Der den weiß-blauen Vorhang vor kurzem in Leipzig für besondere Gäste etwas weiter öffnete, war kein Geringerer als Dr. Jens Thiemer, seines Zeichens Senior Vice President Customer & Brand BMW. Geladen hatte ihn Copart-Deutschlandchef Kai Siersleben, um den Gästen der "Copart Oktoberfest-Wiesn" im Vorfeld des Messekongresses Schadenmanagement & Assistance parallel zu einem zünftigen, bayerischen Abend auch einen Blick auf die mobile Welt von morgen zu vermitteln.
Kunden, Partner und Freunde brachte Branchendienstleister Copart dafür in Leipzig in einem eigens errichteten Bierzelt zum Meinungsaustausch zusammen. Und auch der Keynote Speaker hätte passender nicht ausgewählt sein können: Traditionell in der Lederhose aus München angereist, sprach Jens Thiemer, Markenchef bei BMW, über die Zukunft der OEMs.
Konflikt von Konsum und Gewissen
Der Manager mit langjähriger Marketingerfahrung verstand es, seine Kernbotschaften auf den Punkt zu bringen: "Die Philosophie des Luxus wird künftig ,Weniger ist mehr‘ sein. Weniger, aber mit mehr Qualität und Substanz", definierte Thiemer die Eckpfeiler bewussten Konsums. Marken müssten zudem den (vermeintlichen) Zielkonflikt ihrer Kunden zwischen Konsum und Umweltbewusstsein sinnvoll auflösen. Dies habe auch Auswirkungen auf den BMW Konzern: "Wir haben seit vielen Jahren den Anspruch, der beste Premiumhersteller in der Welt zu sein. Während wir dies auf den aktuellen Handlungsfeldern wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Gesundheit und Sicherheit umsetzen, steht nun zusätzlich der Anspruch im Mittelpunkt, ebenfalls der Beste für den Planeten zu sein."
Gemeinsame Anstrengungen
Die Fahrzeughersteller befänden sich dabei in guter Gesellschaft. Thiemer führte dazu einige Beispiele an: "Die Wegwerfgesellschaft ist ein überholtes Modell. Es gibt heute nachhaltige Schuhe, die man gar nicht besitzt, Pflegeprodukte ganz ohne Plastik oder unnötige Chemie. Schokoladenherstellung funktioniert auch unter fairen Bedingungen. Und selbst Luxusmarken wie Prada verwenden recycelte Materialien für ihre Accessoires. Es geht nur gemeinsam."
Automarken sähen sich auf dem Weg in die Zukunft einer Menge von Herausforderungen gegenüber. Braucht es den Individualverkehr künftig noch? Wie wirken sich Tempolimits und das sinkende Ansehen des Traditionsproduktes auf die Absatzzahlen der nächsten Jahre aus? Durch branchenfremde Konkurrenz entwickle sich außerdem ein neuer Markt für intelligente, vernetzte Fahrzeuge – eine brandneue Kategorie.
Autos mit digitaler Seele
In München wird man sich jedenfalls nicht davon abhalten lassen, auch zukünftig Autos zu bauen, versprach Thiemer: "Freude am Fahren entwickelt sich weiter – zu Freude Forever." BMW stehe für innovative Technologien, stelle den Menschen in den Mittelpunkt und werde alles daran setzen, noch nachhaltiger und umweltfreundlicher zu werden. Dazu laufen seinen Worten zufolge derzeit konzernweit mehrere Programme: Anstrengungen in Sachen Kreislaufwirtschaft (Re:Think), neue Materialien und Produktionsprozesse (Re:Duce), die Schaffung bleibender Werte in den aktuellen Modellen (Re:Use) und die mehrfache Wiederverwendung von Ressourcen (Re:Cycle), wo immer möglich.
"Wir brauchen ein neues Mindset, egal, ob es um Kooperationen, grünere Fabriken, over-the-air-Updates für die Fahrzeuge oder eigene Recycling-Center geht. Ein BMW soll künftig das ultimative Mittel der Mobilität sein, mit einer digitalen Seele", gab Thiemer die Richtung vor.
Auf dem Weg zur Neuen Klasse
Neue Modelle mit dem Propeller auf der Motorhaube sollten "reduziert" daherkommen: Klare Ästhetik, geschaffen aus recyceltem Material verschiedenster Arten – Gummi, Kunststoff, Stahl, Aluminium und Glas. "Luxus kann auch nachhaltig sein. 2013 haben wir die Reise in die Zukunft mit Elektromobilität und Kreislaufwirtschaft begonnen. Seit 2021 treiben wir die Evolution einer ganzen Industrie federführend mit voran und haben uns die notwendigen Prozesse zu eigen gemacht", beschrieb der Markenverantwortliche die Fortschritte. Die neue Klasse ab 2025 "macht nichts als Freude", skizzierte Thiemer die ehrgeizigen Ziele seines Hauses: "Müll und Umweltverschmutzung werden schon ab dem reinen Design so weit als möglich vermieden. Unsere Produkte und die zu ihrer Fertigung verwendeten Materialien sollen, so lange wie es geht, wiederverwendet werden. Zudem setzen wir auf geschlossene Kreisläufe und erneuerbare Energien. Durch die Besinnung auf Vorbilder aus der Natur wollen wir denkende Systeme schaffen."
Unterschiedliche Ansätze
Im Vergleich zum Jahr 2019 soll bis 2030 der CO2-Fußabdruck der Traditionsmarke spürbar verbessert werden: Ziel sei eine Reduktion um mindestens 40 % im gesamten Konzern. Diese Aufgabe soll in den Lieferketten (–20 %), schwerpunktmäßig in der Produktion (–80 %), aber auch in der Lebensphase des Automobils beim Kunden (–50 %) erreicht werden. Die wichtigsten Stellschrauben für die Erreichung der Vorgaben aus München sieht Thiemer "in der Elektrifizierung des Antriebsstranges, aber auch der Rohstoffproduktion. Die Energieherstellung muss dekarbonisiert werden, aber auch der Verbrauch durch sinnvolle Kreislaufprozesse drastisch reduziert."
Recycling ab Tag 1
Bereits 1994 habe BMW einen der deutschlandweit größten Fahrzeugrecyclingbetriebe ans Netz gebracht, das RDZ (Recycling und Demontage Zentrum) in München. Mehr als 10.000 Modelle pro Jahr, darunter auch Elektrofahrzeuge, durchlaufen das System, um ihr zweites Leben anzutreten oder auf Rohstoff-Ebene recycelt zu werden. 13.000 Tonnen an wertvollen Materialien würden so per anno wiederverwendet, der Jahresumsatz mit Gebrauchtteilen erreiche 25 Millionen Euro. "Die Kernaufgaben unseres RDZ sind der Ausbau und Wiederverkauf funktionierender Ersatzteile sowie die Separierung so vieler Materialien als möglich bis zur Rohstoffebene. Schon beim Design und in den Pilotphasen wird das Recycling der Fahrzeuge mit eingeplant, daneben forschen wir ständig an neuen umweltfreundlichen Technologien", fasste Thiemer zusammen. "Unser Ziel ist dabei ganz klar, die Benchmark weltweit zu werden und BMW zur nachhaltigsten Marke zu machen."