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Umgang mit Naturgefahren: "Deutschland allenfalls Entwicklungsland"

11.11.2024 05:52 Uhr | Lesezeit: 7 min
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Die "geographische Lage im Herzen Europas" hat Deutschland nach Ansicht des GDV bisher eher selten von Wetterextremen geprägt. Dies werde sich durch den Klimawandel ändern: "Die Daten von Versicherern, Klimaforschern und Meteorologen sprechen eine eindeutige Sprache. Um sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen, vorzusorgen und zu schützen, sind Prävention, Information und umfassender Versicherungsschutz gegen alle Naturgefahren notwendig", ist Anja Käfer-Rohrbach, stv. Hauptgeschäftsführerin des GDV, überzeugt.
© Foto: GDV © Alex Zea/Europa Press/Abacapress.com, GDV

Die deutschen Versicherer blicken mit großer Sorge auf die dramatische Zunahme von Klimafolgeschäden der letzten gut 20 Jahre und rechnen mit einer "mindestens Verdoppelung" bis zum Jahr 2050. Was nach wie vor falsch läuft, dringend aber vonnöten wäre, erklärt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV, im nachfolgenden Interview mit Kathrin Jarosch.

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"Wir brauchen einen ehrlichen Umgang mit den Folgen des Klimawandels“, lautet eine aktuelle Kernforderung von Anja Käfer-Rohrbach. Das mit ihr aus Anlass der jüngsten Flut in Spanien und deren enormer Zerstörungskraft geführte Interview, in dem die Bedrohung durch Naturkatastrophen schonungslos angesprochen wird, hat GDV-Sprecherin Kathrin Jarosch vergangene Woche mit der Verbands-Managerin geführt und auf der GDV-Website veröffentlicht.

Aufgezeigt wird dabei die gesamte Brisanz der Thematik, aber auch statistisch und mit Studien belegte Ursachen, politische Versäumnisse sowie dringende Maßnahmen, um Extremwetterschäden künftig überhaupt noch seitens der Erst- und Rückversicherer in Deckung nehmen zu können. Hier der Beitrag von Kathrin Jarosch ungekürzt:

Inzwischen jeder Monat der weltweit wärmste seit Aufzeichnungsbeginn

Frau Käfer-Rohrbach, Teile Spaniens wurden von einer schweren Flut verheert. Auch in Deutschland gab es in diesem Jahr mehrere Hochwasser in kurzen Abständen und mit Schäden in Milliardenhöhe. Wie groß ist Ihre Sorge für die Zukunft angesichts dieser Entwicklung?

Anja Käfer-Rohrbach: Der Blick in die Schadenentwicklung der Vergangenheit ist bereits dramatisch. Ich meine nicht nur die großen Flutereignisse wie 2002, 2013 und 2021, deren Intervalle sich offensichtlich verkürzen und zuletzt im Juni, die mit hoher medialer Präsenz einhergehen, sondern auch die vielen kleineren Ereignisse wie das Weihnachtshochwasser in Niedersachsen und die Hochwasser im Mai im Saarland. Diese Entwicklung der Schäden bereitet uns als Versicherungswirtschaft wirklich Sorgen. Der EU-Klimawandeldienst Copernicus teilte jüngst mit, dass wir seit einem Jahr in jedem Monat die in den Klimazielen von Paris als Grenze festgelegte Schwelle von +1,5 Grad erreicht oder überschritten haben. Im Gesamtzeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024 lag die globale Temperatur den Copernicus-Daten zufolge 1,64 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt. Seit 13 Monaten ist jeder einzelne Monat der weltweit wärmste seit Aufzeichnungsbeginn.

Dramatische Zuspitzung bis 2050 erwartet

Mit welchen Folgen rechnen Sie für den Sektor?

Käfer-Rohrbach: Wenn sich die Atmosphäre aufheizt, steigt durch die Verdunstung der Wasserdampfgehalt der Luft. Wärmere Luft wiederum kann mehr Dampf aufnehmen, bevor er sich durch Kondensation in Wolkentropfen verwandelt – ein Vorgang, der immer wieder sintflutartige Regenfälle zur Folge hat. Vor diesem Hintergrund müssen wir davon ausgehen, dass sich die Schäden infolge des Klimawandels bis 2050 mindestens verdoppeln werden. Zu diesem Ergebnis kamen bereits verschiedene aktuelle Studien, unter anderem des französischen Versicherungsverbandes, der Swiss Re und der London School of Economics.

100% höhere Prämien nicht ausgeschlossen

Wie gehen Versicherer mit dieser Prognose um?

Käfer-Rohrbach: Dass mit steigenden Schäden und gleichleibendem Deckungsumfang auch steigende Versicherungsprämien einhergehen, ist eine Binsenweisheit. Die steigenden Schäden können aber noch andere Effekte auslösen. Allein vor dem Hintergrund des Versicherungsaufsichtsrechts und seiner Anforderungen an die Finanzmarktstabilität wird jeder Versicherer prüfen müssen, ob er die steigenden Extremwetterschäden langfristig noch sinnvoll in Deckung nehmen kann. Und so kann es – ohne konsequente Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung und zur Stärkung der Prävention – allein in den nächsten zehn Jahren zu einer Verdopplung der Wohngebäudeversicherungsprämie allein durch den Klimawandel kommen. Bei dieser Schätzung ist die Inflation noch nicht einmal berücksichtigt.

Erforderliche Maßnahmen

Und was setzen Sie dem entgegen?

Käfer-Rohrbach: Wir sind als Versicherungswirtschaft überzeugt, dass nur ein ganzheitlicher und ehrlicher Umgang mit den Folgen des Klimawandels die Vulnerabilität unserer Gesellschaft bestenfalls senkt, sie aber zumindest nicht weiter ansteigen lässt. Um sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen, vorzusorgen und zu schützen, sind Prävention, Information und umfassender Versicherungsschutz gegen alle Naturgefahren notwendig. Aus diesem Grund haben wir als Lehre aus der Ahrtalkatastrophe im Oktober 2021 auch ein Gesamtkonzept vorgelegt, das auf drei Kernelementen fußt: Erstens verbindliche Schritte zur Klimafolgenanpassung, zweitens privater Versicherungsschutz für Hauseigentümer und drittens Risikoteilung zwischen privaten Versicherern und dem Staat für den Fall extremer Naturkatastrophen.

Im Zweifel auch ohne politische Unterstützung

Welche Reaktionen erhalten Sie von der Politik auf Ihre Vorschläge?

Käfer-Rohrbach: Der Klimawandel ist eine dringende gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Umso bedauerlicher ist es, dass sich Bund und Länder im Juni wieder nicht auf einen ganzheitlichen Ansatz einigen konnten. Aber auch ohne eine solche Einigung ist es wichtig, dass wir in Deutschland bei den Themen Prävention und Klimafolgenanpassung vorankommen. Wir, die deutschen Versicherer, werden uns dafür weiter auf allen Ebenen einsetzen.

Deutschland hinkt weit hinterher

Der Klimawandel kennt keine Ländergrenzen – wo steht Deutschland beim Naturgefahrenschutz?

Käfer-Rohrbach: Im internationalen Vergleich ist Deutschland allenfalls "Entwicklungsland", wenn es um den Umgang mit Naturgefahren geht. Unsere geographische Lage im Herzen Europas war glücklicherweise nur selten von Wetterextremen geprägt. Dies wird sich durch den Klimawandel ändern – die Daten von Versicherern, Klimaforschern und Meteorologen sprechen eine eindeutige Sprache. Mit der Forderungen nach konsequenter Klimafolgenanpassung und ernsthafter Prävention stehen die Versicherer daher auch nicht allein. Nur so wird es uns als Gesellschaft gelingen, Menschen und Sachwerte zu schützen und die Versicherbarkeit von Naturgefahren langfristig zu erhalten. 

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