtung Steuerzahler auszuholen.
Währenddessen tagte der ZDK in Erfurt, um u.a. einen Zwischenbericht zum Stand neuer Geschäftsmodelle für den Vertrieb zu geben. Hinter den Kulissen wird – so ZDK-Vizepräsident Ulrich Fromme – noch kräftig an den Details gearbeitet. Die Zeit drängt! Im August sollen dann die Ergebnisse präsentiert werden. Nachstehend möchte ich zur Diskussion um den Automobilhandel der Zukunft einige Überlegungen beitragen.
Marktstruktur
Der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt ist im Automobilvertrieb in Deutschland vollzogen. Der deutsche Automobilmarkt ist weitgehend gesättigt. Das primäre Ziel der Hersteller, eine optimale Absatzmenge zu erreichen, kann für den deutschen Automobilmarkt nicht mehr das Primärziel sein. Es geht um die optimale Wahl und Ausgestaltung des Vertriebssystems, um eine gegebene, allenfalls leicht zu steigernde Marktdurchdringung zu erreichen. Auch hierbei stoßen bereits Menge, Preis und Vertriebsaufwand an sichtbare Ertragsgrenzen. Noch mischt Opel am Markt mit. Es stehen aber neue, ernst zu nehmende Wettbewerber vor der Tür, die Chinesen und Inder.
Herstellerwandlungen
Die Konzentration im Herstellerlager schreitet einerseits voran. Umgekehrt bleibt die Vielfalt der Marken erhalten. Das bedeutet für die Marktteilnehmer noch kräftigeren Wettbewerb.
Produktwandlung
Eine rasante Zunahme an Fahrzeugmodellvielfalt und deren Anschlussmodelle in beschleunigtem Rhythmus schaffen auf vielen Vertriebsebenen gigantische (auch monetäre) Anstrengungen. Auch für den Kunden!
GVO-Veränderungen
Bis zur GVO 2002 bildete der herstellergesteuerte vertikale Vertrieb über den Vertragshandel das gängige Geschäftsmodell. Nur einige Groß- und Sonderkunden wurden im Direktvertrieb über den Hersteller unmittelbar bedient. Markenexklusivität wie Gebietsschutz des Vertragshändlers dominierten.
Seit 2002 ist der Mehrmarkenhandel durchaus verbreitet. Internet, seit 1998 in der Branche relevant, entwickelt sich nicht nur zum Informations-, sondern mehr und mehr auch zum Vertriebskanal. Der freie Automobilhandel wird seitens der Hersteller/Importeure – über welche EU-Kanäle oder Tageszulassungen auch immer – mit der Überproduktion zu Konditionen jenseits des Markenhandels versorgt. Die Hersteller selber ziehen sich mehr Direktgeschäfte ins eigene Haus, sind aktive freie Börsenbetreiber für Werkswagen, Dienstwagen, Jahreswagen, Mietwagenrückläufer, Leasinggeschäfte und forcieren über "Junge Gebrauchte" die billige Zweitmarke für den (zu) teuren Neuwagen.
Meist fällt eine Neuwagenentscheidung mit dem Verkauf eines Gebrauchtwagens zusammen. Das Gebrauchtwagengeschäft erfährt über diese Achse eine Bedeutungszunahme. Noch mehr, gerade die Vermarktung des Gebrauchtwagens ist bei der Gestaltung neuer Geschäftsmodelle ein essentieller Bestandteil. Je nach Hersteller liegt die Direktvermarktung des Herstellers (Großkunden und Privatkunden) heute zwischen 50 und 70 Prozent. Wenn – wie bei den meisten Volumen- wie Premium-Marken – 60 Prozent der Zulassungen gewerblicher Art sind, dann sollte man sich bei der Diskussion neuer Geschäftsmodelle nicht nur auf das Privatkundengeschäft fokussieren. Der Monokanal-Vertrieb hat sich auch Dank E-Commerce im weiteren Sinne zum Multikanalvertrieb gewandelt. Und das über eine Reihe nicht-autorisierter Distributoren. Ein flächendeckender Vertrieb mit eigenen Niederlassungen ist bei gegebener Liquiditätsenge für die Hersteller/Importeure nicht realisierbar.
Fazit: Trotz GVO 2002 haben die Hersteller heute nicht weniger Kontrolle über das angeschlossene Vertragshändlersystem. Die GVO 2002 hat neue Wettbewerber ermöglicht und Spezialisierungen in Teilmärkten (Service) zugelassen. Würde ein Wegfall der Kfz-spezifischen GVO zur Liberalisierung im Markt beitragen?
Ertragslage im Handel
Die überfabrikatliche Handelsrendite liegt seit Jahren unter 1 Prozent und sackte 2008 erstmals auf einen Minuswert von 0,6 Prozent ab. Der Überdruck auf strukturelle Anpassung führt nun entweder zu einer Insolvenzinflation im Handel oder zur Alternative einer geordneten strukturellen Anpassung. Dabei sind sehr kurzfristige und längerfristige Weichenstellungen gefordert. Werden 2009 3,4 oder 3,5 Millionen Neufahrzeuge verkauft, kann es 2010 zu einer Delle mit beispielsweise 2,6 Millionen Neuwagenzulassungen kommen. Die Branchen-Liquiditätsklemme kündigt sich an. In der Neuwagenvermarktung wird selbst bei den Premiummarken nichts verdient. Der Vertragshandel egalisiert diesen Zustand seit Jahren über die Quersubventionierung durch den Service.
Vertriebssteuerung
Zentrale Frage: Wer steuert in Zukunft das Vertriebsnetz über all die aufgezeigten Absatzkanäle und stimmt deren marktgerechtes Verhalten via unterschiedlicher Kundengruppen ab? Hat der "Monopolist" Hersteller – ungeachtet der dahinterstehenden Komplexität – das überhaupt noch in der Hand? Die GVO 2002 hat zumindest in der rechtlichen Regelung eine zentrale Koordination der Hersteller erschwert. Die Antwort der Hersteller darauf sind höhere Vertragsstandards.
Im Zentrum: Der Kunde
Fragen wir, ob der Kunde der wichtigste Treiber im Multikanalvertrieb darstellt. Hier sein Charakteristikum: Wir treffen auf einen mehr und mehr markenilloyalen Kunden, einen instabilen Kunden, aber mit hohem Informationsgrad, der kauf- und mehr und mehr börsenerfahren ist, der die Vorzüge einer gläsernen Einkaufsstätte zu schätzen weiß, aber in seinem Entscheidungsfeld zu Hause in seiner Kammer nur die drei Kommunikations-P's kennt: Preis, Preis und nochmals Preis! Die Bedeutung von Marke und Service ist damit relativ. Ausdruck und Inszenierung der eigenen Persönlichkeit sind im Verbund mit dem Auto schon von höherem Bedeutungsgrad gewesen. Ergo: Wir haben ein multioptionales Kundenverhalten! Variety-Seeking nennt man das. Der Kunde schaut mal da mal, ob aus Neugier oder Langeweile. Er fühlt sich aber nicht gebunden. Die höhere Informationstransparenz und seine steigende Kauferfahrung machen das möglich. Vergleichbare Produkt- und Preisidentitäten zwischen den Herstellern erleichtern den Markensprung.
Sind homogene Kundengruppen gar eine Illusion, obwohl sie Basis einer zielgerichteten Gestaltung einer Kundenbeziehung sein sollten? Steigendes Durchschnittsalter, sinkende Haushaltsgrößen, steigende Anzahl an Single-Haushalten, sinkende Realeinkommen, nutzungsorientierter Mobilitätsaufwand, was bedeutet das? Für Neuwagenkonzeptionen wie für den Folgeservice? Wer kann da noch mit Prognosesicherheit aufwarten?
Konsequenzen für den Automobilhandel
Hinsichtlich der Distributionssysteme für neue Geschäftsmodelle sind grundlegende Anmerkungen zu treffen:
1. In der Machtverteilung ist weiterhin ein Überhang weniger Hersteller gegenüber vielen Absatzmittlern auszumachen.
2. In welchen Geschäftsfeldern sollen künftig die Erträge der einzelnen Absatzmittler generiert werden?
3. Wie soll der Intra- und Interbrandwettbewerb, der inzwischen zum imageschädigenden Preiswettbewerb mutiert ist, abgebaut werden?
4. Welche Synergiepotenziale führen zu nachhaltiger Kostensenkung im Vertrieb?
5. Die scheinbar sichere Ertragssäule Service erlaubt aufgrund des Wettbewerbs im Service mit den freien Anbietern keine Quersubvention des Neuwagenvertriebs mehr. Überzogene Stundenverrechnungssätze jenseits von 80 Euro sind Beleg dafür. Der Porsche-Stundenverrechnungssatz von 170 Euro in München sei dann die Ausnahme.
6. Welche Potenziale sind regionalen Kooperationen zwischen Händler beizuordnen?
7. Große Handelsbetriebe sind standortbedingt in Ballungszentren auszumachen. Deren Ergebnisse, ertragsmäßig bis hin zur Kundenzufriedenheit zeigen, dass sie kleineren Betrieben nicht zwingend überlegen sind. Würden verschiedene große Handelsbetriebe diverser Marken derzeit keine individuellen Stützungsleistungen seitens ihrer Hersteller erfahren, wären nach marktwirtschaftlicher Gesetzlichkeit dieses Jahr einige markante Händler bzw. Handelsgruppen bereits am Ende.
8. Die meistern Hersteller verfolgen nach wie vor push-orientierte Vertriebssysteme. Sie sind immer noch auf Jahresabsatzzielvereinbarungen ausgerichtet, weniger auf Preis- oder gar Renditezielen.
9. Der Verkauf über sogenannte EU-Fahrzeuge führt nach wie vor zu einer Senkung des Preisniveaus. Oder anders: Zahlreiche Hersteller halten aufgrund unterschiedlicher Marktgegebenheiten innerhalb der EU an Preisdifferenzen fest. Und der Wegfall der Niederlassungsklausel zum 1. Oktober 2005 hat nicht zu einer Angleichung paneuropäischer Preise geführt.
10. Der Absatzkanal über Großkunden führt aufgrund größerer Preisnachlässe wie im Vertrieb mit Privatkunden zu einem Substitutionseffekt für preissensible Kunden.
11. Das für Hersteller hochprofitable Geschäft mit Financial Services, noch mehr mit Teilen und Zubehör erfährt über den Wettbewerb mit freien Anbietern zukünftig reduzierte Spielräume.
12. Rund ein Drittel des Fahrzeugpreises fällt heute an Vertriebskosten an. In welchen Prozessschritten ist Deregulierung möglich und angesagt?
13. Wie wird in Zukunft die direkte Kommunikation mit dem Kunden über die neuen Medien gestaltet? Wie werden die neuen Techniken zur Kostensenkung und Prozessoptimierung im Vertriebssystem, auch in Form von Koordination und Kooperation im Vertriebssystem genutzt?
Fazit
Das dominierende Geschäftsmodell (auf Einzel- und auf Großhandelsebene) ist nach wie vor der Vertragshandel. Dessen Differenzierungsstärken liegen in den Nutzenkriterien vor Ort für den Kunden, als das sind: Preis, Leistung, Auswahl, Qualität, Bequemlichkeit, Standort, vor allem die persönliche Managementqualität u.a. gegenüber den angesprochenen Kundengruppen. Dazu gilt es, eine solide Basisstrategie als Geschäftsmodell neu zu initiieren.
Der Hersteller wird schauen müssen, wie er seine "Franchise Attractivenes" mit soliden Werten auffüllt. Die weißen Flächen mehren sich. Die Spezies der wahren Unternehmer und Risikoträger schmilzt. Es stellt sich die Grundsatzfrage, warum und wie lange unabhängige Unternehmer überhaupt noch bereit sind, die gegebenen Restriktionen und Risiken ihrer Tätigkeit hinzunehmen. Das Dilemma ist das Machtmonopol des Herstellers. Die Händler umgekehrt müssten sich solidarisieren. Das gelingt allenfalls ein paar großen Händlern untereinander. Die Hersteller spielen das Klavier der "Gnadenhaltung" mit allen Tasten schamlos aus. Freie Händler schreiben aus gutem Grunde vier und mehr Prozent Rendite! Umgekehrt beweisen jene Vertriebsorganisationen – und sie gibt es –, die wirklich eine "Win-Win-Situation" aktiv leben, dass sie gemeinsam am Markt erfolgreicher sind. Es geht also nicht um einen gewerkschaftlichen einseitigen Forderungskatalog des Handels, sondern um eine verursachungsgerechte Verteilung von Aufwand und Ertrag, von Rechten und Pflichten, von Forderungen und erfüllten Leistungen.
Das künftige Vertriebssystem kann für Deutschland nicht mehr als Fundament die Maximierung der Produktionszahlen des Herstellers haben. Warum? Weil damit als Steuerungsinstrument eine permanente Neuwagenpreisreduzierung einhergeht. Sie verhindert eigenständige Erträge im Neufahrzeuggeschäft der Vertragshändler.
Die Ausrichtung auf ein neues Vertriebssystem hat die Renditechance für den Vertragshandel sichtbar zu verbessern. Die zentralen Fragen lauten: Wie viele Vorgaben durch den Hersteller braucht der Automobilvertrieb? Inwiefern kann der Vertriebsapparat des Herstellers minimiert werden und die freigesetzten Mittel in vertriebsunterstützende Begleitmaßnahmen umgelenkt werden? Braucht Daimler für den Deutschlandvertrieb in Berlin wirklich 1.200 Mitarbeiter? Braucht Volkswagen nur im Teile- und Zubehöraußendienst für die deutschen Service-Vertragspartner 980 Mitarbeiter? Für wen und für was? Der Hersteller hat die Geschäftsmodelle seines Direktvertriebes offen zu legen: also Großabnehmer, Dienstwagen, Werkswagen, Autovermietung, Leasinggesellschaften, vor allem das Geschäftsmodell für den freien Handel in all seinen Schattierungen. Hierzu gehören auch die künftigen Geschäftsmodelle hinsichtlich E-Commerce, u.a. Internetkonfiguration, Einsatz zentraler Call-Center im Verbund mit werkseigenen Abholcentern. Zur offenen Kommunikation gehören die Spielregeln bzw. das Management für das Geschäftsmodell Multivertriebskanal.
Ist der Hersteller bei seinem Geschäftsmodell der Überzeugung, dass sich die klassische Handelsfunktion aufgrund der gespaltenen Inanspruchnahme durch den Kunden erübrige, dann ist das offen darzustellen. Wer allerdings die werkseigenen Niederlassungen vor sich sieht, kann sich das wirklich nicht vorstellen.
Ich werde dazu auf der AUTOHAUS Sommerakademie 2009 am 27. Und 28.August in Warnemünde weitere Details und Hintergründe darstellen.
Spruch der Woche:
"In Sachen Opel – GM – Magna – Sberbank handelt es sich bislang um eine unverbindliche Absichtserklärung. Beide Partner haben bis zu sechs Monate Zeit, eine feste vertragliche Lösung zu finden – Ausgang offen. Geht es schief, bleiben die 1,5 Mrd. Euro-Staatskredit beim Bürger hängen."
Mit meinen besten Grüßen
Ihr
Prof. Hannes Brachat
Herausgeber AUTOHAUS
Lehmann
H.v. Bödefeld
Jens-Uwe Müller
Christian Pflughaupt
Tiffy aus der Sesamstarsse
erwin wagner
Rick Marlowe Investigations
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