Wie nachhaltig kann eine Autoversicherung sein? Wie ist es dabei auch um das Schadenmanagement bestellt und was kann erreicht werden, wenn mit alternativen, "grünen" Instandsetzungsmethoden repariert wird anstatt alles zu erneuern?
Um diese kardinalen Fragen drehten sich die Vorträge und Diskussionen beim 10. Allianz Autotag im Oktober. Veranstaltungsort war wie immer das "Werkstatt-Praxislabor" des Münchner Versicherungskonzerns, das Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning. Hier wird seit 1972 – auch im Verbund mit zahlreichen anderen internationalen Reparaturforschungszentren der Assekuranzwirtschaft – akribisch untersucht, wie nach unfallbedingten Beschädigungen ein Kraftfahrzeug fachgerecht und wirtschaftlich wieder in einen gebrauchsfähigen Zustand rückversetzt werden kann. Während es dabei über viele Jahre "nur" um Blech, Lack und die Typschadeneinstufung ging, befasst sich das AZT längst auch mit Fahrerassistenzsystemen, begleitet die Hersteller auf dem Weg zum Autonomen Fahren und bei vielen weiteren aktuellen und zukunftsgerichteten Technologiethemen.
Das Thema Nachhaltigkeit ist in Deutschland gesellschaftlich wie auch politisch allgegenwärtig und bewegt die Bürgerinnen und Bürger. Eine aktuelle Umfrage der Allianz von August 2022 hat dabei gezeigt, dass die Mehrzahl (69 Prozent) der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher auch von einem Autoversicherer erwartet, Nachhaltigkeitsaspekte bei den angebotenen Versicherungsprodukten/-lösungen sowie bei der Schadenregulierung zu berücksichtigen. Ein Schwerpunkt der Veranstaltung im AZT war, mit welchen Hebeln das Schadenmanagement in der Autoversicherung nachhaltiger gestaltet und zudem CO2 eingespart werden kann.
Freigabe von Scheinwerferreparaturen gefordert
AZT-Geschäftsführer Dr. Christoph Lauterwasser und Dr. Lucie Bakker, seit 1. Oktober neue Schadenvorständin der Allianz Versicherungs-AG, machten auf dem Autotag deutlich, dass bei der Reparatur des Scheinwerfers gegenüber dem Einbau eines Neuteils insgesamt 98 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden können. Hinzu komme eine erhebliche Kostenminderung, die zum Beispiel beim VW ID.3 bis zu knapp 1.000 Euro pro Scheinwerfer beträgt.
Während einerseits zwar die Reparatur eines Scheinwerfergehäuses in Deutschland erlaubt ist, wird andererseits die Instandsetzung der Scheinwerferverglasung (in der Regel sind das vergilbte oder verkratzte Polykarbonatscheiben) nicht zugelassen. "Leider werden durch diese Regelung Potenziale für Treibhausgasminderung und die finanzielle Entlastung der Autofahrer verschenkt. Dies ist insofern nicht verständlich, da dieses Reparaturverfahren in anderen europäischen Ländern zulässig ist und zudem von einer Reihe von Fahrzeugherstellern freigegeben ist", so Christoph Lauterwasser, der deshalb eine klare Forderung nach Berlin addressierte: "Hier sollte das Bundesministerium für Digitales und Verkehr die aktuelle Regelung prüfen und den Weg für eine fachgerechte Instandsetzung durch die Werkstätten freimachen."
Reparatur statt Neuteile-Ersatz
Die Wahl des Reparaturverfahrens ist mit Blick auf die Kosten und CO2 -Einsparung von hoher Bedeutung, was in seinem Vorwort auch bereits der Vorstandsvorsitzende der Allianz Autoversicherung, Dr. Frank Sommerfeld, deutlich angesprochen hatte. Denn bei Kollisionsschäden sind praktisch immer Fahrzeugaußenteile betroffen, an denen grüne Reparaturen grundsätzlich möglich seien. "Noch werden diese Teile viel zu häufig durch Neuteile ersetzt", erklärte Lauterwasser. Eine Reparatur sei "deutlich ressourcenschonender".
Auch bei Autoglas und am Blech Vieles möglich
Am Beispiel der Windschutzscheibe eines VW ID.3 verwies Lauterwasser zunächst auf eine Einsparung von 99 Prozent der CO2-Emissionen im Vergleich zum Ersatz. Zudem koste die Reparatur bis zu 1.200 Euro weniger. Bei der Seitenwand eines Ford Fiesta reduzieren sich die Kosten laut AZT-Geschäftsführer um circa 1.700 Euro und der CO2-Verbrauch verringere sich um 60 Prozent, wenn man auf das Austrennen des beschädigten und Wiedereinschweissen eines Neuteils verzichtet und stattdessen mit einem Ausbeulsystem instandsetzt. "Würde man in Deutschland die Reparaturquote lediglich um 2 Prozentpunkte erhöhen, ließen sich rund 5.000 Tonnen CO2 einsparen, das entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von 860 Haushalten", sagte Lauterwasser. Im Verlauf seiner Ausführungen konkretisierte er weiter, dass beim Haushalts-Energieverbrauch nicht nur die Elektrizität, sondern auch Heizung, Warmwasser und die gesamte Mobilität des Haushalts gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes mit eingerechnet sind.
Gebrauchteile laut Umfrage hoch akzeptiert
Selbst in Schadenfällen, in denen ein Ersatz des Fahrzeugteils unumgänglich ist, gebe es „wirkungsstarke, ressourcenschonende Hebel“ zur Reduktion von CO2-Emissionen. 89 Prozent der Verbraucher und Verbraucherinnen würden laut der Allianz-Umfrage sogar eine Reparatur ihres Fahrzeugs mit gebrauchten, aber vollständig intakten und zertifizierten Ersatz- anstelle von Neuteilen akzeptieren. "Das ist ein wichtiges Signal für den Markt", so Lauterwasser. "In Frankreich und in Großbritannien ist das Verwenden von Gebrauchtteilen bereits etabliert, in Deutschland haben wir aus unserer Sicht noch Nachholbedarf." Gerade angesichts der aktuellen Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen bräuchte es deshalb dringend "einen funktionierenden Markt für Gebrauchtteile", damit ein nachhaltiges, grünes Schadenmanagement Realität werden könne.
Bei diesem Thema, das vom AZT bereits vor knapp 20 Jahren noch zu Zeiten von Lauterwassers Vorgänger Prof. Dr. Dieter Anselm untersucht wurde, scheint sich offensichtlich der Markt gewandelt zu haben. Während nämlich in den frühen Nullerjahren eine bestmögliche Einsparung von maximal 3 Prozent bei Instandsetzungsarbeiten mit Gebrauchtteilen herauskam – der Markt belächelte das mit "gerademal Skontoabzug" und gab der Alternative von keiner Seite her eine Chance –, scheinen sich nun doch griffigere, wenngleich auf dem Autotag noch nicht näher vorgestellter Versorgungs- und Logistik-Strukturen ergeben zu haben. Kritisisiert wurde früher vor allem die schlechte Verfügbarkeit tatsächlicher benötigter Teile und die meist nicht unerhebliche Nacharbeit aufgrund Vor- oder Transportschäden vor allem bei Türen, Kotflügeln, Hauben und Deckeln.
Videobesichtigung statt Vor-Ort-Begutachtung
Seit Anfang 2020, dem Beginn der Corona-Pandemie, setzt die Allianz in Schadenfällen außerdem vermehrt auf Videobesichtigungen. Der Anteil der Vor-Ort-Begutachtungen, die Sachverständige mit dem Auto vornehmen, ist laut dem AZT-Chef seitdem von mehr als 80 Prozent auf rund 40 Prozent gesunken. "Es wurden zwei Millionen Fahrkilometer weniger zurückgelegt. Allein im Jahr 2021 hat die Allianz dadurch deutschlandweit 300 Tonnen CO2 gespart", so Lauterwasser. "Darüber hinaus schenkt die Videobegutachtung den Kundinnen und Kunden Zeit. Der Service wird von ihnen sehr gut angenommen und mit 4,7 Sternen (max. 5) bewertet."
Nachhaltigkeitsstandards für Werkstätten
Einen weiteren Hebel zu einem nachhaltigeren Schadenmanagement sieht die Allianz in der Etablierung von Standards für Werkstätten in Bezug auf Nachhaltigkeit. "Nur so ist es möglich, dass wir bei der Werkstattwahl bewusst die Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien miteinbeziehen", sagte Schadenvorständin Lucie Bakker. Man sei dazu auch bereits mit den Interessenvertretern des Kraftfahrzeuggewerbes im Gespräch, "um mit der Branche gemeinsam zukünftige Standards in Bezug auf Nachhaltigkeit zu entwickeln".
Langfristiges Ziel werde es sein, dass sich die Werkstätten mit hoher Energieeffizienz unabhängiger von fossilen Brennstoffen machen. Dazu gehören für den Versicherer nicht zuletzt entsprechende Lackmaterialien und Trocknungsverfahren, aber auch die Nutzung von regenerativen Energiequellen. "Darüber hinaus erwarten wir eine verstärkte Nachfrage unserer Kundinnen und Kunden, dass im Versicherungsfall eine nachhaltige Ersatzmobilität – von Elektroautos über Elektrofahrräder bis hin zu ÖPNV-Tickets – von den Werkstätten zur Verfügung gestellt wird", so Bakker.